Wie ein "Lockvogel"-Rezeptor das Coronavirus bekämpfen könnte

Auf der Suche nach neuen Behandlungsmöglichkeiten für COVID-19 stellen Wissenschaftler neuartige Rezeptoren her, um das Virus von unseren Zellen wegzulocken.

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(Bild: Fusion Medical Animation / Unsplash)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Tatyana Woodall
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Während die Ausbreitung von SARS-CoV-2 in Europa und anderswo weiter voranschreitet, gibt es nach wie vor kein wirklich schlagkräftiges Therapeutikum. Doch nun arbeiten Forscher an der nächsten Generation antiviraler Medikamente – einschließlich eines neuen Ansatzes, der dazu beitragen könnte, die Zeit bis zur Genesung von einer COVID-19-Erkrankung zu verkürzen.

Während zu den bestehenden Behandlungsformen neben klassischer Virostatika unter anderem Antikörper und Steroide gehören, konzentrieren sich Wissenschaftler in den USA und Europa jetzt auf die Entwicklung sogenannter Köderstoffe aus Rezeptoren, an die das Virus normalerweise bindet, wodurch seine schädlichen Auswirkungen neutralisiert werden könnten.

Um die neue Therapie zu entwickeln, mussten die Wissenschaftler zunächst Mäuse mit einer Variante des menschlichen Proteins, auf das COVID-19 beim Befall der Zellen setzt, erzeugen – dem Angiotensin-konvertierenden Enzym 2 (ACE2). Dieses befindet sich auf der Oberfläche vieler Zellen und trägt zur Regulierung von Körperfunktionen wie Heilungsprozessen, Entzündungen und sogar der Regulierung des Blutdrucks bei.

ACE2-Rezeptoren befinden sich zwar auf Zellen im ganzen Körper, aber besonders häufig in Lunge, Herz, Nieren und Leber – Organe, die von der Krankheit typischerweise angegriffen werden. Um die echten ACE2-Rezeptoren zu schützen, kommt nun ein "Lockvogel"-Rezeptor ins Spiel. Normalerweise wirken die Spike-Proteine auf der Oberfläche des Virus wie Schlüssel zu den ACE2-Rezeptoren und öffnen so die Tür zur Infektion. Aber die Köderstoffe, die je nach Krankheitsstadium intravenös oder durch die Nase verabreicht werden, fangen das Spike-Protein ab und führen es von den echten Rezeptoren weg. Nach der Infektion könnte die Behandlung die Viruslast im Körper verringern, was für die Patienten eine schnellere Genesung bedeuten würde.

In einer Studie unter der Leitung von Daniel Batlle, Medizinprofessor an der Northwestern University, zeigten Mäuse, die mit dem Coronavirus infiziert waren und die Behandlung erhielten, nur leichte Symptome im Vergleich zu unbehandelten Tieren, die oft sogar starben. Bis heute wurde allerdings nur eine klinische Studie mit dem ACE2-Produkt bei Patienten mit mittelschweren bis schweren Symptomen abgeschlossen. Dennoch gibt es immer mehr Forscher, die den neuen Ansatz unterstützen.

Batlles Team begann im Januar 2020 mit der Arbeit an den "Lockvogel"-Rezeptoren, nachdem es von dem ersten Fall in den USA erfahren hatte – und baute dabei auf den Erkenntnissen aus dem SARS-CoV-Ausbruch 2003 in China auf. "Wir wussten, dass der Rezeptor für SARS-CoV-2 höchstwahrscheinlich ACE2 sein würde, da dies bereits für SARS-CoV nachgewiesen worden war", sagt Batlle. Aber die Anwendung dieses Wissens war nicht so einfach. Michael Jewett, ein Professor für Chemieingenieurwesen an der Northwestern University, der nicht an der Studie beteiligt war, vergleicht den komplizierten Prozess der Herstellung eines "Lockvogel"-Rezeptors mit einem "besonders teuflischen" Puzzlespiel. "Das Re-Engineering komplexer biologischer Systeme kann sehr schwierig sein", sagt Jewett. "Es ist, als würde man ein Puzzle lösen, und jedes Mal, wenn man ein Teil hinzufügt, verändert sich der Rest des Puzzles."

Jewett sagt auch, dass solche auch "Decoy" genannten Rezeptoren im Vergleich zu Antikörperbehandlungen kostengünstiger und einfacher zu handhaben sein dürften. Einige Experten sind optimistisch, dass die Köder sowohl den ursprünglichen Virusstamm als auch künftige Mutationen abzuwehren können.

In einer anderen Studie konnte Erik Procko, Professor für Biochemie an der University of Illinois Urbana-Champaign, mithilfe des so genannten Deep Mutational Scanning Tausende verschiedener ACE2-Mutationen in einem einzigen Experiment untersuchen und feststellen, welche davon das Virus besser anziehen und binden können. Dann baute sein Team Köder, die die besten Mutationen nachahmten. Die Köder heften sich nicht an die Zellen, sondern schwimmen in der Flüssigkeit zwischen ihnen, um das Virus abzufangen, bevor es sich an die echten ACE2-Rezeptoren bindet.

Durch eine Kombination von drei Mutationen gelang es seinem Team, die Affinität des "Lockvogel"-Rezeptors für COVID-19 erheblich zu erhöhen. Sie schufen Decoys, die 50 Mal stärker an das Virus banden als ACE2 selbst. Um den Ansatz zu testen, verwendete Prockos Team menschliches Gewebe anstelle von lebenden Tieren.

"In der In-vitro-Gewebekultur wissen wir, dass einige der Decoys manchmal etwas besser, manchmal etwas schwächer, aber insgesamt genauso stark wirken wie monoklonale Antikörper, die für den Notfalleinsatz zugelassen sind oder sich in klinischen Studien befinden", sagt Procko.

Eine Befürchtung war, dass eine dieser Mutationen einen "Viral Escape" ermöglichen und die Resistenz des Virus gegen die Behandlung verstärken könnte. Da die "Lockvogel"-Rezeptoren jedoch den natürlichen Rezeptoren sehr ähnlich sind, so Procko, sei es unwahrscheinlich, dass das Virus durch ihre Wirkung wegmutiere.

Aufgrund von Unterschieden in der Infrastruktur ist der Zugang zu Technologien der synthetischen Biologie, die für die Schaffung der Decoys notwendig sind, weltweit ungleich verteilt. Bevor eine solche Therapie öffentlich verfügbar sein wird, sind weitere Forschungen – und höhere finanzielle Mittel – erforderlich. Aber Fortschritte wie diese könnten schließlich dazu beitragen, kostengünstige, mobile und einfach anzuwendende Behandlungen für COVID-19 zu entwickeln.

"Es gibt vielversprechende Anzeichen dafür, dass 'Lockvogel'-Rezeptoren, die dem menschlichen ACE2-Rezeptor sehr ähnlich sind, gegen alle diese neuen Varianten wirksam sind", sagt Procko. "Es würde mich nicht überraschen, wenn einige dieser Decoys in ein paar Jahren in den Kliniken eingesetzt werden könnten."

(bsc)