Wahrheiten in Massen

1895 veröffentlichte der französische Sozialpsychologe Gustave Le Bon ein Werk, das die Disziplin der Massenpsychologie begründen sollte.

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Lesezeit: 2 Min.
Von
  • Robert Thielicke

In „Psychologie der Massen“ wurde erstmals dem Verhalten von Menschenmengen ein theoretisches Fundament gegeben. Die Abhandlung wurde zum Bestseller, und Le Bon prägte damit über Jahrzehnte das Bild vom Menschen als Herdentier, der in großen Gruppen „nicht mehr er selbst ist, zum Automaten geworden, dessen Betrieb sein Wille nicht mehr in der Gewalt hat“. Adolf Hitler hatte das Werk gelesen und Teile seiner Propaganda-Theorie darauf aufgebaut, Benito Mussolini sich von ihm inspirieren lassen – und auch AfD-Rechtsaußen Björn Höcke hat nach Aussagen eines ehemaligen Schülers die Schrift wiederholt gelobt und sich davon fasziniert gezeigt. Besonders gefallen haben dürfte den Dreien die Überzeugung, dass sich dieser Wille der Masse einpflanzen lässt und die Menschen sich damit, gleichsam hypnotisiert, lenken lassen.

Unzählige Psychologen haben seitdem Le Bons Theorie als überspitzt, vereinfachend und unzureichend begründet kritisiert, und in der Tat ist die „Psychologie der Massen“ mehr ein Strom logisch scheinender Gedanken als wissenschaftliche Analyse. Gerade das Dritte Reich zeigte, dass es nicht nur Verführung, sondern auch ein ordentliches Maß an Gewalt und Günstlingswirtschaft braucht, um Menschen auf Linie zu bringen.

Trotzdem muss man Le Bon zugestehen: Passagenweise schreibt er eine erschreckend genaue Propaganda-Anleitung, die dann im Faschismus zum Leben erwacht ist. Und weil sie in gewissem Maße funktioniert hat, sind einige der Erkenntnisse auch heute noch ernst zu nehmen. Schließlich sind die großen Propaganda-Veranstaltungen keineswegs verschwunden, sie haben sich nur ins Virtuelle verlagert. Wenn in Berlin 20000 Menschen gegen die Corona-Maßnahmen demonstrieren, weil sie die Pandemie für eine Inszenierung der Eliten halten, dann deshalb, weil sich in den sozialen Medien längst die entsprechend große Bewegung geformt hat.

Und eine erschreckende Erkenntnis Le Bons bleibt: Fakten stimmen die Masse nicht unbedingt um: „Nichts erscheint ihr unwahrscheinlich, und das darf man nicht vergessen, wenn man begreifen will, wie leicht die unwahrscheinlichsten Legenden und Berichte zustande kommen und sich verbreiten.“ Und weiter: „Der Redner, der sie hinreißen will (...), darf niemals den Versuch machen, einen Beweis zu erbringen.“

Buch: "Psychologie der Massen"
Autor: Gustave Le Bon
Verlag: Pretorian Books, 47 Seiten (DIN A4)
Preis: 4,95 Euro

(bsc)