Wie viel erneuerbar ist richtig?

US-Wissenschaftler streiten darüber, ob der Strombedarf des Landes bezahlbar nur aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden könnte. Laut einer Studie wären dafür enorme Investitionen in Erzeugungskapazität und Speicher erforderlich.

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Von
  • James Temple
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Eine zunehmende Zahl von Städten und Bundesstaaten in den USA hat Gesetze vorgestellt oder verabschiedet, die verlangen, dass Strom innerhalb weniger Jahrzehnte nur noch aus erneuerbaren Quellen produziert wird.

Das mag sich nach einer guten Idee anhören. Jedoch gibt es zunehmend Streit, ob es nicht unnötig teuer und schwierig wäre, auf 100 Prozent erneuerbaren Quellen zu bestehen – und andere Energieformen zu ignorieren, die ebenfalls keine Treibhausgase produzieren, etwas Kernkraft oder fossile Kraftwerke mit Technologie zur Kohlendioxid-Abscheidung.

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Die neueste Unterstützung für diese These ist eine in der Zeitschrift Energy & Environmental Science veröffentlichte Studie, laut der Solar- und Windenergie zuverlässig ungefähr 80 Prozent der aktuellen US-Stromnachfrage decken könnten; um größere Blackouts zu verhindern, wären dann allerdings massive Investitionen in Speicher und Übertragung erforderlich. Um auf 100 Prozent zu kommen, müsste eine riesige Zahl von neuen Wind- und Solarkraftwerken neu gebaut oder die Speicherkapazität so sehr erhöht werden, dass es zu aktuellen Preisen prohibitiv teuer wäre. Ebenfalls möglich wäre eine Mischung aus beidem.

Das Grundproblem dabei ist, dass die Sonne nicht immer scheint und der Wind nicht immer weht. Für die Studie wurden stundenweise Wetterdaten aus 36 Jahren untersucht. Wie sich zeigte, gab es bei der erneuerbaren Stromproduktion selbst im kontinentalen Maßstab Lücken.

Allein mit diesen schwankenden Quellen zu arbeiten, würde deshalb den Bau vieler neuer Solar- und Windkraftwerke erfordern, um in besonders sonnigen und windigen Zeiten überschüssigen Strom zu erzeugen, der dann in riesigen Speichersystemen mit Kapazität für mehrere Stunden oder sogar Wochen gespeichert würde. Eine andere Möglichkeit wäre der Bau von Langstrecken-Übertragungsnetzen, mit denen Strom nach Bedarf in den ganzen USA verteilt werden könnte.

Speichersysteme mit Batterien sind derzeit noch extrem teuer, und bei solchen auf der Basis von Wasserpumpen gibt es geografische Beschränkungen – man braucht für sie Wasserbecken auf unterschiedlichen Höhen. Auch Langstrecken-Netze sind kostspielig, und Genehmigung und Bau können Jahre in Anspruch nehmen.

Allein um eine zuverlässige Versorgung mit 80 Prozent des benötigten Stroms nur mit Wind und Sonne zu erreichen, bräuchten die USA entweder ein schnelles landesweites Übertragungsnetz oder Speicher mit genügend Kapazität für zwölf Stunden. Ein über die USA verteiltes Speichersystem dieser Größe würde auf Akku-Basis derzeit mehr als 2,5 Billionen Dollar kosten.

Um den gesamten Strombedarf der USA mit 99,7-prozentiger Zuverlässigkeit zu decken, müssten Versorgungsunternehmen zwölf Stunden Speicherkapazität sowie mindestens die doppelte Erzeugungskapazität aus erneuerbaren Quellen aufbauen, so die Studie weiter. Alternativ könnte der Zubau bei Wind- und Solarkraft etwas geringer ausfallen, wenn Speicherkapazität für einen ganzen Monat geschaffen wird.

Der Vorteil von anderen sauberen Energien wie Erdgas mit Kohlendioxid-Abscheidung oder Kernkraft gegenüber erneuerbaren Quellen besteht darin, dass sie stetig Strom liefern und zumindest im Fall von Erdgas schnell hoch- und heruntergefahren werden können, um auf schwankende Nachfrage zu reagieren.

„Die Politik wäre gut beraten, sich mit den Daten und Zielkonflikten zu beschäftigen, die aus dieser Analyse hervorgehen, bevor sie sich für Vorgaben von 100 Prozent Wind/Solar entscheidet“, sagt Nathan Lewis, Chemiker am California Institute of Technology und einer der Autoren der Studie.

Trotzdem wird in der Wissenschaft noch immer gestritten, ob es nicht doch richtig wäre, 100 Prozent erneuerbare Energie anzustreben. Mark Jacobson von der Stanford University ist bekannt für seine Aussage, Bundesstaaten und Nationen könnten den Übergang bezahlbar gestalten. Andere Forscher haben seine Arbeit kritisiert, unter anderem in einem Fachaufsatz, der Anfang des Jahres in den Proceedings of the National Academy of Science veröffentlicht wurde. Jacobson reichte daraufhin eine Verleumdungsklage gegen den Hauptautor und den Verlag ein, die er aber Ende Februar zurückzog.

(sma)