Wenn Menschen Geister-Bilder sehen

Mit einer neuen Technik lassen sich indirekt Bilder von Objekten erzeugen. Normalerweise ist dafür viel Rechenkraft erforderlich – doch man kann auch das menschliche Auge dafür einsetzen.

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Wenn Menschen Geister-Bilder sehen
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Ghost-Imaging ist einer der spannendsten Fortschritte im Bereich der Optik aus den vergangenen Jahren. Mit Ein-Pixel-Kameras und Licht, das nie mit dem fraglichen Objekt interagiert hat, werden dabei hochaufgelöste Bilder produziert.

Die Technik beruht auf intelligenten Algorithmen zur Verarbeitung der scheinbar zufälligen Daten, die von der Kamera gesammelt werden. Weil das so ist, sollte man meinen, dass sie wenig Relevanz für die menschliche Wahrnehmung hat – das visuelle System von Menschen dürfte nicht in der Lage sein, diese Art von Daten zu verarbeiten.

Doch das stimmt nicht. In einem neuen Fachaufsatz zeigen Alessandro Boccolini von der Heroit-Watt University in Edinburgh und Kollegen, dass auch Menschen Ghost-Bilder sehen können. Zudem erklären die Forscher, wie sich das Verfahren nutzen ließe, um das visuelle System auf vollkommen neue Arten zu erforschen und zu nutzen.

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Etwas Hintergrund: Bei Ghost-Imaging werden zufällige Lichtmuster auf ein Objekt projiziert und die Reflexionen mit einem einzelnen Pixel aufgezeichnet. Wenn man diesen Prozess mit unterschiedlichen Lichtmuster wiederholt, entsteht eine Datenreihe darüber, wie sich die Lichtintensität im Zeitverlauf verändert.

Nun könnte man denken, dass auch diese Datenpunkte zufällig sind. In Wirklichkeit aber korrelieren sie miteinander, weil das Licht vom selben Objekt reflektiert wird. Mit der richtigen Datenverarbeitung kann man diese Korrelation erkennbar machen – in Form eines Bildes des Objekts.

Nicht die gesamte Verarbeitung muss dabei im Computer erfolgen. Als Abkürzung kann man das Signal von dem Einzel-Pixel verwenden, um den Licht-Output einer zweiten LED zu modulieren. Dieser wird dann auf dasselbe Zufallsmuster projiziert, was dann für das nächste Muster wiederholt wird, und so weiter.

Das Bild des Objekts – das Ghost-Bild – lässt sich dann rekonstruieren, indem man das reflektierte Licht aus einer langen Sequenz von zufälligen Lichtmuster integriert. Interessanterweise entsteht das letztliche Bild dabei durch Licht, das mit dem Objekt selbst nie interagiert hat.

Boccolini und Kollegen wollten wissen, ob auch das menschliche visuelle System diesen Integrationsprozess übernehmen kann. Ihr Konzept: Die Muster werden in schneller Abfolge auf einen Bildschirm projiziert, um zu prüfen, ob eine Person, die ihn beobachtet, auf dieser Grundlage ein Bilder erkennen kann.

Mit einem ähnlichen Effekt sind wir in der Lage, eine Abfolge von Standbildern als kontinuierliche Bewegung wahrzunehmen. Jedoch war bislang keineswegs ausgemacht, dass das visuelle System auch die Zufallsmuster integrieren kann; dabei handelt es sich jeweils um eine zufällige Anordnung von schwarzen und weißen Pixeln, die als Hadamard-Muster bezeichnet wird.

Ob das Konzept funktioniert, ließ sich nur mit konkreten Tests herausfinden. Boccolini und Kollegen baten vier Probanden, sich die projizierten Muster anzusehen. Diese konnten beeinflussen, wie schnell die einzelnen Muster erscheinen, um zu prüfen, was das an ihrer Wahrnehmung verändert.

Die Ergebnisse sind faszinierend. Wenn die Muster relativ langsam aufeinander folgen, sieht das menschliche Auge laut Boccolini und Kollegen nur eine Ansammlung von quadratischen Pixeln. Doch wenn das Tempo einen bestimmten Wert übersteigt, wird plötzlich das Bild des Objekts erkennbar.

Dieser Wert ist mit Sicherheit eine wichtige Eigenschaft des menschlichen Sehvermögens. In dem Experiment konnten Bilder mit einer Rate von 20 Kilohertz projiziert werden, was bedeutet, dass alle 20 Millisekunden 200 Hadamard-Muster erscheinen.

Bei diesem Tempo konnten laut dem Aufsatz alle vier Probanden das Objekt sehen. Also muss das visuelle System eine Bilder-Folge auf eine bestimmte Weise integrieren. Wenn die Rate unter 200 Muster pro 20 Millisekunden fällt, wird das Bild jedoch rasch schlechter erkennbar.

Dies ist ein vollkommen neues visuelles Phänomen, das neue Möglichkeiten zur Erforschung des visuellen System schafft. „Wir nutzen die Technik für menschliche Ghost-Bilder, um die zeitliche Reaktion des Auges zu evaluieren, und kommen zu dem Schluss, dass das Bild für rund 20 Millisekunden erhalten bleibt, gefolgt von einer exponentiellen Verschlechterung über ebenfalls 20 Millisekunden“, schreiben die Forscher.

Die Tatsache, dass das Auge dabei nie mit dem Licht interagiert, das auf das Objekt trifft, eröffnet faszinierende Möglichkeiten – nicht zuletzt könnte man ein Objekt mit einer Wellenlänge beleuchten und mit einer anderen wahrnehmen. Tatsächlich müsste die beleuchtende Wellenlänge für das menschliche Auge gar nicht wahrnehmbar sein.

„Ghost-Imaging mit dem Auge eröffnet eine Reihe von vollkommen neuartigen Anwendungen wie die Echtzeit-Erweiterung des menschlichen Sehvermögens auf unsichtbare Wellenlängen“, schreiben Boccolino und Kollegen. Weil das visuelle System fast die ganze Arbeit allein erledigt, wären dafür keine zusätzlichen Bildschirme oder Berechnungen erforderlich.

Am stärksten interessieren sich die Forscher jedoch dafür, wie sich das neue Werkzeug nutzen lässt, um das visuelle System genauer zu untersuchen. Unter anderem könnte man erforschen, ob es noch mehr Berechnungen übernehmen kann. Das möchte das Team herausfinden, indem es unterschiedliche Muster in beide Augen oder unterschiedliche Bereiche der Retina strahlt. So soll geprüft werden, ob das visuelle System auch dann noch die Daten zu einem Bild integrieren kann.

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