Was soll Twitter mit den Toten machen?

Der Kurznachrichtendienst wollte eigentliche alle Accounts stilllegen und neu vergeben, die seit sechs Monaten nicht verwendet wurden. Angehörige haben das verhindert.

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Twitter

(Bild: dpa, Fabian Sommer)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Charlotte Jee
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Adam Packer traf Dean auf Twitter. Er schrieb ihm, dass seine Katze süß aussehe. Sie begannen, sich Privatnachrichten zu schicken. Dann trafen sie sich 2015 erstmals in London am Trafalgar Square und erkannten, dass sie ein Paar werden würden, es war Liebe auf den ersten Tweet.

Im Herbst 2017 verstarb Dean dann an einer seltenen Form von Krebs. Seither kehrte Adam immer wieder zum Twitter-Account seines toten Freundes zurück, das Durchscrollen seines Profils beruhigte ihn. "Es war ein wichtiger Teil des Trauerprozesses. Sich seine Videos anzusehen, seine Stimme zu hören", sagt er.

Ende November erfuhr Adam dann, dass es womöglich bald aus sein könnte mit diesen Erinnerungen. Twitter schickte eine E-Mail an seine Benutzer, in der der Kurznachrichtendienst warnte, man werde alle Accounts, in die sich die Nutzer seit mehr als sechs Monaten nicht mehr eingeloggt haben, löschen – und zwar bereits ab dem 11. Dezember.

Mancher User freute sich über die Entscheidung, schließlich würde dadurch viele tolle Nutzernamen wieder frei – und die Chance, einen guten Twitter-Handle zu bekommen, ist heutzutage quasi einmalig, außer man kauft einen fremden Account.

Doch es dauerte nicht lange, bis User erkannten, dass die Twitter-Managemententscheidung womöglich dann doch keine so gute Idee gewesen war. Denn, das zeigt das Beispiel von Adam Packer: Solche Löschmaßnahmen würden auch dazu führen, dass Profile von der Plattform verschwinden, die Toten gehörten. Und Twitter hatte zunächst nicht vor, hier Einsprüche zuzulassen.

Zudem fehlt es dem Service an einem Feature, mit dem es möglich wäre, Twitter-Accounts in einen Erinnerungsmodus zu versetzen – während es eine solche Möglichkeit bei Facebook für Angehörige schon länger gibt. Bei Twitter wären die Accounts einfach permanent verschwunden und hätten womöglich sogar wichtige geschichtliche Zeugnisse gelöscht – etwa den Account des 2018 verstorbenen US-Politikers John McCain.

Bei Twitter erkannte man schließlich die Problematik in dem eigenen Vorschlag. Das Unternehmen schickte ein Statement an die Medien, laut dem man sich nun doch entschieden hat, inaktive Accounts am Leben zu lassen. Das soll zumindest so lange der Fall sein, bis es eine Möglichkeit gibt, einen Erinnerungsmodus a la Facebook zu aktivieren.

Es ist erstaunlich, dass sich das Unternehmen erst jetzt Gedanken über das Thema macht. Twitter gibt es nicht erst seit gestern, der Service ist mittlerweile 13 Jahre halt. Die Sicherung von Online-Spuren nach Todesfällen sind ein zunehmend wichtiges Thema, schließlich leben wir alle mehr und mehr im Netz. Verschwinden die Informationen, kann das für Betroffene enorm traumatisch sein, wie Drew Olanoff erzählen kann, dessen Vater im September 2015 starb.

Noch in einer schweren Trauerphase steckend, musste Olanoff bemerken, dass ein anderes Familienmitglied die Facebook-Seite seines Papas gelöscht hatte – inklusive privater Fotos, Videos, Postings und Privatnachrichten. Entsprechend geschockt war er, als er vernahm, dass dies nun auch dem Twitter-Account drohte. "Mir kam es vor, als würde ich die Facebook-Sache einfach noch einmal von vorne erleben."

Derzeit fordert Twitter seine Nutzer dazu auf, sich mindestens alle sechs Monate einzuloggen und einen Tweet abzusenden, damit der Account aktiv bleibt. Auf die Profile von Toten geht das Unternehmen nicht ein. Hier gibt es sehr spezielle Probleme: Manchmal existieren die Passwörter nicht, manchmal empfinden Angehörige es als Sakrileg, sich einzuloggen und/oder gar neue Tweets zu generieren.

Facebooks Erinnerungsmodus existiert hingegen bereits seit 2009. Um ihn zu aktivieren, müssen Angehörige das Todesdatum nennen sowie einen Beweis vorlegen, dass die Person wirklich verstorben ist – etwa einen Totenschein oder ein öffentlich publizierter Nachruf. Anschließend wird das Profil als "Memorial Account" geführt und so erhalten, wie es zuletzt war. Ein Einloggen ist nicht mehr möglich. Vor einigen Jahren kam jedoch die Möglichkeit hinzu, dass Freunde und Familie Erinnerungen an den Verstorbenen posten können.

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Nun muss Twitter endlich ran und eine Methode finden, mit den Toten umzugehen. Es wird keine leichte Aufgabe. Bei dem Service lassen sich Nutzer schwerer verifizieren, Pseudonyme sind erlaubt und einige Nutzer haben mehrere Accounts. Olanoff ist aber überzeugt, dass es hier Möglichkeiten gibt. "Das sind schlaue Leute, die kriegen das schon hin. Der einzige Grund, warum es bislang nicht passiert ist, liegt wohl daran, dass es so unglaublich schwer ist, die Leute zu verifizieren."

Den Stress, den Twitter den Angehörigen Verstorbener bereitet hat – und das, ohne scheinbar nachzudenken –, macht die Ankündigung allerdings nicht wieder gut. Olanoff und andere Betroffene spüren noch die Nachwirkungen.

"Das zeigt, welche Prioritäten eine Big-Tech-Firma hat, wenn es um unsere Daten geht", sagt Packer, der ebenfalls sauer ist. "Twitter gab uns die Möglichkeit, jeden Aspekt unseres Lebens mit anderen zu teilen."

Er wisse, dass der Kurznachrichtendienst auch nur ein Technikunternehmen sei, dass sein Geld mit den Daten der Nutzer verdient. "Aber es sollte für uns eine Methode geben, zu sagen: Diese Person sollte nicht einfach aus dem Internet gelöscht werden."

(bsc)