Wie Telepräsenz-Roboter in einem Café für neue Jobs sorgen

Mehr als zehn Jahre suchte der japanische Roboterentwickler OryLab ein Geschäftsmodell. Im Roboter-Café in Tokio können nun bettlägerige Menschen arbeiten.

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"Was darf ich Ihnen bringen?": Im Café Dawn in Tokio übernehmen Telepräsenz-Roboter die Laufarbeit.

(Bild: Martin Kölling)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Martin Kölling
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Der japanische Roboterentwickler OryLab gibt dem Begriff Telearbeit eine neue Bedeutung. Spätestens seit dem Ausbruch der Pandemie haben Menschen rund um die Welt den Begriff als Heimarbeit am Computer erlebt. OryLab allerdings ermöglicht, bettlägerigen Japanern aus dem ganzen Land mit fernbedienbaren Avator-Robotern dem Café namens "Dawn" in Tokio zu arbeiten.

Naoki ist einer dieser immobilisierten Mitarbeiter. Seinen Schichtbeginn tritt er über das Internet in einem Roboterkörper an, um Kunden die Feinheiten der verschiedenen Kaffeesorten im Angebot zu erklären und Bestellungen anzunehmen, die dann ein zum Barista umgewidmeter Industrieroboter zubereitet.

OriHime heißt Naokis Teleinkarnation. Es handelt sich um einen etwa 30 Zentimeter großen Miniroboter mit zwei flügelgleichen Armen, einem abstrakten Kopf mit großen Augen und einer Kamera als drittem Auge in der Stirn, die dem fernen Piloten genannten Kellner Blickkontakt mit den Kunden gestattet. Und er ist nicht allein im Café.

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Am Eingang begrüßt eine Bedienung über einen kleinen Roboter die Gäste. Eine 130 Zentimeter große Version namens OriHime D kann die Besucher an den Tisch führen und dank ihrer zwei vollwertigen Arme den Kaffee servieren. Andere Mini-Roboter beraten im Souvenirgeschäft bei der Auswahl von Mitbringseln. Selbst auf der Schulter des Barista-Roboters an der Bar balanciert ein weiterer Telepräsenz-Roboter.

Das Café ist das Resultat einer zwölfjährigen Suche nach einem Geschäftsmodell für Telepräsenzroboter, erklärt Aki Yuki, eine Mitgründerin und derzeit Chief Operating Officer des Start-ups. Gemeinsam mit dem anderen Gründer und Chef Kentaro Yoshifuji wollte sie ein Problem lösen, dass sie als Jugendliche bei einem Krankenhausaufenthalt beschäftigt hatte: Einsamkeit.

Daher setzten das Duo von Anfang an auf wenig komplexe Telepräsenzroboter ohne jede Spracherkennung oder eingebaute Intelligenz, die von Menschen über Computer oder Smartphones fernbedient werden können. "Es ist ein Avatar, ein zweiter Körper des Menschen", beschreibt Yuki die Idee. Er soll die Nutzer von ihren körperlichen Beschränkungen befreien.

Die Idee wurde schon früh mit Lob und Preisen überschüttet. Aber die Suche nach einem profitablen Geschäftsmodell gestaltete sich schwierig. "Zuerst haben wir es Krankenhäusern als Kommunikationsmittel für bettlägerige Patienten angeboten", erzählt Yuki bei einer Web-Präsentation für die amerikanische Columbia-Universität. Denn Yuki und Yoshifuji wollten ein Problem lösen, dass sie selbst durchleiden mussten.

Nur stießen sie bei Tests auf ein Problem: Patienten nahmen das Gerät an, doch die Krankenhäuser wollten dafür nicht zahlen. Erstens erleichterte das Gerät die Arbeit des Pflegepersonals nicht. Zweitens war auch das Pflegepersonal nicht überzeugt. Danach versuchten sie es in Altenheimen, mit ähnlichem Misserfolg.

Die Lehre der Gründer war, dass sie ein Geschäftsmodell finden müssen, bei dem die Nutzer, die Finanzverwalter wie auch andere Beteiligte zufrieden sein müssen. Das Produkt sollte mehr sein als nur eine gute oder gutgemeinte Idee. Also konzentrierten sie sich im dritten Anlauf auf Schulen.

Die Ory Lab-Gründer dachten sich: Dort geht es nicht um Heilung oder Aufbewahrung, sondern die Schulen haben die Verpflichtung, möglichst allen Kindern den Zugang zu Erziehung zu ermöglichen. Also sind die Schulbehörden eher bereit, für Experimente zu zahlen. Und viele Lehrer haben Leidenschaft für die Kinder und nehmen daher die Technik eher an.

"Endlich hatten wir ein akzeptables Geschäftsmodell für Avatar-Roboter gefunden", sagt Yuki. "Aber damit hatten wir noch immer das Problem der Einsamkeit nicht gelöst." Doch der nächste Schritt, das Café, bringt die Entwickler ihrem Ziel nun näher.

Während ihrer Suche trafen sie viele behinderte Menschen, die aufgrund ihrer Krankheit nicht gehen oder aufstehen können. Durch die Verbindung der Roboter mit Augen- oder Mundsteuerung ermöglichten sie selbst Personen, die vom Hals abwärts gelähmt waren und nicht sprechen konnten, wieder mit ihren Liebsten zu kommunizieren.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Telearbeit war eine Idee, wenigstens vor der Pandemie. Der Roboter würde sozusagen am Platz des Angestellten sitzen. Und die Kollegen könnten wie mit einem realen Menschen einfach auf Zuruf kommunizieren, ohne einen Telefonanruf oder Videocall zu initiieren. Aber ein weiteres Problem waren junge Menschen mit einer Schwerstbehinderung ohne Berufserfahrung, die nur schwer Jobs finden. Und so gründeten sie im Juni das Roboter-Café.

Und funktioniert es? Das Café hat immerhin seine Öffnungszeiten auf den Morgen ausgedehnt. Und die Kommunikation mit den telerepräsentierten Mitarbeitern fühlt sich fast normal an. Der Grund ist vielleicht, dass die dreidimensionalen Wesen nicht nur mit ihren Ärmchen gestikulieren, sondern auch den Kopf bewegen können, um "Augenkontakt" mit dem Kunden zu halten. Dazu kommen der menschliche Ton und Witz, sowie echte Antworten, die künstliche Intelligenz so bisher selten gelingt.

Auch die Interaktivität der Avatare miteinander mindert das Gefühl, mit Geräten zu sprechen. Das Fernpersonal am Barista-Roboter schaut sich bei ihren Dialogen direkt in ihre Roboteraugen. Der zum Barista umgeschulte Industrieroboter ist allerdings noch verbesserungswürdig. Bereits zu Beginn des Zubereitungsprozesses trat er in Streik und ließ sich auch durch Neustarts nicht zur Weiterarbeit bewegen.

(bsc)