Wie Vögel Offshore-Windrädern ausweichen – 360-Grad-Kamera und Radar zeigen es

Ein schottischer Windpark von Vattenfall ermittelte über zwei Jahre keine Kollisionen. Das gilt in und nach der Brutzeit, tagsüber und bei guter Sicht.​

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(Bild: PHOTOCREO Michal Bednarek/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
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Bei Onshore-Windkraftparks ist das Problem von Vogelkollisionen bekannt. Weniger gut erforscht war bisher, wie oft Seevögel gegen Offshore-Windräder fliegen und welche Arten besonders gefährdet sein könnten. Nun legen die Ergebnisse einer zweijährigen Untersuchung an Vattenfalls European Offshore Wind Deployment Centre in der Bucht von Aberdeen nahe, dass Seevögel die Hindernisse zumindest tagsüber und bei nicht allzu schlechtem Wetter gut umfliegen können.

2020 bis 2021 hatte die von Vattenfall beauftragte DHI Group aus Dänemark – ein auf Wasser spezialisiertes Software-Entwicklungs- und Ingenieurberatungsunternehmen – jeweils von April bis Oktober das Flugverhalten von Tölpeln und verschiedenen Möwenarten per 3D-Verfolgungstechnik beobachtet. Das umfasste die Brutzeit und einige Zeit davor und danach. Wie die DHI-Forscher in ihrem Bericht schreiben, verzeichnete ihr Monitoringsystem in den Untersuchungsperioden keinerlei Kollisionen.

Um die Windräder zu vermeiden, flogen die Vögel zunächst langsamer und wichen dann meist horizontal aus. Dreizehenmöwen bremsten schon 200 Meter vor den Rotorspitzen ab und wichen dann 140 bis 160 entfernt meist zur Seite aus. Silbermöwen und nicht näher identifizierte große Möwen wurden bei 120 Metern Abstand langsamer und änderten bei einer Entfernung von 90 bis 110 Metern ihre Richtung. Am kurzfristigsten reagierten Basstölpel, die 100 Meter vor den Windrädern langsamer wurden und erst 40 bis 50 Meter vor ihnen abdrehten.

"Wir hatten erwartet, dass das Kollisionsrisiko gering ist, aber für diese Seevogelarten scheint es tatsächlich sehr gering zu sein. Überraschend war aber, dass es gar keine Zusammenstöße gab“, sagt Henrik Skov, der das Projekt für die DHI Group geleitet hat. Sein Team hatte erwartet, mit der fortschrittlichen Ausrüstung mehr Kollisionen festzustellen.

Von April bis Oktober sind die Vögel am aktivsten, dann suchen in und nach der Brutzeit Tausende von ihnen am Rand der Windkraftanlage und gelegentlich auch zwischen den Windrädern nach Futter, so Skov.

Anders als an Land lassen sich Kollisionen auf See aber nicht durch das Zählen von toten Vogelkörpern um die Windräder herum nachvollziehen. Um das Flugverhalten der Vögel zu beobachten, platzierten die DHI-Forscher auf zwei der elf Windkraftanlagen – in der Mitte und am Rand der Windfarm – je eine Kamera mit 360-Grad-Rundumsicht und auf der äußeren Anlage auch ein Radargerät. Das System erfasste die nahenden Tiere zunächst per Radar und übergab sie automatisiert zur weiteren Verfolgung an die Kameras.

Eine Software ergänzte die sozusagen "flachen" Videobilder mit der Tiefenerfassung des Radars und triangulierten Höheninformationen zu dreidimensionalen Flugmustern zusammen. Dabei halfen die Radardaten auch, Geschwindigkeit und Richtung der Vögel zu ermitteln. Das System konnte Tiere über beide Kameras hinweg verfolgen, was im zweiten Jahr durch ein Künstliches Intelligenz-System gestützt erfolgte und die Trackinggenauigkeit erhöhte.

Die Gesamtsicht war dabei in der unteren rechten Ecke der Windfarm um etwas mehr als 90 Grad eingeschränkt. Hier verdeckte der Anlagenmast, auf dem das Radar angebracht war, das Abtastfeld. Zudem war das Radarsystem zwischen den Rotorblättern der einzelnen Anlagen "blind", so Skov, weil die Türme und Rotorblätter für zu viel "statische Störung" sorgten. Das ist eine Art ungewolltes Radar-Echo. Hier wurde rein per Kamera kontrolliert, ob es zu Kollisionen kommt.

Videosequenzen mit Beispielen für Mikro-Ausweichverhalten. Die obere Sequenz zeigt eine Heringsmöwe, die entlang der Rotorebene fliegt. Die untere Sequenz zeigt eine Heringsmöwe, die einen stillstehenden Rotor ohne Anpassungen senkrecht überfliegt.

(Bild: DHI Group)

Trotzdem "ist das eine sehr spannende Studie, weil man mit eindrucksvoller Technik versucht hat, die Flugwege genauer anzugucken", sagt Wolfgang Fiedler vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell. Mit 3.000 aufgezeichneten Flugsequenzen in zwei Jahren sei viel zusammengekommen. "Vielleicht übersieht das System mal ein oder zwei Vögel. Das ist wahrscheinlich um die Jahreszeit und bei den Arten kein so großes Problem, denn es sind keine Arten, die besonders häufig im Schwarm auftauchen", so der Wissenschaftler weiter.

Gleichzeitig wisse man aber, dass Kollisionen nachts und bei schlechter Sicht wesentlich häufiger sind als bei Tag und bei schönem Wetter. Von April bis Mitte Mai und ab September sind nachts über dem Meer zum großen Teil Zugvögel unterwegs. "Das Kollisionsrisiko könnte in den Zeiten, in denen wir nicht überwacht haben, höher sein: nachts, bei sehr dichtem Nebel oder sehr dichtem Regen", bestätigt auch Skov.

Für Fiedler wäre neben nächtlichen und Schlechtwetter-Untersuchungen noch eine weitere Frage wichtig: "Ein Problem sind nicht nur Kollisionen, sondern es kann ja auch ein Lebensraumverlust sein, wenn die Tiere großräumig ausweichen und eigentlich gute Nahrungsflächen nicht mehr nutzen. Dieser Schaden ist dann nicht so leicht zu beziffern", erklärt der Forscher. "Die Vermeidungsbeobachtungen fangen erst ein paar 100 Meter vor den Windrädern an. Damit ist nicht erfasst, ob sie noch großräumiger vermieden werden, die Vögel also gar nicht erst in diesen Bereich reinfliegen."

So zeige eine andere Studie mit Basstölpeln anhand von GPS-Telemetriedaten, bei denen man nicht abhängig von der Reichweite optischer System ist, dass die Vögel teilweise schon ab etwa einem Kilometer anfangen, auszuweichen. "Da sieht man in der Nordsee schon relativ gut, dass es Individuen gibt, die in diese Gebiete großräumig gar nicht reinfliegen", so Fiedler weiter.

Die DHI-Technik wäre auch an Land sehr vorteilhaft, sagt Fiedler. "Es tut sich viel in dem Bereich. So gibt es etwa Ansätze, die entweder nur mit Radar oder mit Radar und intelligenten Kameras Vögel in der Nähe von Windrädern beobachten. Dazu kommen Mechanismen, die das Windrad im Notfall abschalten sollen, wenn es merkt, da fliegt ein Geier oder Adler direkt darauf zu und dreht nicht ab." Da werde zwar "sicherlich mehr versprochen, als wirklich geht", aber die Systeme seien trotzdem recht nahe an der Einsatzreife.

(vsz)