Was kennzeichnet ein Lean Startup?

Die Lean-Startup-Methode ist die Kombination von schnellem Feedback und Iterationen zum Produkt, dem Überprüfen des Geschäftsmodells und dementsprechend die Schnittmenge aus Kunden- und agiler Softwareentwicklung.

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  • Nina Schwab
Inhaltsverzeichnis

Die Lean-Startup-Methode ist die Kombination von schnellem Feedback und Iterationen zum Produkt, dem Überprüfen des Geschäftsmodells und dementsprechend die Schnittmenge aus Kunden- und agiler Softwareentwicklung. Mit ihr lässt sich früh genug auf Fehlentwicklungen reagieren und womöglich ein strategischer Kurswechsel herbeiführen.

Die Lean-Startup-Bewegung ist derzeit in aller Munde. In vielen Städten rund um den Globus werden sogenannte Lean Startup Circles gegründet und Meetings zum Thema abgehalten. Im Dezember 2012 fand gar die erste offizielle "Lean Startup Conference" in San Francisco statt, die live als Simulcast in zahlreiche Städte der Welt übertragen wurde.

Den Stein ins Rollen brachte Eric Ries mit seinem Buch "The Lean Startup". In diesem definierte er ein Start-up zunächst als eine menschliche Institution, die ein neues, innovatives Produkt oder eine neue Dienstleistung in einem Umfeld extremer Ungewissheit entwickelt. Darüber hinaus versteht Steve Blank, der Begründer des Customer-Development-Konzepts, darunter eine Organisation auf der Suche nach einem skalierbaren Geschäftsmodell. Dieses beschreibt dabei, wie und womit das Unternehmen seine Erlöse generiert.

Die Herausforderung für ein Start-up besteht somit unter anderem darin herauszufinden, ob das gewählte Geschäftsmodell das richtige ist. Wenn der Umsatz, die Nutzerzahl oder der Traffic steigen und sich eine positive Entwicklung abzeichnet, hat das Start-up sicherlich einen Meilenstein erreicht, doch heißt das nicht, dass es das optimale Geschäftsmodell gefunden hat. Deswegen besteht die Aufgabe der Entrepreneure darin, das Modell zu validieren und zu überprüfen, ob die früheren Voraussagen zutreffen oder nicht.

Unterstützend und parallel zur Lean-Startup-Bewegung haben sich alternative Wege zur Bestimmung des eigenen Geschäftsmodells mit seinen einzelnen Komponenten durchgesetzt. Ein Beispiel ist der "Business Model Canvas" aus dem Buch "Business Model Generation" von Alexander Osterwalder und Yves Pigneur. Bei ihm werden die einzelnen Bereiche eines Business-Plans strukturiert und anschaulich auf einer einzelnen Seite dargestellt. Er setzt sich aus der Beschreibung der Vision und den Überlegungen zum Produkt zusammen. Er definiert, welche Funktionen das Produkt haben sollte, welche Kundengruppen sich davon angesprochen fühlen könnten und welche Distributionskanäle man nutzen möchte. Nicht zuletzt wird festgehalten, wie die Finanzierung aussehen soll. Die Struktur des Business Model Canvas erleichtert das Erstellen und das Erklären des eigenen Geschäftsmodells.

Start-ups operieren in einem Umfeld großer Ungewissheit. Kundensegment und Produkt sind zwar definiert, basieren aber auf Vermutungen. Bei der Gründung des Start-ups steht noch nicht fest, ob das Produkt beim Kunden ankommt und – was noch viel wichtiger ist – ob es Personen gibt, die bereit sind, das Produkt überhaupt zu nutzen beziehungsweise zu kaufen. In den meisten Fällen steht zudem nur wenig Kapital zur Verfügung, wodurch es umso wichtiger wird, so schnell wie möglich Erfolge zu erzielen.

Viele Start-ups scheitern, weil sie viel Zeit und Geld investieren, um am Ende festzustellen, dass sie das "falsche" Produkt entwickelt haben. Die Lean-Startup-Methode kann dabei helfen, dieser Entwicklung entgegenzuwirken, die Ungewissheit zu verringern und das Risiko weitgehend zu minimieren. Es geht vor allem darum, die Produktentwicklung so effizient wie möglich zu gestalten, indem das Start-up seine Kunden sehr früh in den Findungs- und Gestaltungsprozess einbindet und somit nicht am Kunden vorbei entwickelt.

Es versteht sich von selbst, dass diese Methoden nicht nur für Start-ups und KMUs hilfreich sind, sondern durchaus auch bei Großunternehmen Anwendung finden können. Das gilt besonders, wenn sie sich ebenfalls in einem ungewissen Umfeld bewegen oder es um die Entwicklung neuer Produkte geht, für die es keinerlei Erfahrungswerte gibt.

Die frühe Einbindung der Kunden in die Produktentwicklung und damit die Präsentation eines noch nicht ausgereiften Produkts stellt für viele Unternehmen eine große Herausforderung und Überwindung dar, die es zu überwinden gilt. Wenn die potenziellen Kunden nämlich erst nach einer langen Entwicklungsphase mit dem Produkt in Berührung kommen, geht der Entrepreneur ein hohes Risiko ein. Nichts ist schlimmer, als am Ende herauszufinden, dass die Idee, die man am Anfang hatte, genial war, man aber ab einem bestimmten Zeitpunkt in die falsche Richtung entwickelt hat. Allein der Austausch mit den Kunden kann helfen, früh genug die Weichen für ein erfolgreiches Produkt zu stellen. Im Gespräch erfährt man, welche Probleme die Kunden wirklich haben, und kann darauf hin arbeiten, das Problem mit seinem Produkt entsprechend zu lösen.

Nach Ries ist ein "Lean Startup" somit die Verbindung aus schnellem Feedback und Iterationen zum Produkt, dem Verifizieren (oder Falsifizieren) der Annahmen des Geschäftsmodells und dementsprechend die Schnittmenge aus Kundenentwicklung und agiler Softwareentwicklung (möglichst unter Verwendung von Open-Source-Software).

Die Grundprinzipien der Lean-Startup-Methode setzen sich folgendermaßen zusammen:

  1. Entrepreneure gibt es überall: Sie finden sich in Start-ups und in allen Unternehmen oder Bereichen, in denen neue, innovative Produkte (oder Dienstleistungen) unter unsicheren Bedingungen geschaffen werden sollen.
  2. Entrepreneurship ist Management: Ein gewisses Maß an Führung bringt Sicherheit und verringert das Risiko.
  3. Validierte Lernprozesse: Das übergeordnete Ziel eines Unternehmens ist, ein Produkt zu erstellen, Kundenbedürfnisse damit zu befriedigen und letztlich Geld dabei zu verdienen. Beim validierten Lernen geht es um die Integration einer Feedbackschleife und die Durchführung von Experimenten in kurzen Abständen. Die damit verbundene Intention ist es, die getroffenen Annahmen sowie die unternehmerische Vision zu überprüfen und basierend auf den Ergebnissen gegebenenfalls anzupassen.
  4. Bauen, Messen, Lernen: Dieser Punkt beschreibt die Vorgehensweise im Entwicklungsprozess. Am Anfang steht eine Idee. Auf ihr beruhend wird ein Produkt erstellt, das dem Markt (oder einer Zielgruppe) zugänglich gemacht wird. Danach werden die Reaktion auf das Produkt gemessen und die Lehre aus den Ergebnissen gezogen. Anschließend beginnt die Schleife von Neuem; gegebenenfalls mit einer angepassten oder weiterentwickelten Version.
  5. Innovationsbilanz: Hierbei werden Fortschritte, Erfolge und Misserfolge gemessen und als Konsequenz aus den Erfahrungen die entsprechenden Prioritäten gesetzt.

Das Ziel eines Entrepreneurs sollte es unter anderem sein zu untersuchen, wie sich das Unternehmen entwickelt, ob die richtige Strategie mit einem geeigneten Produkt verfolgt wird und wie es aus Fehlern und Erfahrungen lernen kann. Es ist wichtig, seine Annahmen in regelmäßigen Abständen zu überprüfen.

Um das Risiko zu minimieren, rät Ries in seinem Buch zum MVP (Minimum Viable Product). Ein zu deutsch minimal funktionsfähiges Produkt ist die geringstmögliche Größe (was den Zeit- und Kostenaufwand betrifft) eines Produkts. Die geringe Funktionsumfang ermöglicht ein schnelles Kundenfeedback und fördert den erwünschten Lernprozess.

Für das Überprüfen eines MVP werden entsprechende Experimente durchgeführt. Am Anfang eines jeden steht eine klar definierte Hypothese, die es zu validieren oder falsifizieren gilt. Dann wird das MVP vorgestellt und die Reaktion darauf gemessen. Folgende Fragen sollten sich dabei beantworten lassen:

  • Welches Problem soll gelöst werden?
  • Wie würde die Lösung beim Kunden ankommen? Haben sie das Problem wirklich?
  • Ist der Fragesteller der Richtige, um das Problem zu lösen?
  • Würden die Kunden die Lösung akzeptieren?
  • Welche Art von Kunden würde das interessieren?
  • Welches Produkt könnte das Problem lösen?

Oftmals wird ein fertiges Produkt auf den Markt gebracht, ohne vorher Annahmen zu validieren. Die genannte Vorgehensweise bietet ein geeignetes Mittel, rechtzeitig Fehlentwicklungen zu vermeiden.

Die richtigen Metriken zu finden ist manchmal nicht einfach. Es gibt genügend, die einen positiven Eindruck vermitteln, ohne dabei konkrete Hinweise auf die Entwicklung des Unternehmens zu geben. Generell sollten bei der Wahl der Metriken drei einfache Merkmale erfüllt sein, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten: Sie sollten aktionsorientiert, allgemein zugänglich und allgemein nachprüfbar sein.

Aktionsorientiert: Hierbei sollte der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung bestätigt werden. Die Ergebnisse müssen zeigen, welche Ausprägung des Produkts welches Verhalten hervorruft. Außerdem sollte das Ergebnis wiederholbar sein. Ein klassischer Fall einer nicht aktionsorientierten Metrik ist beispielsweise der Anstieg an Nutzerzahlen einer Webapplikation, wenn sich diesem keine Aktion direkt zuordnen lässt. Es ist dann nicht zu erkennen, ob der Anstieg durch die Änderung des Produkts zustande gekommen ist, er durch eine Marketingaktion beeinflusst wurde oder zum Zeitpunkt der Beobachtung einfach ein paar besonders aktive Besucher auf der Seite waren, die den Feiertag zum Surfen im Internet genutzt haben.

Allgemein zugänglich: Die vorgenommen Messungen sollten den Mitarbeitern des Unternehmens jederzeit zugänglich sein. In vielen Start-ups beobachtet man Dashboards, die alle wichtigen Kennzahlen aufzeigen. Die Darstellung sollte dabei so einfach und so unmissverständlich wie möglich erfolgen.

Allgemein nachprüfbar: Die Ergebnisse müssen für alle Mitarbeiter nachprüfbar und glaubhaft sein. Wenn das Vertrauen in die erhobenen Daten nicht gegeben ist, leidet das gesamte Projekt darunter.

Ein geeignetes Instrument zur Analyse der Kundengruppen stellt die Kohortenanalyse dar. Hierbei wird nicht die Gesamtheit der Kunden, sondern die Interaktion der Kohorten (Kundengruppen) mit dem Produkt betrachtet. Dabei erfolgt die Beobachtung des Verhaltens im Zeitverlauf von der Akquise bis zum möglichen Verkaufsabschluss. Bei der Bewerbung eines Produkts würde man beispielsweise messen, was in den unterschiedlichen Schritten der Prozesskette passiert und wie viele Kunden der Kohorte bis zum gewünschten Ereignis, nämlich dem Kauf des Produkts, gelangen.

Ein Vergleich der Kohorten kann über A/B-Tests (oder auch Split-Run-Test) erfolgen, bei denen das Produkt den Kohorten in zwei unterschiedlichen Versionen vorgelegt wird. Wie verhält sich die Kundengruppe, denen Produkt A angeboten wird, im Vergleich zu der, denen Produkt B präsentiert wird? Die Ausführung, die eine höhere Konversionsrate erreicht, sollte weiterentwickelt werden.

Der Investor Dave McClure hat eine geeignete Vorgehensweise bei der Analyse der Kohorten in seinem Blog-Post über die Verwendung der "Startup Metrics for Pirates" (am Beispiel einer Webapplikation) beschrieben. Dabei untersucht er das Verhalten der Nutzer in den einzelnen Phasen des "AARRR Funnel":

  • Acquisition: Nutzer kommt das erste Mal auf die Seite (über verschiedene Kanäle)
  • Activation: erste positive Erfahrung beim ersten Besuch
  • Retention: Nutzer kommt wieder und besucht die Seite mehrmals
  • Referral: Nutzer findet das Produkt so gut, dass er andere auf die Seite hinweist/eine Empfehlung ausspricht
  • Revenue: Nutzer kauft das Produkt zur weiteren Nutzung (bspw. in Form einer Pro-Version)

Bei Start-ups, die mit einem Kanban-System arbeiten, lässt sich die angestrebte kontinuierliche Verbesserung durch die Lean-Startup-Methode weiter unterstützen. Bei der Visualisierung und Abbildung der Prozessschritte am Kanban Board kommt in der Prozesskette ein Validierungsschritt hinzu, in dem Teams überprüfen, ob sich die aufgestellte Hypothese zum entwickelten Produkt/MVP validieren ließ oder nicht.

Hierbei werden die User Stories, MMFs (Minimum Marketable Feature), Features oder Arbeitspakete (je nach Definition und Größe) erst als abgeschlossen betrachtet, wenn ein validierter Lernprozess erfolgt ist – nämlich der positive oder negative Ausgang der Hypothesenüberprüfung. Sobald der Validierungsschritt abgeschlossen ist, kann auch das Ticket in die letzte Stufe übergehen beziehungsweise (je nach Kanban-System) vom Board genommen werden. Dabei ist wichtig, von vornherein genau festzulegen, welche Hypothese überprüft werden soll. So ist sichergestellt, dass die Vorgehensweise im Validierungsschritt klar ist und die Überprüfung keine Verzögerung verursacht.

Kanban Board inkl. Validierungsschritt

Schematische Darstellung des gleichen Kanban Board

Die Frage, ob der strategische Kurs weiter beibehalten oder ein Kurswechsel vorgenommen werden sollte, ist nicht leicht zu beantworten. Doch gibt es einige Anzeichen für einen nötigen Wechsel, die man nicht ignorieren sollte. Wenn beispielsweise die zuvor getroffenen Annahmen nicht im überzeugenden Maße bestätigt werden, die Produktexperimente keine klaren Ergebnisse liefern und sich das Gefühl einstellt, dass man sein Augenmerk mehr auf die Entwicklung neuer Produkte legen sollte, sind das Hinweise, die einen Kurswechsel nahelegen.

In einigen Fällen geht es dem Start-up in dieser Phase gar nicht so schlecht, es schreibt eventuell sogar schwarze Zahlen und hat einen gewissen Erfolg. Doch das Produkt skaliert nicht im erwarteten Maße, was mit der Zeit zum Problem wird.

Ist die Entscheidung für einen Kurswechsel gefallen, bedeutet das gleichzeitig, eine neue Hypothese aufzustellen. Das heißt, das Produkt, die Strategie und der mögliche Wachstumsmotor werden unter Einbeziehung der bisherigen Erfahrungen, Lernprozesse und des eingegangenen Feedbacks in eine neue Bahn gelenkt.

Es kann durchaus sein, dass mehrere Kurskorrekturen nötig sind, bis sich der Erfolg einstellt, was einiges an Kraft, Durchhaltevermögen und nicht zuletzt Kapital kostet. Die Anzahl an möglichen Korrekturen lässt sich dabei mit der Länge einer Startbahn vergleichen. Auch dort hat man nur einen bestimmten Raum zum Abheben. Gelingt das nicht, endet es in einer Katastrophe. Gelingt ein guter Start, kann es durchaus zum Höhenflug kommen.

Die Lean-Startup-Methode ist sicherlich kein Geheimrezept, mit dem sich der Erfolg mühelos einstellt. Mit ihrer Hilfe lässt sich aber eventuell früh genug reagieren und schneller Maßnahmen für einen Kurswechsel herbeiführen. Dadurch bleibt mehr Zeit, bis das Ende der Startbahn erreicht wird.

Nina Schwab
ist Projektmanagerin bei der Bewertungsplattform Tupalo.com mit Sitz in Wien und Anwenderin der Lean-Startup-Methode.

  • Eric Ries; The Lean Startup; Crown Business, 2011
  • Eric Ries; Evangelizing for the Lean Startup (Video)
  • Alexander Osterwalder, Yves Pigneur; Business Model Generation: A Handbook for Visionaries, Game Changers, and Challengers; Wiles, 2010
  • Ash Maurya; Running Lean: Iterate from Plan A to a Plan That Works; O'Reilly, 2012 (2. Aufl.)

(ane)