Warum Quantencomputer ein Hype-Problem haben

Start-ups im Bereich Quantum Computing sind aktuell äußerst trendy. Allerdings weiß niemand, ob sie kurzfristig überhaupt etwa Sinnhaftes produzieren werden.

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Ein Quantencomputer.

(Bild: Bartlomiej K. Wroblewski / Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Sankar Das Sarma
Inhaltsverzeichnis

Als Buzzword rangiert "Quantum Computing" in Sachen Hype wahrscheinlich nur knapp hinter KI. Große Technologieunternehmen wie Alphabet, Amazon und Microsoft betreiben inzwischen umfangreiche Forschungs- und Entwicklungsarbeit im Bereich der Quantenrechner. Auch eine Reihe von Start-ups sind entstanden, von denen einige mit schwindelerregenden Bewertungen aufwarten können. IonQ zum Beispiel wurde beim Börsengang im Oktober durch eine Übernahmegesellschaft mit gut 2 Milliarden Dollar bewertet. Viele dieser Aktivitäten haben sich in den letzten drei Jahren mit verblüffender Geschwindigkeit entwickelt.

Ich bin absoluter Befürworter der Quanteninformatik, so sehr wie man es nur sein kann: Ich habe mehr als 100 technische Abhandlungen zu dem Thema veröffentlicht und viele meiner Doktoranden und Postdocs sind heute weltweit bekannte Quantencomputer-Experten. Aber ich bin trotzdem beunruhigt über den Hype, der heutzutage um das Quantencomputing gemacht wird – vor allem, wenn es darum geht, wie es kommerzialisiert werden soll.

Es gibt bereits etablierte Anwendungen für Quantencomputer. Am bekanntesten ist der theoretische Nachweis von Peter Shor aus dem Jahr 1994, dass ein Quantencomputer das schwierige Problem, die Primfaktoren großer Zahlen zu finden, exponentiell schneller lösen kann als alle klassischen Verfahren. Die Primfaktorzerlegung ist das Kernstück der allgemein verwendeten RSA-basierten Kryptographie, sodass Shors Faktorisierungsschema sofort die Aufmerksamkeit von Regierungen in aller Welt auf sich zog und zu einer beträchtlichen Finanzierung der Quantencomputerforschung führte.

Das Problem: Einen Quantencomputer zu bauen, der dies überhaupt leisten kann. Das hängt von der Umsetzung einer von Shor und anderen entwickelten Idee ab, die als Quantenfehlerkorrektur bezeichnet wird. Dabei handelt es sich um einen Prozess, der die Tatsache ausgleicht, dass Quantenzustände aufgrund von Umgebungsrauschen schnell verschwinden (ein Phänomen, das als "Dekohärenz" bezeichnet wird). 1994 dachten die Wissenschaftler, dass eine solche Fehlerkorrektur einfach zu bewerkstelligen sei, da die Physik dies zulässt. In der Praxis ist sie jedoch äußerst schwierig.

Die fortschrittlichsten Quantencomputer haben heute Dutzende von dekohärenten (oder "verrauschten") physikalischen Qubits. Der Bau eines Quantencomputers, der die RSA-Verschlüsselung aus solchen Komponenten knacken könnte, würde allerdings viele Millionen – wenn nicht Milliarden – Qubits erfordern. Nur einige Zehntausend davon würden für Berechnungen verwendet – so genannte logische Qubits; der Rest würde für die Fehlerkorrektur benötigt, um die Dekohärenz zu kompensieren.

Die Qubit-Systeme, die wir heute haben, sind eine enorme wissenschaftliche Leistung, aber sie bringen uns einem Quantencomputer, der Probleme lösen kann, die irgendjemanden interessiert, keinen Schritt näher. Es ist so, als würde man versuchen, die besten Smartphones von heute mit Vakuumröhren aus dem frühen 19. Jahrhundert zu bauen. Man kann 100 Röhren zusammenstecken und behaupten, dass man damit alle möglichen Wunder vollbringen könnte, wenn man 10 Milliarden von ihnen irgendwie dazu bringen könnte, kohärent und nahtlos zusammenzuarbeiten. Was dabei jedoch fehlt, ist der Durchbruch von integrierten Schaltkreisen und CPUs, der dann zu Smartphones geführt hat. Es hat 60 Jahre sehr harter Ingenieursarbeit gebraucht, um von der Erfindung der Transistoren zum Smartphone zu gelangen, ohne dass dabei neue physikalische Verfahren zum Einsatz kamen.

Es gibt in der Tat Ideen – und ich habe selbst eine gewisse Rolle bei der Entwicklung der Theorien für diese Ideen gespielt – zur Umgehung der Quantenfehlerkorrektur durch die Verwendung weitaus stabilerer Qubits in einem Ansatz, der als topologisches Quantencomputing bezeichnet wird. Microsoft arbeitet an dieser Idee. Es zeigt sich jedoch, dass die Entwicklung topologischer Quantencomputer-Hardware ebenfalls eine große Herausforderung darstellt. Es ist unklar, ob die umfassende Quantenfehlerkorrektur oder das topologische Quantencomputing (oder etwas anderes, z. B. eine Mischung aus beidem) letztendlich der Gewinner sein wird.

Physiker sind, wie wir alle wissen, clever (ich bin Physiker) – und einige Physiker sind auch sehr gut darin, sich gut klingende Akronyme auszudenken, die im Gedächtnis haften bleiben. Die große Schwierigkeit, die Dekohärenz loszuwerden, hat zu dem beeindruckenden Akronym NISQ für "noisy intermediate scale quantum" Computer geführt – die Idee also, dass kleine Ansammlungen von verrauschten physikalischen Qubits etwas Nützliches und Besseres leisten könnten als ein klassischer Computer. Ich bin mir nicht sicher, was das heißt: Wie verrauscht? Wie viele Qubits? Warum ist es ein Computer? Welche wertvollen Probleme kann eine solche NISQ-Maschine lösen?

Fokus: Quantentechnologie

In einem kürzlich bei Google durchgeführten Laborexperiment wurden mit 20 verrauschten supraleitenden Qubits einige vorhergesagte Aspekte der Quantendynamik (die als "Zeitkristalle" bezeichnet werden) beobachtet. Das Experiment war eine beeindruckende Demonstration elektronischer Kontrolltechniken, aber es zeigte keinen Rechenvorteil gegenüber herkömmlichen Computern, die Zeitkristalle mit einer ähnlichen Anzahl virtueller Qubits problemlos simulieren können. Es hat auch nichts über die grundlegende Physik von Zeitkristallen verraten. Ein weiterer Erfolg von NISQ sind aktuelle Experimente zur Simulation zufälliger Quantenschaltungen, ebenfalls eine hochspezialisierte Aufgabe ohne jeglichen kommerziellen Wert.

Die Verwendung von NISQ ist sicherlich eine hervorragende neue Idee für die Grundlagenforschung – sie könnte die physikalische Forschung in grundlegenden Bereichen wie der Quantendynamik unterstützen. Aber trotz des ständigen Hypes um NISQ, der von verschiedenen Start-ups im Bereich der Quanteninformatik ausgeht, ist das Kommerzialisierungspotenzial alles andere als klar. Ich habe vage Behauptungen darüber gelesen, wie NISQ zur schnellen Optimierung oder sogar zum KI-Training eingesetzt werden könnte. Ich bin kein Experte für Optimierung oder künstliche Intelligenz, aber ich habe die Experten gefragt, und sie sind ebenso ratlos. Ich habe Forscher, die an verschiedenen Start-ups beteiligt sind, gefragt, wie NISQ irgendeine schwierige Aufgabe mit realen Anwendungen optimieren könnte, und ich interpretiere ihre verworrenen Antworten so, dass sie im Grunde sagen, dass wir nicht ganz verstehen, wie klassisches maschinelles Lernen und KI wirklich funktionieren, und dass es daher möglich ist, dass NISQ dies noch schneller tun könnte. Vielleicht, aber das ist ein Hoffen, keine umsetzbare Technologie.

MINT-Jobtag am 5. April 2022 in München

Die bewährte Jobmesse speziell für den MINT-Bereich geht im Jahr 2022 in eine neue Runde. Das Event bringt Fachrkäfte, Berufseinsteiger und Firmen in München zusammen. Das Tagesprogramm bietet die Unternehmensausstellung, kostenlose Bewerbungsmappen-Checks sowie professionelle Bewerbungsfotos und ein Vorträge von Experten rund um Karriere im MINT-Bereich.

Es gibt Vorschläge, kleine Quantencomputer für die Entwicklung von Arzneimitteln einzusetzen, um die Molekülstruktur schnell zu berechnen, was eine verblüffende Anwendung ist, wenn man bedenkt, dass diese Quantenchemie nur einen winzigen Teil des gesamten Prozesses ausmacht. Ebenso verwirrend sind die Behauptungen, dass Quantencomputer in naher Zukunft im Finanzwesen helfen werden. In keiner technischen Veröffentlichung wird überzeugend dargelegt, dass kleine Quantencomputer, geschweige denn NISQ-Maschinen, zu einer signifikanten Optimierung des algorithmischen Handels, der Risikobewertung, der Arbitrage, des Hedging, des Targeting und der Vorhersage sowie des Handels mit Vermögenswerten an sich oder der Erstellung von Risikoprofilen führen könnten. Dies hat jedoch mehrere Investmentbanken nicht davon abgehalten, auf den Quantencomputer-Zug aufzuspringen.

Ein echter Quantencomputer wird Anwendungen haben, die heute noch unvorstellbar sind, so wie 1947, als der erste Transistor hergestellt wurde, niemand absehen konnte, wie er letztlich zu Smartphones und Laptops führen würde. Ich bin sehr hoffnungsfroh und glaube fest an die Quantencomputer als potenziell bahnbrechende Technologie, aber die Behauptung, dass sie in naher Zukunft Millionen von Dollar an Gewinnen für reale Unternehmen, die Dienstleistungen oder Produkte verkaufen, einbringen, macht mich stutzig.

Das Quantencomputing ist in der Tat eine der wichtigsten Entwicklungen nicht nur in der Physik, sondern in der gesamten Wissenschaft. Aber "Verschränkung" und "Superposition" sind keine Zauberstäbe, von denen wir erwarten, dass sie in naher Zukunft die Technik verändern werden. Die Quantenmechanik ist in der Tat seltsam und kontraintuitiv, aber das allein ist noch keine Garantie für Umsatz und Gewinn eines Start-ups.

Vor mehr als einem Jahrzehnt wurde ich oft gefragt, wann meiner Meinung nach ein echter Quantencomputer gebaut werden würde. (Interessanterweise werde ich heute nicht mehr mit dieser Frage konfrontiert, da der Hype um die Quantencomputer die Menschen offenbar davon überzeugt hat, dass diese Systeme bereits existieren oder kurz vor der Fertigstellung stehen.) Meine eindeutige Antwort war immer: Ich weiß es nicht. Es ist unmöglich, die Zukunft der Technik vorherzusagen – sie passiert, wenn sie passiert. Man könnte versuchen, eine Analogie mit der Vergangenheit zu ziehen.

Die Luftfahrtindustrie hat mehr als 60 Jahre gebraucht, um von den Gebrüdern Wright zu Jumbo-Jets zu gelangen, die Hunderte von Passagieren über Tausende von Kilometern befördern. Die unmittelbare Frage ist, wo die Entwicklung der Quanteninformatik in ihrer heutigen Form auf dieser Zeitachse einzuordnen ist. Bei den Gebrüdern Wright im Jahr 1903? Bei den ersten Düsenflugzeugen um 1940? Oder sind wir vielleicht noch weit zurück im frühen 16. Jahrhundert, bei Leonardo da Vincis Flugmaschine? Ich weiß es nicht. Und sonst tut das auch niemand.

Sankar Das Sarma ist Direktor des Condensed Matter Theory Center an der University of Maryland, College Park.

(bsc)