Werdet erwachsen!

Zukunftsvisionen müssen ihre Naivität verlieren, sagt Andreas Eschbach, einer der wichtigsten Science-Fiction-Autoren Europas.

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Werdet erwachsen!

(Bild: Foto: Uwe Zucchi/ Dpa Picture-Alliance)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Andreas Eschbach

Würde man eine Beschreibung unseres heutigen Alltags ins, sagen wir, Jahr 1962 transportieren, man könnte sie als pure, wenn auch etwas überspannte Science-Fiction verkaufen: Jeder Mensch trägt ein Telefon in der Hosentasche und hat über einen Computer, der kaum größer ist als ein Frühstücksbrettchen und den jedes Kind mit bloßen Fingerbewegungen bedienen kann, jederzeit Zugriff auf das Wissen der ganzen Welt, sogar dann, wenn er zum Beispiel gerade in einem Zug sitzt, der mit 300 Stundenkilometern dahinsaust. Computer in unseren Autos dirigieren uns mithilfe Hunderter von Weltraumsatelliten, kleine Geräte im Wohnzimmer beantworten uns jede Frage, und wir müssen uns ernsthaft sorgen, von unseren Rauchmeldern ausspioniert zu werden.

Das gäbe einen Artikel, der 1962 mit Interesse gelesen würde, obwohl oder vielleicht gerade weil die 60er-Jahre selber nicht gerade arm an eigenen Zukunftsvisionen waren: fliegende Autos für jedermann, Städte auf dem Mond, Haushaltsroboter, Steuerung des Wetters, Begrünung der Wüsten und Hochzeitsreisen ins All bevölkerten die Vorstellungen davon, wie „wir“ im 21. Jahrhundert leben würden. Und obwohl sich seither vieles davon verwirklicht hat, wenn auch nicht unbedingt genau so, herrscht heute ein auffallender Mangel an vergleichbaren Visionen unsere eigene Zukunft betreffend: Darüber, wie „wir“ im Jahr 2100 leben, will offenbar niemand so gern nachdenken.

Das hat mehrere Gründe. Einer davon ist, dass man heute einschlägige Zeitschriftenartikel aus der Zeit vor der Mondlandung nicht ohne Schmunzeln lesen kann. Was war man damals optimistisch! Und vor allem: Was war man damals naiv!

Man sieht das leicht an der Diskussion über fliegende Autos, die in letzter Zeit wieder aufgekommen ist. Heute sagt man nicht einfach nur: „Fliegende Autos – toll!“, sondern man denkt auch darüber nach, wie dadurch der Lärm in den Städten ins Unerträgliche gesteigert würde, und sieht die vielfach höheren Unfallgefahren: Dass ein fliegendes Auto nicht einfach rechts ranfahren kann, wenn es eine Panne hat, sondern womöglich abstürzt, das hätte man sich auch 1962 schon überlegen können. Doch damals neigte man dazu, mögliche negative Auswirkungen technischer Neuerungen großzügig auszublenden.

Wir haben in der Zwischenzeit gelernt, dass viele der Probleme, mit denen wir heute kämpfen, ihre Ursache in Lösungen anderer Probleme haben, und auf diesem Weg haben wir den bis zur Mondlandung vorherrschenden Optimismus eingebüßt, man könne alle Probleme durch Technik lösen. Im Gegenteil, unsere Erfahrung ist, dass es nichts gibt, das nicht irgendwo auch Nachteile hat. Dieses geniale Science-Fiction-Teil in jedermanns Hosentasche zum Beispiel verschafft uns nicht nur Kontakt mit aller Welt, sondern auch den Terror ständiger Erreichbarkeit, von der permanenten Überwachung ganz zu schweigen.

Zwar gibt es Technikbegeisterung immer noch, aber selbst in ihren wildesten Ausprägungen kommt sie nicht mehr annähernd so vollmundig daher wie seinerzeit.

(grh)