Zahlen, bitte! 10⁹ Speicher voller Modelle - vom Turing-Test bis ChatGPT

Die KI ChatGPT fasziniert die IT-Welt und bereitet Hausarbeitsprüfern Kopfzerbrechen. Schafft sie den Turing-Test? Sagt es was über ein KI-Bewusstsein aus?

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Das Programm ChatGPT ist in aller Munde. Die einen beschwören das Ende aller Seminararbeiten, die anderen gleich das Ende der Zivilisation. Dazwischen gibt es allerhand Skurriles, etwa ein philosophisches Streitgespräch nach dem platonischen Dialog mit Kriton oder die Bitte an ChatGPT, einen Limerick zu verfassen. Schließlich gibt es auch kolossale Missverständnisse wie die Meldung, dass ChatGPT den Turing-Test bestanden habe – das hat es – und damit bewiesen habe, dass Maschinen denken können – das ist Unsinn.

Für viele Menschen ist der Turingtest oder das Imitationsspiel, wie Turing selbst den Test beschrieb, ein Frage- und Antwortspiel, bei dem ein Mensch herausfinden soll, ob sein Gesprächspartner ein Computer ist. Liegt der Mensch falsch, kann der Computer denken. Doch so einfach ist das nicht.

Alan Turing (* 23. Juni 1912 in London; † 7. Juni 1954 in Wilmslow, Cheshire) im Alter von 16 Jahren.

(Bild: CC BY-SA 4.0, Nachkolorierung: Photo Color)

Der Brite Alan Turing war ein profunder Mathematiker, der die Bedingungen für das Imitationsspiel recht exakt definierte: "Meiner Meinung nach wird es in ca. 50 Jahren möglich sein, Rechenmaschinen mit einer ungefähren Speicherkapazität von 10⁹ zu programmieren, die das Imitationsspiel so vollendet spielen, dass die Chancen, nach einer fünfminütigen Fragezeit die richtige Identifizierung herauszufinden, für einen durchschnittlichen Fragesteller nicht höher als siebzig Prozent stehen.

Die ursprüngliche Frage 'Können Maschinen denken?' halte ich für zu belanglos, als dass sie ernsthaft diskutiert werden sollte." Wir sehen im letzten Satz, dass für Turing die Frage sinnlos bzw. belanglos ist, ob Maschinen denken können. Die Vorstellung einer technologischen Singularität, wie sie Ray Kurzweil anno 2005 in 40 Jahren erwartete, hätte ihn wahrscheinlich amüsiert.

Turing veröffentlichte seinen Aufsatz in der philosophischen Zeitschrift Mind im Oktober 1950. Der Text war das Produkt einer Tagung, die unter dem Titel The Mind and the Computing Machine am philosophischen Institut der Universität Manchester im Oktober 1949 stattfand. Sie begann mit einem Vortrag von Turings wichtigstem Lehrer Max Newman und dem Philosophen Michael Polanyi über Gödels Unvollständigkeitssatz.

Darauf folgte die Philosophin Dorothy Emmet mit Überlegungen, ob Maschinen ein Bewusstsein haben können, ehe Alan Turing und der Neurophysiologe J.Z. Young sich mit den Nervenzellen des Gehirns beschäftigten. Turing stellte dabei seine Idee einer Universalmaschine vor, die in der Lage ist, jede beliebige andere Maschine zu sein.

Gegen Emmets Behauptung eines Bewusstseins setzte er in dem danach entstandenen Aufsatz das Imitationsspiel ein. Im Jahr 2000 sollten Computer mit Speicherkapazitäten von 10^9 ohne Angabe der Speichereinheit so weit sein, dass Imitationsspiel zu gewinnen. 23 Jahre später hat ChatGPT nun mit seinem Large Language Model gezeigt, dass Turing auf der richtigen Spur war.

Der Hersteller OpenAI hat nur sehr wenige Angaben zur Hardware veröffentlicht, die ChatGPT nutzt und bleibt damit ebenso vage wie Turing. Wer von ChatGPT generierte Texte im Dialog liest, wird bei genauer Lektüre zwar finden, dass da ein Programm am Werk ist, Sätze algorithmisch und grammatikalisch korrekt auszugeben, dürfte das aber in einer "fünfminütigen Fragezeit", wie Turing es postulierte, kaum schaffen. Deshalb kann man getrost der Meldung glauben, dass ChatGPT den Turing-Test bestanden hat.

Chat GTP im Gespräch über den Turing-Test. Die KI ist der Meinung, sie würde ihn nicht bestehen.

(Bild: Screenshot: chat.openai.com)

Dass mit dem Denken und dem Bewusstsein ist etwas schwieriger. So befragte die Süddeutsche Zeitung das Programm, ob es möglich wäre, eine KI so zu bauen, dass sie Bewusstsein erlangt. Die Antwort: "Das Konzept von Bewusstsein ist komplex und umstritten, und es gibt keine eindeutige Antwort davon, was Bewusstsein genau ist oder wie es entsteht. Einige Wissenschaftler und Philosophen glauben, dass Bewusstsein ein grundlegendes Merkmal des menschlichen Gehirns ist und dass es unmöglich ist, einem Computerprogramm Bewusstsein zu verleihen. Andere glauben, dass Bewusstsein auf komplexen neuronalen Netzwerken und anderen Technologien basieren könnte, die in der Zukunft entwickelt werden könnten." Das ist eine Antwort, die in ihrer laberigen Unverbindlichkeit in einer typischen Seminararbeit stehen könnte.

Chat GPT hält c't-Kollege Jan-Keno Janssen für einen Comedian und Musiker. Sieht auf dem Bild ja auch fast so aus, als ob er singt!

(Bild: c't 3003/Youtube)

In anderen Fällen produziert das Programm, das die Welt verändern wird lustige Fehler wie den über den Redakteur Jan-Keno Janssen im c't 3003 - Videopodcast: "Bei einer weiteren Anfrage haut ChatGPT einfach so locker raus, ich sei ein Kabarettist und Musiker, der durch seine Musik-Comedy-Shows bekannt geworden ist."

Das erinnert an Bernard Shaws Stück "Zurück zu Methusalem", wo der Wissenschaftler Pygmalion im Jahre 31920 n.Chr. (!) die perfekte Menschenmaschine gebaut hat und dann über seine Geschöpfe ziemlich deprimiert ist: "Ja, sie müssen ein Bewusstsein haben. Ich habe ihnen das Sprechen und Lesen beigebracht, und nun erzählen sie dauernd Lügen. Das ist alles so lebensecht." Sein Freund Martellus antwortet: "Aber überhaupt nicht! Wenn sie wirklich leben würden, würden sie die Wahrheit sagen!"

(mawi)