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Warten auf die Sonnenwende

Sascha Rentzing

Die Solarbranche steckt tief in der Krise. Für die Zukunft allerdings rechnen Experten mit einem weltweit wachsenden Bedarf an Modulen und Energiespeichern – und an qualifizierten Arbeitskräften.

Die Solarbranche steckt tief in der Krise. Für die Zukunft allerdings rechnen Experten mit einem weltweit wachsenden Bedarf an Modulen und Energiespeichern – und an qualifizierten Arbeitskräften.

Ist Carsten Körnig noch zu retten? Dass der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft Optimismus verbreiten muss, ist klar. Aber was er sagt, wirkt auf den ersten Blick wie Träumerei. "Die Solarindustrie hat in der PV-Roadmap das Ziel formuliert, die Beschäftigtenzahl bis 2020 mindestens auf dem derzeitigen Niveau von 130000 zu halten. Dieses Ziel ist nach wie vor erreichbar." Dabei wirkt die Branche für Außenstehende eher wie dem Untergang geweiht. China dreht die Preisschraube radikal nach unten – und Hersteller in Deutschland müssen reihenweise dichtmachen, weil sie nicht mehr mithalten können.

In anderen Industrien wie der Elektronik hat es diese Entwicklung bereits gegeben. Anbieter wie Blaupunkt oder Grundig beherrschten noch in den Neunzigerjahren den TV-Markt. Heute haben sie in Deutschland nur noch Mitarbeiter, die dafür sorgen, dass die Geräte zu den Händlern kommen – die Ware wird längst im Fernen Osten produziert.

Der Boom der Solarindustrie währte nicht einmal zehn Jahre. Er begann, als die rot-grüne Bundesregierung 2003 mit dem sogenannten Photovoltaik-Vorschaltgesetz zum EEG eine höhere Vergütung für Solarstrom beschloss. Von 2003 bis 2011 stieg der jährliche Zubau in Deutschland von 150 Megawatt (MW) auf 7,5 Gigawatt (GW). Gleichzeitig schossen überall Solarfabriken aus dem Boden. Für die Zellen- und Modulproduktion sowie die Installation der Solaranlagen stellten die Firmen viele neue Fachkräfte ein. Seit 2003 hat sich die Beschäftigtenzahl auf 130000 verzwanzigfacht. Derzeit sieht es so aus, als würden diese Jobs noch schneller wieder verschwinden.

Unbestritten: Die deutsche Solarbranche steckt in großen Schwierigkeiten. Euphorisiert von der stark steigenden Nachfrage investierten die Modulhersteller hierzulande kräftig in neue Produktionsstätten. Doch weil gleichzeitig viele europäische Länder mit einer Einspeisevergütung für Solarstrom die Fördertarife drastisch kürzten, ging ihre Rechnung nicht auf. Der Bedarf an Solaranlagen stieg viel langsamer als erwartet.

Jetzt schieben die Unternehmen massive Überkapazitäten vor sich her. Über 50 GW Module pro Jahr schaffen ihre Werke – das Weltmarktvolumen sehen Experten 2012 aber nur bei 30 GW. Das zwingt die Hersteller, teilweise unter Fertigungskosten zu verkaufen. "Der Preiskampf ist mörderisch", sagt Peter Frey, Geschäftsführer des Branchennetzwerks "Solarvalley Mitteldeutschland". Mittlerweile stammen nach Angaben des Bundesumweltministeriums 70 Prozent der in Deutschland verbauten Module aus China.

Der größte Photovoltaikcluster in Deutschland ist zugleich der größte Krisenherd. Mit Q-Cells und Sovello meldeten bereits zwei große Hersteller aus dem Solarvalley Insolvenz an. Die insgesamt mehr als 2000 Mitarbeiter der beiden Firmen hoffen nun auf neue Investoren. Währenddessen frisst sich die Krise zu den vorderen Bereichen der Wertschöpfungskette vor: Wird die Fertigung zurückgefahren, werden zwangsläufig weniger Rohstoffe und Equipment benötigt.

Der schwäbische Solarmaschinenbauer Centrotherm zum Beispiel fuhr 2011 wegen wegbrechender Aufträge einen Verlust von fast 20 Millionen Euro ein. 400 Mitarbeiter mussten die Firma daher jetzt verlassen, Mitte Juli meldete sie Insolvenz an. Der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) schätzt, dass die Konsolidierung in Deutschland insgesamt bereits zehntausend Jobs gekostet hat.

Doch diese schlechten Zahlen sind nur eine Seite der Medaille. Die Begeisterung der Deutschen für Solartechnik ist nach wie vor groß. Obwohl die Einspeisevergütung für Solarstrom kontinuierlich sinkt, bleibt der Zubau konstant hoch: 2010 und 2011 gingen in Deutschland jeweils rekordverdächtige 7,5 Gigawatt ans Netz. Erwartet hatten Marktforscher wegen der Vergütungsabsenkung im vorigen Jahr maximal sechs GW Zubau. Der Boom setzt sich dieses Jahr anscheinend fort: Laut Bundesnetzagentur installierten die Deutschen in den ersten vier Monaten Solaranlagen mit 2,3 GW Leistung – im Vergleichszeitraum des Vorjahrs brachten sie "nur" 0,7 GW auf die Dächer.

Der wichtigste Grund für den Optimismus ist sicherlich, dass die Solarförderung nach einem Kompromiss des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat nicht so stark gekürzt wird wie befürchtet. Im Mai hatten die Bundesländer im Bundesrat ihr Veto gegen die Pläne der Bundesregierung eingelegt, die Solarförderung drastisch herunterzufahren. Besonders auf dem Kieker hatte Berlin die größeren Dachanlagen, die Landwirte en masse auf ihre Scheunen und Ställe schraubten. Die Einigung stellt dieses Segment nun wieder besser, die Förderung sinkt hier nun nicht so stark wie zunächst angedacht. "Wir begrüßen die Abmilderung. Ein verstärkter Anlagenbau lässt hoffen, dass im installierenden Handwerk viele Arbeitsplätze erhalten bleiben", sagt Körnig.

Zusätzliche Beschäftigung bietet den Installateuren das wachsende Wartungsgeschäft. Die ersten Sonnenkraftwerke kommen in die Jahre und müssen optimiert oder erneuert werden.

Auch die heimischen Hersteller von Zellen und Modulen könnten mit einem blauen Auge davonkommen. Nach Erhebungen des BSW waren 2010 in der Fertigung rund 20000 Menschen beschäftigt. "Möglicherweise werden es mit expandierenden Auslandsmärkten bis 2020 sogar mehr sein", sagt Körnig. In Asien steht die Photovoltaik vor einem Boom. Noch schreiben zwar viele Zulieferer wegen fehlender Aufträge aus China rote Zahlen. Doch die Prognosen sind gut. In China sollen nach den neuesten Plänen der Staatsregierung bis 2020 insgesamt 50 GW Photovoltaikleistung installiert sein. Über fünf GW Gesamtleistung verfügt das Land bereits. Das heißt, in den kommenden neun Jahren müssen jeweils fünf Gigawatt pro Jahr errichtet werden. Auch Japan fördert die Sonnenenergie nach dem Atomunglück in Fukushima wieder stärker. Ein neues Einspeisegesetz soll die jährlichen Installationen auf mehr als ein Gigawatt treiben.

Von einem Sonnenboom in Asien würde zwar in erster Linie die dortige Solarindustrie profitieren. Die Hoffnung deutscher Hersteller ist jedoch: Wenn der Weltmarkt weiter wächst, könnten Bedarf und Fertigungskapazitäten wieder ins Lot kommen und sich die Preise normalisieren. Nach den notwendigen Kosteneinsparungen in der Produktion wären auch deutsche Hersteller wieder im Spiel.

Darauf spekuliert beispielsweise Solarworld. So schwierig die Lage beim Modulhersteller ist, er will seine Werke im sächsischen Freiberg ausbauen. "Wir sind überzeugt, dass sich ein Hightech-Produkt in Deutschland wettbewerbsfähig herstellen lässt", sagt Boris Klebensberger, der bei Solarworld für das operative Geschäft zuständig ist. Auch Bosch setzt trotz Verlusten im Solargeschäft weiter auf die Photovoltaik "made in Germany". Ex-Konzernchef Franz Fehrenbach hatte angekündigt, in diesem Bereich spätestens in fünf Jahren Gewinne erwirtschaften zu wollen. Von diesem Ziel ist sein Nachfolger Volkmar Denner bisher nicht abgerückt. Hoffen kann sogar Q-Cells: Insolvenzverwalter Henning Schorisch sagt, dank guter Nachfrage werde am Standort Thalheim derzeit an sieben Tagen in der Woche gearbeitet, und die Chancen stünden gut, dass dies auch in Zukunft so bleibe.

Erfüllen sich die Hoffnungen nicht – ein heißes Eisen haben deutsche Firmen auf jeden Fall im Feuer. Dank ihres Know-hows im Maschinenbau sind sie als Lieferanten und Errichter von Fertigungsstraßen auch in der Solarbranche gefragt. Experten wie Jan Schmidt vom Institut für Solarenergieforschung Hameln (ISFH) sehen eine deutliche Investitionsbereitschaft der Zulieferer und werten dies als klares Signal für einen baldigen Wiederaufschwung im Anlagenbau. "Zulieferer nutzen intensiv unser Wissen, wie sich Maschinen auf die neueste Solarzellgeneration aufrüsten lassen", erklärt der Leiter der Abteilung Photovoltaik am ISFH.

Verbandsvertreter Körnig schätzt, dass hier bis 2020 fast 10000 neue Stellen entstehen. "Diese Firmen leben in erster Linie vom Export nach Asien. Sie sind daher weniger stark auf die heimische Industrie angewiesen." Und dass die üppig mit zinsgünstigen staatlichen Krediten ausgestattete chinesische Solarindustrie bei der nächsten Regung der Märkte wieder in neue Fertigungstechnik investieren wird, gilt als sicher. "In China ist es ein Staatsziel: Die chinesischen Hersteller sollen den zukunftsträchtigen Photovoltaik-Weltmarkt um jeden Preis dominieren", sagt der Unternehmensberater und Chinaexperte Frank Haugwitz.

Zudem positionieren sich Automatisierungsspezialisten wie Kuka oder Reis Robotics im aufkommenden Speichermarkt. Europäische Batteriehersteller wie Leclanché, Saft oder Varta bauen derzeit neue Produktionskapazitäten für Hochleistungsakkus auf. Mit ihnen lassen sich unter anderem Produktionsschwankungen aus Sonnen- und Windenergieanlagen abpuffern. Ohne dieses Lastmanagement ließe sich eine Versorgung auf Basis erneuerbarer Energien nur schwer realisieren.

Die Maschinenbauer beteiligen sich am Aufbau der Batteriefabriken, indem sie die nötige Prozesstechnik liefern. "Besonders bei der Automatisierung gibt es großen Nachholbedarf. Wir brauchen jetzt Innovation in der Produktion, um die Kosten zu senken", sagt Thilo Brodtmann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Maschinenbauverbands VDMA.

Können sich die Flaggschiffe der Industrie halten, bleiben auch die Wissenschaftler. Solarforschung und Produktion sind in Deutschland eng miteinander verwoben. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg oder das ISFH in Hameln verdienen den Großteil ihres Geldes über Industrieprojekte, die sie selbst akquirieren. Sie kooperieren mit den Herstellern und Maschinenbauern bei der Entwicklung von Zellen und Fertigungsprozessen und unterstützen sie, die Neuerungen in die Produktion zu übertragen. Ohne diese Aufträge würden in den Instituten schnell die Lichter ausgehen. Danach sieht es aber nach Angaben von ISFH-Experte Schmidt nicht aus: "Die Nachfrage ist nicht geringer geworden."

Für die deutsche Solarbranche gibt es also durchaus Perspektiven. Abgewirtschaftet hat die deutsche Solarindustrie noch lange nicht. (bsc [1])


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