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Porträt: Die Part Time Scientists

Anika Kehrer

(Bild: Alex Adler, Part Time Scientists)

Jede Stufe ihrer Hardware-Entwicklung beginnt mit der Erkenntnis, dass es unmöglich sei, es zu schaffen, sagt Projektinitiator Robert Böhme über die Part Time Scientists. Sie wollen für 20 Millionen Euro zum Mond fliegen, dort herumfahren und Bilder zur Erde übertragen. Noch Fragen? Ja. Viele!

Arne Reiners überlegt konzentriert, wie alt er eigentlich ist. Der Programmierer aus Bremen ist Gründungsmitglied der Part Time Scientists und der generelle Plan B der Gruppe – weil er für alles eine Lösung weiß. Und das, obwohl er weder eine Ausbildung noch ein Studium absolviert und – wie Projektkollegen erzählen – noch nie einen Lebenslauf geschrieben hat.

Arne Reiners ist Software-Entwickler. Aber eigentlich, sagen seine Kollegen, ist er eine Art Geheimwaffe, denn er könne alles. Im Moment beschäftigt er sich vor allem mit der Bildverarbeitung des Kamerakopfes.

(Bild: Anika Kehrer, rtfinem.de)

"Der wird einfach irgendwie angesprochen und eingestellt, weil jeder, der ihn kennt, weiß, was er kann". Neben ihm sitzt Karsten Becker, Doktorand der technischen Informatik im Bereich FPGA an der Uni Hamburg-Harburg. Woran genau die beiden bei den Part Time Scientists arbeiten, an dieser Frage scheitere ich beharrlich an diesem Tisch irgendwo auf dem 31c3. Irgendwann fällt das auf. Karsten Becker springt dann kichernd in die Bresche: "Arne zu fragen, was er ganz konkret macht, ist eigentlich die falsche Frage, weil er einer der wenigen ist, die wirklich alles können."

Karsten Becker promoviert in technischer Informatik. Seine Arbeit am Mond-Rover – dessen Bauch er hier gerade zuklappt, weil die Kabel so unschön heraushingen – begeistert seinen Professor, weswegen er ihn in seine bezahlte Arbeit an der Uni integrieren kann.

(Bild: Anika Kehrer, rtfinem.de)

Reiners hat zum Beispiel zu Beginn des Projekts mal die Bahnberechnung abgeschätzt, also wie viel Energie man für wie viel Gewicht bei welchen einwirkenden Kräften benötigt, um auf den Mond zu kommen. "Das ist eigentlich gar nicht so schwer", meint er. "Alles, was man wissen muss, steht in der Wikipedia. Man muss nur wissen, was man davon braucht." Später hat sich herausgestellt, dass seine Schätzung nur um ein paar Prozentpunkte von dem Ergebnis abweicht, das ein Profi errechnet.

Die beiden erklären ihren Mond-Rover so: Es gibt vier Räder, jedes mit vier Freiheitsgraden: vorwärts/rückwärts, links/rechts, hoch/runter und rund um die eigene Achse. Dafür addiert man Rotationsvektoren auf Richtungsvektoren und Tangenten der Radmitte. Natürlich müssen die Bewegungen der einzeln ansteuerbaren Räder auch von der Geschwindigkeit her zueinander passen. Aber Becker findet: "Das ist nicht so schwierig. Mit dem Algoritmus, den ich mir ausgedacht habe, ist das trivial." Ein im Bauch des Rovers sitzender FPGA nimmt dann die Richtungsanweisungen entgegen und gibt sie an die Motorentreiber weiter.

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Aus dem Make-Archiv

Dieser Artikel erschien zuerst in der Make-Ausgabe 2/15 auf Seite 18. Wer ihn lieber als PDF lesen möchte, kann ihn sich kostenlos im heise shop [1] herunterladen (einfach mit einem Benutzerkonto anmelden und den Artikel für 0 Euro "kaufen")

Vier Treiber sind für die Vorwärts- und Lenkbewegungen je zweier Räder zuständig. Zu dem Mond-Rover gehört auch noch ein Lander, der auf der Spitze einer Rakete sitzen wird, alles unter den Armen trägt und – idealiter – sanft absetzt. Dieser Lander verfügt über den Uplink zur Erde (via Laser), über den die Fernsteuersignale von der Erde kommen, denen der Rover auf dem Mond gehorcht, und über den die Bilddaten zurück an die Erde gehen.

So sieht ein Kaltstart zum Verständnis der Part Time Scientists aus. Arne Reiners und Karsten Becker sind zwei der weltweit rund 70 Projektmitglieder und Teil des sechs- bis zwölfköpfigen Kernteams.

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Die Part Time Scientists in Kürze

Die Part Time Scientists sind private Freizeit-Raumfahrer. Oder genauer: Sie setzen alles daran, Raumfahrer zu werden. Gefunden hat sich die Gruppe für die Teilnahme an einem Wettbewerb zur Förderung der privaten Raumfahrt, dem Google Lunar XPrice. Google will hiermit die Entwicklung von kostengünstigen Raumfahrt-Projekten voranbringen. Insgesamt 30 Millionen US-Dollar sind an Preisgeldern ausgeschrieben. Die Finanzierung der teilnehmenden Projekte darf nur zu höchstens 10 Prozent aus staatlichen Mitteln bestehen. Die Aufgabeist es, eine Raumfahrt-Mission zu entwickeln, die ein unbemanntes Fahrzeug auf dem Mond absetzt, dort 500 Meter fährt und davon Bilder auf die Erde übermittelt.

Die Mission der Part Time Scientists besteht aus drei Teilen. Teil eins ist der Transport in die niedrige Erdumlaufbahn (Low Earth Orbit, LEO). Dafür will die Gruppe den Service eines Raketenstart-Dienstleisters in Anspruch nehmen. Ein möglicher Start wäre mit dem Dnepr LV (Launch Vehicle) vom Yasny Kosmodrom in Russland. Dann beginnen Teil zwei und drei, die die Gruppe im Eigenbau vornimmt: In Teil zwei übernimmt ein Landemodul die Navigation um den Mond und die Landung. Teil drei ist die erfolgreiche Fahrt und Bildübermittlung des Rovers vom Mond

Im Jahr 2007 sind die Part Time Scientists zusammen mit 32 weiteren Teams für die Teilnahme am Google Lunar XPrice angetreten. Zurzeit sind noch 12 Teams im Rennen – sie sind das einzige verbleibende aus Deutschland. Und noch etwas hat sich verändert: Bei den Part Time Scientists macht nicht mehr nur das Ziel, sondern auch das Erreichte staunen.

Robert Böhme denkt und redet schnell. Wenn er sich in einer Sache sicher ist, scheut er sich nicht, sie umzusetzen. Der Raumfahrt-Fan wurde im Jahr 2008 mit 23 Jahren Initiator und Namensgeber der Part Time Scientists.

(Bild: Anika Kehrer, rtfinem.de)

Da ist zum einen die finanzielle Dimension. Allein der aktuelle Rover besteht aus Material im Wert von rund 250.000 Euro. Dann ist da die Kragenweite der Kooperationspartner, die, erzählt das Team nicht ohne Stolz, alle von sich aus auf das Projekt zugekommen sind: Universitäten wie die TU Wien oder die TU Hamburg-Harburg, die relevante Ressourcen beisteuern, erscheinen ja noch naheliegend. Aber DLR, ESA und NASA klingen doch schon etwas anders. Solche Organisationen sind ja im Privatsektor bisher gar nicht anzutreffen.

Und schließlich ist da noch die zeitliche Dimension. Das Projekt dauert seine bisherigen sechs Jahre nicht deswegen, weil es herumschlufft, sondern weil es enorm aufwendig ist und in großen Teilen nebenberuflich entsteht (alle anderen Teams des Wettbewerbs arbeiten hauptberuflich und sind – nach Aussage der Part Time Scientists – auch nicht weiter). Es besteht aus offenbar ziemlich fähigen, erstaunlich unbeirrten, nach eigener Aussage ein bisschen verrückten und "einfach netten" Mitstreitern. Auf der Bühne des Chaos Communication Congress (CCC), wo sie seit je her über ihren Fortschritt berichten, wirken sie wie große Jungs, die begeistert Unsinn reden.

Dieser Entwurf des Landemoduls enstand 2013. Es soll zwei Rover auf den Mond bringen.

Karsten Becker und der IT-Freelancer Robert Böhme, welcher das Projekt überhaupt erst angezettelt hat, stehen hier auch Ende 2014 auf der Bühne. Sie haben nämlich eine Mitfahrgelegenheit zum Mond für Bastlerprojekte anzubieten.

Es ist merkwürdig zu erleben, wie sich auch bei einem so unerhörten Projekt die Dimensionen normalisieren, wenn man erst mal mit den Leuten spricht. Nach dem Vortrag erklärt Böhme, dass es in der Raumfahrt schon immer viel unnütze Masse gegeben habe, die man zum Beispiel allein dafür brauche, etwas auszubalancieren. Als Füllmaterial sei in der Vergangenheit zum Beispiel Blei zum Einsatz gekommen. "Das tut weh", sagt er, "wenn man bedenkt, dass ein Kilogramm Richtung Mond ungefähr 1,2 Millionen Dollar kostet." Noch etwas überrumpelt fragt man, wieso sie etwas so Teures kostenlos anbieten. Robert Böhme antwortet in seiner sehr natürlichen, schnell denkenden und schnell redenden Art: "Auch wenn es blöd klingt – warum denn nicht? Was mir wichtig ist: Ich mache das nicht aus Profitgründen. Sondern ich denke, dass wir hier die Möglichkeit haben, die Raumfahrt und die Menschen einen großen Schritt weiterzubringen. Ich sehe dieses Potenzial."

Seit 2014 schraubt das studentische Space Team der TU Wien als Partner der Part Time Scientists daran, es in die Tat umzusetzen.

(Bild: Alex Adler, Part Time Scientists)

Das Projekt verzichtet allerdings nicht zur Gänze auf die Einnahmemöglichkeiten, die sich durch den Shuttle-Service bietet. Von den zwölf Cube-Sats, die nach aktuellem Planungsstand mit auf den Mond fliegen sollen, sind nach Angaben des Projekts zwei für die Xprice-Foundation reserviert und zwei weitere für Sponsoren. Den Rest verkaufen sie. Was einer kostet, wollen sie nicht verraten, das sei "verhandelbar". Auf den CCC-Vortrag hin hat sich übrigens die NASA [2] bei ihnen gemeldet. Sie würde gern einen Samen mitsenden, um ihn beim Wachsen zu beobachten. Das haben sie bisher zwar schon auf der ISS [3] machen können, aber noch nie auf dem Mond.

Vor dem Google Lunar Xprice, kurz GLXP, gab es die Idee nicht, stellt Robert Böhme klar ("Wer kommt schon darauf, was zum Mond zu schicken?"). Doch der Name Part Time Scientist ist älter als das Projekt: Er wurzelt darin, dass Böhme früher über eigene Physik-Experimente bloggte, woraufhin ihn Kollegen Part Time Scientist tauften. Mit einem bestimmten Kern von Leuten – viele davon sind heutige Part Time Scientists – hing er über die Jahre im IRC (Internet Relay Chat) zusammen. Gegen Ende 2008 erfuhr er vom GLXP. Er fragte sich, erzählt er heute, ob es überhaupt Sinn ergebe, sich damit zu beschäftigen. Kann es möglich sein, privat zum Mond zu fliegen? Diese Frage stellte er den anderen – und veranstaltete damit unbemerkt ein Kickoff.

Aus dem Archiv

Die Make-Redaktion stellt nach und nach Artikel aus den vergangenen Make- und c't-Hacks-Ausgaben im Volltext gratis online zur Verfügung.

Wenn das Team von seinen Anfängen berichtet, überschlagen sich die Erinnerungen ("Wir haben, ganz ehrlich, überhaupt nicht überblickt, was da auf uns zukommt. Nicht mal ansatzweise"). Arne Reiners erinnert sich: "Zu Anfang hat man nicht gemerkt, dass da ein Projekt draus wird. Man hat sich darüber unterhalten, was möglich ist und was nicht geht. Zu Anfang haben wir auch nicht Software geschrieben, sondern ein Konzept, wie man da überhaupt hinkommt. Häufiger Gedanke war, man müsste eine eigene Rakete bauen. Dann gab es noch den Vorschlag, eine Rakete an einen Ballon zu hängen. Anfangs gab es viele Vorschläge, die unrealistisch waren. Da musste man aussortieren, und am Schluss blieb eine relativ konventionelle Mission über."

"Wir waren kreativ, was die EMV angeht": Ein SPI-Verbindungskabel zu umwickeln (links), hatte nicht gereicht, um die elektromagnetischen Überstrahlungen in den Griff zu bekommen. Also versuchten sie es mit einem Ethernet-Adapter (rechts; "Das hat überraschend gut funktioniert"). Inzwischen ist diese Verbindung obsolet, indem ein FPGA direkt zu den Motorentreibern auf das Board gewandert ist.

(Bild: Anika Kehrer, rtfinem.de)

"Damals waren wir völlig überfordert", schüttelt Böhme lachend den Kopf. Auf dem LinuxTag 2009 haben sie die Pressemitteilung rausgeschickt: Sie als deutsches Team wollen zum Mond. Man habe sehen können, in welcher Zeitzone die Pressemitteilung gerade herumging: Erst 300 Mails aus Indien, dann 500 Mails aus Hongkong. Der nächste Schritt war der erste CCC-Vortrag Ende 2009. Böhme fasst sich an den Kopf: "Wenn ich jetzt daran denkeˇ… Das war ein Drei-Stunden-Vortrag! Und es ist keiner weggerannt. Die Leute waren total begeistert. Wir haben gesagt: Leute, wir finden es total super, zum Mond zu fliegen. So und so würden wir das machen, und das sind die Probleme. Das Schlimmste war unsere Präsentation. Unser Englisch …" Robert Böhme lacht sich tot. "Man muss sich ja vorstellen, gleich den ersten Vortrag vor tausend Leuten, und dann noch auf Englisch! Ist schon ’ne dämliche Idee. Und dann noch drei Stunden!"

Eine Dnepr beim Start – der Launch-Teil ihrer Mission kostet die Part Time Scientists etwa 20 Millionen US-Dollar.

(Bild: ISC Kosmotras)

Ernst wird es, als es um hehre Ziele geht. "Es geht nicht nur darum, eine Mission zum Mond zu machen", sagt Böhme. "Es geht auch darum, dass dabei etwas entsteht, das alle weiterbringt." Als sie angefangen haben, erzählt er, gingen sie so handgemacht vor, wie man sich nur vorstellen kann: Sie befragten das Web. "Du gibst in Google ein: Motor für Space-Einsatz. Und du findest: nichts. Oder du findest eine Forschungsarbeit, wo mal irgendjemand darüber nachgedacht hat. Oder du findest einen Motor, den das DLR für die ISS entwickelt hat, und fragst dich, kann man das kaufen? Also fragst du beim DLR nach, und die sagen: Wat? Wir sind doch keine Firma, wir sind eine Forschungseinrichtung, natürlich kannst du bei uns nichts kaufen! Und wenn wir das verkaufen würden, dann würde das mindestens so viel kosten, wie wir an Entwicklung da reingesteckt haben, das sind ein paar Millionen." Und genau das sei das Dilemma, in dem man mit der Raumfahrt stecke, sagt Böhme: "Alles ist schweineteuer, du findest keine Preise und es gibt keine Anbieter."

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Mitfahrgelegenheit zum Mond

Folgende Voraussetzungen müssen die Projekte erfüllen:

  • Die Artefakte müssen Strahlung und starke Vibration aushalten und im Vakuum arbeiten können.
  • Das Making muss unter 1,33 Kilogramm bleiben.
  • Der Experimentaufbau rechtzeitig zum avisierten Launch im Jahr 2016 fertig sein.

Die Bewerbung war bis Ende April 2015 möglich.

Karsten Beckers Büro an der TU Hamburg-Harburg sieht aus wie Kraut und Rüben. (Er sei eben einer der angewandten Informatiker, entschuldigt er sich, die anderen Büros sähen nicht so aus.) Das meiste, was hier herumliegt, geht auf das Konto der Part Time Scientists: Diverse Versionen der Platinen, des Rovers Innereien. In der Mitte des Raumes verdrängt eine taillenhohe massive Holzkiste die Luft. Darauf hockt, leidlich zerrupft, etwas aus Alu mit profilierten Rädern so groß wie Honigmelonen, das entfernt wie ein Mini-Quad aussieht, wo sich ein Kind reinsetzen und den ganzen Tag fröhlich durch brockige Erdfelder düsen könnte. Anders betrachtet steht da Hardware im Wert von 250.000 Euro und sechs Jahren Entwicklungsarbeit. Auf dem Mond wird es fahren, und zwar ferngesteuert von der Erde aus. (Ohne Kind.)

Der Übungsrover dient dazu, die Steueralgorithmen zu prüfen (und Gäste damit fahren zu lassen).

(Bild: Anika Kehrer, rtfinem.de)

Die Hardware des Projekts besteht aus einem Mond-Rover, einer hochauflösenden Kamera und einem Landemodul. Rover und Kamera sind originäre Eigenentwicklungen des Projekts. (Die Rakete, die all das transportiert, baut das Team ja ausnahmsweise nicht selbst.) Das Landemodul ist im Frühjahr 2014 als Entwurf in die Hände des studentischen Space Teams an der TU Wien gewandert, das als Kooperationspartner zeichnet, weil bei den Part Time Scientists die Ressourcen nicht gereicht haben.

Eine Besonderheit des Rovers, erklärt Becker, sei die Fähigkeit zum seitlichen Fahren, falls die Sonneneinstrahlung quer zur Fahrtrichtung verläuft. Seine Energie bezieht der Rover auf dem Mond nämlich aus einem Solarpanel, das er auf dem Rücken trägt. Das Panel ist auch verantwortlich für die Größe des Gefährts. Seit etwa 2012 sind sie bei der Version R3 gelandet. Sollten sie feststellen, dass das Panel wieder nicht reicht, kann das fatale Folgen haben: "Wir müssten das Panel vergrößern", erkärt Becker, "also den Rover vergrößern. Und dann müssten wir die nächstteurere Rakete kaufen. Die kostet dann statt 20 Millionen 100 Millionen."

An dieser offenen kurzen Seite des Rovers sind die Rad-Federungen zu sehen. Die beiden aufrechten Schrauben in der Mitte sind hingegen dafür da, den Rover in der Höhe verstellen zu können.

(Bild: Anika Kehrer, rtfinem.de)

Im Moment frickelt das Team an der Elektronik. Daher ist auch der Kamerakopf gerade nicht da (er ist bei Arne Reiners). Für die Videoverarbeitung evaluiert das Team gerade einen Nvidia Tegra K1, mit dem sie die Daten im H.265-Codec übertragen könnten (im Moment arbeiten sie mit JPEG 2000). Durch die höhere Kompression könnten die Kameras ihre Aufnahmen in fast voller Auflösung übertragen. Außerdem hat sich das Team dafür entschieden, den Rover-Bauch mit einer Backplane zu durchziehen, auf die die einzelnen Platinen aufgesteckt werden anstatt sie mit Kabeln zu verbinden. Auf die Art können sie einfach eine Platine auswechseln, wenn zum Beispiel ein Motortreiber kaputt geht. Auf die Frage, ob die feste Montage via Steckkarten nicht anfälliger für die Vibrationen sei, sagt Becker, dass bei Kabeln dafür andere Probleme auftreten: Da lockern sich dann die Stecker. Die Platinen hingegen würden fest verschraubt.

Das Setup des Rovers, wie er da bei Karsten Becker in Hamburg steht, ist genau das, mit dem ihn das Team im Dezember 2014 auf Teneriffa hat herumfahren lassen. Denn im Januar 2015 standen bei dem Google Lunar Xprice einige Meilenstein-Preise an. Insgesamt wurden sechs Millionen US-Dollar ausgeschüttet. Die Part Time Scientists hatten alle drei Komponenten eingereicht – Rover, Kamera und Lander. Mit Rover und Kamera schafften sie es Anfang 2014 in den Kreis von nur fünf Teams, die sich testen lassen durften. Bei Bestehen winkten 750.000 US-Dollar – 500.000 für die Kategorie Rover, 250.000 für die Kamera (für das Landingmodul hätte es eine Million gegeben, aber na ja).

In mehreren Tests ging es im Verlauf des Jahres 2014 also darum zu zeigen, dass das Gefährt missionstauglich ist und dass die Kamera die geforderten Bilder liefert. Für die notwendigen Prüfungen in den Bereichen Vibration, Thermal-Vakuum, Fahren und Bildqualität nutzten die Maker unter den Augen von Juroren Labore beim DLR und beim DFKI. Und der letzte Test war der auf Teneriffa, bei dem es um die Bildqualität ging.

Die zwei älteren Versionen des Rovers: Links der R1 ist ein Dummy, den das Projekt 2009 als erstes vorstellte. Er ist etwas größer als eine Schuhschachtel und war noch ohne Solarpanel geplant. Rechts der R2 von 2010 hat bereits das Solarpanel, das auf dem Mond als Energiequelle dient. Version R3 ist noch größer geworden, weil das Solarpanel größer werden musste.

(Bild: Alex Adler, Part Time Scientists)

Im Februar 2015 war das Ergebnis da. Sie haben es tatsächlich geschafft. Sowohl die Kamera als auch der Rover hatten die Jury überzeugt: Nach über fünf Jahren Arbeit halten die Part Time Scientists mit dem Erlangen der Meilenstein-Preise den Beweis in den Händen, dass sie sich auf einem wirklich guten Weg befinden. Insgesamt zeigten bei dieser Etappe fünf Gewinnerteams, dass sie die Mission mit einiger Wahrscheinlichkeit erfolgreich durchführen können. Karsten Becker hält es aber für unwahrscheinlich, dass alle fünf tatsächlich auf dem Mond landen: Die Finanzierung ist die große Crux. Auch bei den Part Time Scientists.

Es ist ja schon verrückt, was das alles kostet. Auch mit 750.000 US-Dollarn kommt man da nicht weit. Doch Robert Böhme ist sich sicher: "Geld-Optionen gibt es oft. Wir müssen sie nur passend nutzen." Hinter den Part Time Scientists steht zu diesem Zweck eine GmbH, die schon sehr früh bei Projektstart gegründet wurde. Alle Team-Mitglieder schließen mit dieser Firma einen Volontärsvertrag, der dem Projekt Nutzungsrechte an ihren Entwicklungen sichert, sie auf gegebenenfalls anfallende Geheimhaltungsklauseln verpflichtet und der ihnen im Gegenzug einen Teil des Preisgeldes zuspricht. Aber Böhme führt viele Sponsorengespräche, um das Projekt vom Preisgeld unabhängig zumachen. "Wir versuchen gerade, uns als Technologieunternehmen zu platzieren", sagt er. Ihm ist das sehr wichtig. Denn: "Denn nur so ist das Ganze nachhaltig."

Die Radhalterungen sind 3D-gedruckt aus Aluminium. Sie haben eine Kabelführung integriert.

(Bild: Anika Kehrer, rtfinem.de)

Professionalisierung [5] steht auf dem Programm. Karsten Becker sagt es so: "Wir sind vom Herzen zwar Bastler. Aber wir professionalisieren uns immer weiter. Denn nur so können wir es schaffen, Sponsoren zu größeren Geldbeträgen zu überreden." Und Robert Böhme greift auf seine Gründungsvision zurück. "Wir wollen anderen zeigen, dass es machbar ist. Und wir wollen mit dieser Dienstleistung Leuten helfen, das auch zu tun."

Mit dem Meilenstein-Gewinn gehen die Part Time Scientists jetzt zwei entscheidende Schritte. Erstens: Leute werden angestellt. Zu den ersten beiden gehört Karsten Becker (der sein Chaos an der TU Hamburg daher gerade in Kisten verpackt und hofft, seine Dissertation trotzdem noch irgendwie fertig schreiben zu können). Zweitens: Das Projekt erhält eine Niederlassung. Der Berliner Robert Böhme tut sich in der Hauptstadt dafür gerade händeringend nach Lab-Räumen um, und schlägt dabei die Hände über dem Kopf zusammen, weil ihm irgendwelche Startups ständig alles wegschnappen.

Der Quickhack aus Holz soll zukünftig auch durch Alu ersetzt werden: Er hindert die Räder daran, sich komplett im Kreis zu drehen, damit sich die weiterführenden Kabel im Fall eines Firmware-Versagens nicht aufwickeln und im Inneren des Rovers vom Bord abreißen.

(Bild: Anika Kehrer, rtfinem.de)

Seit der Projektgründung hat sich an der Gruppe aus Freizeit-Ingenieuren eines geändert: Sie wollen ihr bisher Erreichtes auf eine geschäftliche Grundlage stellen, um anderen zu zeigen, dass private Raumfahrt geht. Im Kontrast zur Tragweite ihres Vorhabens – sowohl technisch als auch wirtschaftlich – steht vor allem ihr ungezwungenes Auftreten. Hoffentlich werden sie es nie ablegen. (esk [6])


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[5] https://www.heise.de/news/Berliner-Raumfahrtforscher-wollen-Googles-Rennen-zum-Mond-gewinnen-3268411.html
[6] mailto:esk@ct.de