Wenn Moleküle laufen lernen

Ein jetzt von Wissenschaftlern präsentierter "molekularer Läufer" könnte die Idee eines Nano-Abakus wiederbeleben.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Jürgen Brück
Inhaltsverzeichnis

In Gasen ist so richtig was los. Moleküle sind sehr beweglich und sie kommen ihrem Bewegungsdrang in diesem Aggregatzustand auch nach Lust und Laune nach. Geordnet sind die Bewegungen allerdings nicht. Bislang galt: Führt man Molekülen Energie zu, dann schwirren sie sich auf vollkommen unvorhersagbare Weise umher. Nun aber hat ein Forscherteam von der University of Califormia - Riverside um den deutschen Wissenschaftler Ludwig Bartels erstmals ein Molekül dazu gebracht, diese Regel zu verletzen und sich zielgerichtet zu bewegen. Dabei bewegt sich das Molekül 9,10-Dithioanthracen (DTA) nicht nur in einer geraden Linie entlang seiner eigenen Achse, es ahmt darüber hinaus den Gang eines Zweibeiners nach.

Eine entscheidende Rolle spielt dabei zunächst einmal der Aufbau des Moleküls selber. DTA besitzt einen lang gestreckten Rumpf aus drei Kohlenstoffringen. Am mittleren Ring befinden sich an beiden Seiten Schwefelatome, die es an die Oberfläche -- in diesem Fall ein Kupferblech -- , auf der sich das Molekül befindet, binden. Diese beiden Atome sorgen aber nicht nur für einen guten Halt auf der Unterlage, sie fungieren zudem als "Beinchen". Die Fortbewegung des DTA-Moleküls erfolgt nun "ähnlich, wie bei einem laufenden Menschen, bei dem ein Fuß auf dem Boden bleibt, während der Andere sich nach vorne bewegt und so den Körper antreibt," beschreibt Ludwig Bartels den Vorgang. Es bleibt also ein Schwefelatom mit der Unterlage verbunden, während das Zweite zwischen zwei möglichen Adsorptionsplätzen -- Orte, an denen eine Anlagerung des Atoms besonders gut möglich ist -- hin- und herpendelt, ohne diese jedoch ganz erreichen zu können. Führt man dem pendelnden Atom nun aber thermische Energie zu, kann es zu einem der Adsorptionsplätze gelangen und lagert sich dort an. Gleichzeitig löst sich das ehemals mit der Unterlage verbundene Atom und beginnt seinerseits zu pendeln. Der Vorgang kann erneut, nun auf der anderen Seite, beginnen. Das Molekül "läuft".

Das Besondere an dieser Art der Fortbewegung ist nicht nur, dass sie dem menschlichen Gehen nachempfunden ist, sondern dass das Molekül seinen Weg stets beibehält, ohne dass irgendwelche mikroskopisch kleinen Furchen oder Rillen ihm seinen Weg weisen. "Während unserer Test ist DTA mehr als 10.000 Schritte gelaufen, ohne dabei auch nur einmal ins Stolpern zu geraten oder vom Weg abzukommen," führt Bartels aus. "Unsere Arbeit zeigt, dass Moleküle ganz bewusst so gestaltet werden können, dass sie bestimmte dynamische Aufgaben auf einer Oberfläche übernehmen können."

Auf Grundlage dieser Entdeckung könnte nun ein Konzept aus den 90er Jahren wieder aktuell werden. Damals hatten Forscher von IBM versucht, mithilfe von Molekülen einfache Berechnungen durchzuführen. Diese speziellen molekularen Rechenchips sollten so ähnlich arbeiten, wie eine uralte Rechenmaschine, der Abakus: Ein Abakus besteht üblicherweise aus einem Holzrahmen, in dem sich mehrere parallele Stäbe befinden. Auf diesen Stäben kann man kleine Kugeln nach oben oder unter verschieben. Jeder Stab repräsentiert dabei einer Ziffer der darzustellenden Zahl (sind vier Kugeln nach oben geschoben, hat man es also mit einer 4 zu tun usw.). Durch geeignetes Verschieben der Kugeln lassen sich nun auf recht einfache Art und Weise Zahlen darstellen und auch Rechenoperationen durchführen.

Die Idee, die man bei IBM damals hatte, war ebenso einfach. Man wollte anstelle von Kugeln einzelne Moleküle auf Nanostäben verschieben. Diese Miniaturrechenbretter würden natürlich nur einen Bruchteil des Platzes einnehmen, den man für "herkömmliche" Chips benötigte. Damals scheiterte das Projekt daran, dass die Stäbe, auf denen die Moleküle gleiten sollten, nicht nah genug aneinander fabriziert werden konnten. "DTA benötigt keine derartigen Stäbe, um sich geradeaus zu bewegen und würde also einen viel einfacheren Weg der Produktion molekularer Speicher darstellen. Derartige Bausteine wären dann 1000mal kleiner als die gegenwärtig Gebräuchlichen," fasst Bartels die Möglichkeiten zusammen, die seine Technologie in Verbindung mit den alten Plänen der IBM-Forscher bieten könnte.

In Wissenschaftlerkreisen scheint man sich über die Bedeutung seiner Arbeit indes noch nicht ganz einig zu sein. So zeigt sich beispielsweise Flemming Besenbacher, Leiter des "Interdisciplinary Nanoscience Center" an der Universität Aarhus (Dänemark) nur wenig beeindruckt. Es handele sich zwar um eine "nette Arbeit", aber schon andere Forscher hätten sich auf diesem Gebiet verdient gemacht. Allerdings benötigte man in früheren Versuchen jeweils Oberflächen, die den Molekülen ihre Richtung - ähnlich wie Schienen - vorgaben. Insofern stellen die Ergebnisse des Teams aus Riverside doch einen Fortschritt dar. Das sieht auch Robert J. Celotta, Physiker am "National Institute of Standards & Technology (NIST)" in Gaithersberg, Maryland, der sich mit ähnlichen Versuchen (allerdings mit einem Kobald-Atom) beschäftigt hat, so. Er zeigt sich von den Ergebnissen seiner Kollegen begeistert: "Es stellt eine wunderbare Methode dar, um die Grundlagen der Bewegung von Molekülen besser verstehen zu können." Wie wertvoll die Arbeit des Teams aus Riverside nun wirklich ist, wird sich nicht zuletzt dann zeigen, wenn die Arbeiten am "Miniatur-Abakus" wieder aufgenommen werden.

Von Jürgen Brück (wst)