Zahlen, bitte! 1000 Geldbörsen ohne Geld

Vor 25 Jahren wurden in Deutschland erstmals Cybercoin ausgegeben. Sie wurden in einer virtuellen Geldbörse auf dem Rechner gespeichert.

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Am 1. November 1997 starteten die Dresdener Bank und die sächsische Landesbank sowie die WestLB mit der Ausgabe von Cybercoin, basierend auf der Technologie der US-amerikanischen Firma Cybercash. Cybercoin waren beliebig gestückelte Geldbeträge bis zum kleinsten Wert von fünf Pfennig, die ausschließlich zur Bezahlung von digitalen Waren bei Online-Händlern gedacht waren. So sollten vor allem Kleinbeträge, etwa für den Kauf einer MP3-Datei, abgewickelt werden. Zum Start des Systems wurden 1000 Wallets (Geldbörsen) auf Windows-Rechnern installiert.

Das digitale Geld wurde im Dezember 2000 wieder vom Markt genommen, nachdem das dahinter arbeitende Zahlungssystem Opfer eines 2YK-Bugs wurde. Die Rechte am Abrechnungsverfahren von Cybercash wurden von Verisign gekauft und landeten dann bei Paypal, das bis 2015 eine eBay-Tochter war.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Vor 25 Jahren war der Griff in die elektronische Brieftasche der Internetnutzer ein Thema, das den explodierenden Online-Handel begleitete. Es beschäftigte Computerkonzerne wie IBM und DEC, Banken wie die Citibank und die Deutsche Bank – und auch die Politik. In Brüssel warnte EU-Kommissar Martin Bangemann vor einer digitalen Geldflut und dem Untergang des Nationalbankgeldes, wenn die EU keine Regeln für den Kommunikationsmarkt erlässt.

In Deutschland startete die Deutsche Bank im Frühjahr 1997 einen kleinen Feldversuch mit eCash der niederländischen Firma Digicash. eCash war wie anonymes Bargeld ausgestaltet. Das Geld lag in einer Wallet auf dem Rechner der Netizen und wenn der Computer seinen Geist aufgab, war auch das Geld verschwunden. Das wollte man bei Cybercash verhindern, indem man ein komplettes Zahlungssystem rund um ein Cybercash-Gateway aufbaute, mit Cybercash-Kreditkarte für Großeinkäufe und eben Cybercoin für digitale Waren.

Die Cybercash-Wallet zeigte nur den Füllstand dieser Geldbörse an, die Cybercoin lagen auf einem Schattenkonto bei der beteiligten Bank, die auch das Girokonto der Kunden verwaltete. Im Wallet konnten maximal 250 Deutsche Mark (DM) gespeichert werden. Bei einer Transaktion wanderten die Cybercoin über das Gateway der Cybercash GmbH zum Schattenkonto des Online-Händlers, der anschließend die Summe auf sein Girokonto umbuchen konnte. Der Cybercoin-Versuch startete mit 1000 Benutzern.

Technisch setzte das vom Internet-Pionier Steve Crocker und dem Verifone-Gründer William Melton ausgedachte System auf eine Public Key-Infrastuktur (RSA mit 768 Bit-Schlüsseln), bei der der Käufer die Kaufsumme mit seinem privaten Schlüssel signiert, ebenso der Verkäufer, der den Zahlungseingang zusammen mit der Transaktion des erworbenen Gutes (etwa eine MP3-Datei) bestätigt.

Im Unterschied zu dem eCash-System war Cybercash nicht anonym, denn die zu einer Wallet gehörenden E-Mail-Adressen von Käufer und Verkäufer wurden im Header bei der Registrierung der Wallet gespeichert. Die dann vom Cybercash-Gateway erzeugte Cybercash-ID konnte auf die Mail-Adresse zurückgeführt werden. Bei eCash löschte ein Blinding genannter Prozess die Käuferdaten.

Beim Anlegen und der Erstbefüllung einer Wallet bzw. der digitalen "Ladenkasse" des Händlers mussten neben der Mail-Adresse noch die postalische Adresse, ein Passwort und ein Sperrcode eingegeben werden. Der Sperrcode war dafür gedacht, dass bei einer zerschossenen Festplatte das Transaktionslog aller Überweisungen vom Cybercash-Gateway in eine neue Wallet übertragen werden konnte.

Nach der erfolgreichen Registrierung und Befüllung einer Wallet erhielten die neuen Cybercoin-Teilnehmer eine Mail, in der alle Händler genannt wurden, bei denen die Bezahlung mit Cybercoin möglich war. Cybercash war international ausgerichtet und zeichnete die Währungen nach ISO 4217 aus. Die Bezahlung einer digitalen Ware in Cybercoindollar mit "2.05usd" war also möglich, wurde aber mit einer Transaktionsgebühr belegt, die bei Kleinstbeträgen unpraktisch war.

Nach dem Start der Cybercoin und der Cybercash-Kreditkarte beteiligten sich mit der Postbank, der Commerzbank und der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank noch einige Großbanken an der CyberCash GmbH, auch kamen einige Stadtsparkassen hinzu, die das Zahlungssystem als Lizenzbanken nutzen wollten. Doch die Zahl der Händler stagnierte, die Cybercoin-Zahlungen akzeptierten. Am Ende waren etwa 300 Händler bereit, Cybercoin zu akzeptieren. Das wiederum führte dazu, dass sich weniger als 10.000 Kunden für die Installation einer Cybercash-Wallet mit Cybercoin entschieden.

Die Cybercash-Kreditkarte fand noch weniger Interessenten, da die etablierte Konkurrenz mit Lockvogel-Angeboten auf die Banken-Kreditkarte reagierte. Ende 2000 kam das Aus, denn die CyberCash GmbH stellte ihr Gateway ein. Ein Grund für die Einstellung lag außerhalb des deutschen Systems: Die Mutterfirma Cybercash wurde schwer von einem Y2K-Bug getroffen, der bewirkte, dass eine Zahlung an einen Händler doppelt abgebucht wurde.

Vor und nach den Cybercoin gab es zahlreiche weitere Versuche mit eigenen Internet-Währungen. Es gab "Bohnen" als Geld, eben Beenz genannt, Flooz war mit dem schönen Spruch "Mit Flooz weiß niemand, ob nicht ein Hund zahlt". E-Gold versuchte sich an einem Zahlungssystem, das Gold als Sicherung benutzen sollte, aber sofort von Geldwäschern und anderen Betrügern ausgenutzt wurde. In jüngster Zeit durfte man die Versuche von Facebook mit seinen "Credits" (2009-2013) und Amazon mit den Amazon Coins für Kindle-Besitzer bewundern.

Das bringt uns zu einem anderen geschichtsträchtigen Kalendereintrag: Vor 14 Jahren, am 1. November 2008, meldete sich ein gewisser Satoshi Nakamoto im Netz der Netze mit einem Vorschlag für ein ganz besonderes elektronisches Geld. "Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System" markiert den Start jener Kryptowährungen, die nicht den Internet-Handel ins Visier nehmen, sondern den Handel mit Währungen.

(olb)