Zahlen, bitte! 1679 Bit und noch keine Antwort - Die Arecibo-Botschaft

Die Arecibo-Botschaft sucht seit Jahrzehnten im All einen Empfänger. Der Wunsch, Botschaften an mögliche Aliens zu senden, existiert noch länger. Ein Rückblick.

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Es weihnachtet mal wieder. überall blitzen und glimmen Lichter, als ob es aktuell keine drastische Notwendigkeit gibt, Energie zu sparen. Ist es doch einmal richtig dunkel, kann man abseits der Städte in kalten Nächten die Lichter des gewaltigen Sternenhimmels sehen.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Dann stellt sich der Mensch gerne die Frage: Ist jemand da draußen? Und wie erreicht man diese Jemandlinge? Im Jahr 2023 soll der nächste Versuch starten. Das chinesische Super-Radioteleskop FAST, auch Tianyan (Himmelsauge) genannt, soll eine codierte Nachricht ins Zentrum der Milchstraße schicken, die an die Planeten ferner Sterne in der Entfernung von 20.000 Lichtjahren gerichtet ist. So ist es an der Zeit, sich mit früheren Versuchen dieser Art zu beschäftigen.

Die Sprache der Mathematik ist universal. So universal, dass die berühmte Arecibo-Botschaft im Jahr 1974 mit 1679 Impulsen gesendet wurde.1679 ist dabei das Produkt der Primzahlen 23 und 73. Bildet man daraus ihnen ein Panel von 23 Spalten und 73 Zeilen, so ergibt sich die bekannte Klötzchengrafik der Arecibo-Botschaft mit den Atomgewichten der wichtigsten Elemente, der Darstellung der DNA, den Angaben über die Weltbevölkerung und den wichtigsten Daten unseres Sonnensystems. Seit dem Start der Versuche einer Kontaktaufnahme mit Außerirdischen spielen Geometrie und Mathematik eine zentrale Rolle bei der Verständigung.

Carl Friedrich Gauß (* 30. April 1777 in Braunschweig, Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel; † 23. Februar 1855 in Göttingen, Königreich Hannover) hatte die Idee, eines Satz der Pythagoras, den man aus dem Weltraum hätte beobachten können.

Als die Menschheit lernte, dass der Mond ein ziemlich trostloser Ort ist, richtete sich unter dem Einfluss der Kant-Laplace Theorie das Interesse der Wissenschaft auf andere Planeten. Möglicherweise waren ja der Mars und die Venus bewohnt. Doch wie kann man sich mit den Wesen über solch große Distanzen verständigen? 1819 machte der österreichische Astronom Joseph Johann von Littrow den Vorschlag, in der Sahara ein riesiges Kanalsystem anzulegen, mit dem geometrische Figuren dargestellt werden können. Auf das Wasser sollte Kerosin geleitet werden und dann nachts brennen und so pro Nacht ein Zeichen zum Mars senden. Littrow glaubte, dass Dreiecke und Vierecke den Marsianern signalisieren können, dass die Zeichen von einer Intelligenz gemacht wurden, die Kontakt aufnehmen will.

Niemand Geringeres als Carl Friedrich Gauß beschäftigte sich ebenfalls mit dem Problem. Er schlug 1820 die Bepflanzung der Tundra mit dem Satz des Pythagoras vor. Mit riesigen hellen Weizenfeldern und dunklen Baumreihen an den Rändern sollte so das Hypotenusenquadrat als "jedem intelligenten Wesen bekannte Relation" mit einem guten Fernrohr vom Mars aus gesichtet werden konnte. Da Gauß auch mit der optischen Telegraphie experimentierte und einen Heliotrop für Vermessungszwecke konstruierte, schlug er später ein "Riesenheliotrop" mit 100 Spiegeln vor, dass Lichtsignale ins Weltall senden sollte, "nach außen" zu den Anderen.

Der nächste Vorschlag kam 1822 von dem deutschen Astronom Franz von Paula Gruithuisen. Der hatte die Venus beobachtet und das aschgraue Licht auf der Nachtseite als "allgemeine Feuerfeste der Venusbewohner" interpretiert, mit denen "Regierungsveränderungen" gefeiert wurden. So schlug er ein Riesenfeuer vor, zum Zeichen, dass sich die Menschheit mit freut. Später widerrief er seine Theorie und meinte, dass die Venusianer nur ihre Wälder abfackelten, um die Landwirtschaft auszuweiten. Nach ihm kam ein viel diskutierter Vorschlag in der zweifellos unvollständigen Reihe astronomischer Spekulationen im Jahre 1862 von dem französischen Astronomen Camille Flammarion.

Was aussieht, wie ein frühes ZX-Spectrum-Spiel ist eine grafische Darstellung des Arecibo-Signal in 23×73-Matrix und damit 1679 Bit. Zum besseren Verständnis sind die einzelnen Bereiche voneinander farblich abgetrennt.

(Bild:  Arne Nordmann (norro), CC BY-SA 3.0)

Der hatte in seinem Buch "Die Mehrheit der bewohnten Welten" die Theorie ausgearbeitet, dass es im Universum unzählige viele bewohnte Planeten geben müsse. Die rötliche Färbung des Mars erklärte Flammarion mit der dortigen Vegetation. Um mit den Marsbewohnern in Kontakt zu treten, schlug er die Installation von Riesenspiegeln in der Sahara vor, die nachts mit elektrischem Licht erleuchtet werden, wenn der Mars in der richtigen Position steht. Sein Kollege Louis-Sébastien Mercier wollte es einfacher. Er schlug vor, in der Nacht das Champ du Mars in Paris taghell zu erleuchten. Das könne man gut vom Mars aus sehen und damit gleich verstehen, dass Paris die Hauptstadt der Welt ist.

Einen wichtigen Schritt weiter ging ein weiterer Franzose. Charles Cros war ein einflussreicher Poet, bewundert von Paul Verlaine und den Surrealisten. Außerdem war er ein Pionier der Farbfotografie und beinahe der Miterfinder des Parlophones, heute als Plattenspieler bekannt. In seiner 1869 veröffentlichten Schrift Moyens de communication avec les planètes schlug er den Bau eines riesigen Parabolspiegels vor, der Lichtblitze zum Mars schicken sollte. Die Lichtblitze sollten zunächst Zahlen senden, dann kodierte Wörter und schließlich ganze Muster wie sie in der Weberei mit gelochten Karten von Jacquard-Webstühlen produziert wurden. Mit dieser Idee war Cros der Vorläufer der Arecibo-Pixelgrafik.

Aber vielleicht sendeten die Außerirdischen bereits eifrig? Bei der Arbeit an seinen Tesla-Spulen bemerkte der Erfinder Nicola Tesla im Jahre 1899 unerklärliche Signale und hielt sie für Radiosignale, die von der Venus oder vom Mars stammen könnten. Eine sofort eingeleitete Untersuchung der sensationellen Vorfälle erbrachte den Beweis, dass terrestrische Strahlung der Verursacher war.

In Erinnerung an ihren Sohn lobte die Witwe Madame Anne Emilie Clara Goguet per Testament im Jahre 1892 den mit 100.000 Franc bestückten Prix Pierre Guzman aus, der jeweils in Medizin und Astronomie vergeben wurde. Der früh verstorbene Pierre Guzman hatte sich intensiv mit dem Werk von Camille Flammarion beschäftigt und so sollte der Astronomie-Preis an den oder diejenigen verliehen werden, der oder die als erste den Kontakt mit einer außerirdischen Zivilisation herstellten.

Der Kontakt mit Marsbewohnern wurde übrigens vom Preis ausgeschlossen, da dies nach zeitgenössischer Ansicht eine viel zu einfache Aufgabe war. Zu den Preisträgern gehört die Besatzung von Apollo 11, obwohl sie bei der ersten Mondlandung auf unserem öden Begleiter niemanden antrafen.

Einer der drei letzten Preisträger des Prix Guzman: Apollo 11 Astronaut Buzz Aldrin. Zwar fanden sie keine Aliens auf dem Mond, aber immerhin sind sie auf einem außerirdischen Himmelskörper rumgehopst.

(Bild: NASA )

Zu denen, die es doch lieber mit dem Mars versuchen wollten, gehörte dann der Physiker Robert Williams Wood, der Erforscher des ultravioletten Lichtes, der 1908 das Quecksilber-Teleskop entwickelte. Wood wollte einen riesigen Fächer aus schwarzen Stoffbahnen in der Wüste von Nevada bauen, die von Elektromotoren bewegt wurden und vom Mars aus gesehen ein Netz von hellen Punkten freiließen, die Zahlen darstellen konnten. Sein damaliger Geldgeber, der Milliardär Alfred Lee Loomis, wollte jedoch von den Plänen nichts wissen und so arbeiteten beide an der Entwicklung von "ganz einfachen Sachen", heute als Ultraschalltherapie bekannt. Auch der russische Raumfahrtpionier Konstantin Eduardowitsch Ziolkowski hatte in seinen Zeichnungen und Anmerkungen Pläne für ein riesiges blitzendes Areal in Sibirien mit einem Kontakt mit Außerirdischen, an deren Existenz er niemals zweifelte.

Der nächste wichtige Autor, der sich dem Problem der Verständigung mit den Aliens widmete, war der britische Zoologe und Genetiker Lancelot Thomas Hogben, den Lesern dieser Kolumne vielleicht durch seinen von Einstein hochgelobten Bestseller "Mathematik für alle" bekannt. 1943 entwickelte Hogben die Plansprache Interglossa, als Vorschlag für ein "Hilfsmittel, dass die demokratische Weltordnung begründen kann". Auf dieser Basis erarbeitete Hogben 1952 eine "Übersetzung" von mathematischen Grundregeln wie Addition und Subtraktion, die Darstellung des Zahlenraumes mithilfe von Impulsen, erweitert um Ausdrücke für Zustimmung, Ablehnung und Zweifel. Diese Kommunikation mit Außerirdischen nannte er Astraglossa, während auf der Erde besser das fortentwickelte Glosa gesprochen werden sollte.

Angeregt von Hogben beschäftigte sich der niederländische Mathematiker Hans Freudenthal 1960 mit dem Entwurf einer kosmischen Sprache, die er Lingua Cosmics, kurz Lincos nannte. Damit sind wir wieder bei dem eingangs erwähnten Arecibo-Signal angekommen. Denn ehe die Zahl 1679 übertragen werden konnte, musste ja das Konzept der Zahlen erklärt werden. Dafür nutzte der Astrophysiker Francis Drake im ersten "Absatz" der Botschaft tatsächlich die Notation von Lincos. Mit seiner Botschaft war Drake nicht der erste, doch sicher der Erste, der die Sache systematisch anging: Am 19. November 1962 schickten sowjetische Forscher das Wort "Mir" (Frieden) im Morsecode von der Station Yevpatoria in der heutigen Ukraine in Richtung der Venus ins All, doch ohne jede Erklärung zum Code und zur Bedeutung der Botschaft.

Das war mindestens ebenso planlos wie die beiden Plaketten an Bord der Raumsonden Pionier 10 und 11, die unter der Leitung von Paul Sagan entwickelt wurden. Die Plaketten wurden heftig kritisiert, insbesondere fand man die Darstellung einer nackten Frau und eines Mannes obszön. Da fanden die Goldenen Schallplatten der Voyager-Mission schon mehr Anklang. Die Schönheit und Vielfalt des Lebens auf der Erde in Wort und Bild, das war eine geradezu romantische Vorstellung.

Das ALMA Teleskop mit Mond und Milchstraße im Hintergrund. Die Radioteleskope gehen auch der Frage nach, ob wir allein im Universum sind.

(Bild: ESO/B. Trafeshi, CC BY 4.0)

Der nächste systematische Schritt fand im Rahmen des bekannten SETI-Projektes statt und nannte sich Lone Signal. Für dieses Signal entwickelte ein Team unter dem Astrophysiker Michael W. Bush eine eigene binäre Kommunikationssprache, mit der dann eine Art Digitalversion des Steins von Rosetta geschrieben wurde, bestehend aus vielen verschiedenen Nachrichten in vielen Sprachen, die jeweils 144 Zeichen lang waren. Diese Nachrichtensammlung wurde am 10. Juli 2013 in Richtung Gliese 526 abgestrahlt und soll dort im Jahre 2031 ankommen. Weitere 18 Jahre werden dann vergehen, ehe eine mögliche Antwort auf der Erde eintreffen kann.

Eine lustige Mischung aus Mathematik und Musik wurde drei Tage lang im Rahmen des Musikfestivals Sonar im Oktober 2017 vom Forschungsradar der European Incoherent Scatter Scientific Association im norwegischen Tromsø abgesetzt. Zunächst wurden von der Organisation METI International (Messaging Extraterrestrial Intelligence) entwickelte binäre Signale geschickt, zunächst die Grundrechenarten, dann Berechnungen für gleichschenkelige Dreiecke, Kreise und schließlich die Grundlagen der Trigonometrie mitsamt einer Beschreibung unseres Planetensystem. Krönender Abschluss bildeten kurze Musikstücke für den Fall, dass es da draußen Wesen gibt, die in Tönen denken. Die Signale wurden in Richtung von Luytens Stern geschickt, den sie in nunmehr 8 Jahren erreichen sollen.

Unter den zahlreichen weiteren Versuchen, einen Kontakt mit Außerirdischen herzustellen, sei noch das Teen Age Message-Projekt (TAM) erwähnt. Es wurde von einem Team russischer und ukrainischer Wissenschaftler entwickelt und 2001 in drei Abschnitten von Yevpatoria aus gesendet. Nach einer Art Klingelsignal wurden ein Thereminkonzert mit russischen Volksliedern und jeweils 15 Minuten lange Ausschnitte aus den Werken von Beethoven, Rachmaninow und Gershwin gesendet. Der musikalische Teil der Kontaktaufnahme endete mit der Europahymne. Im dritten Teile wurden Nachrichten auf Russisch und Englisch gesendet, die Schulkinder in der Russischen Föderation geschrieben hatten und die für Frieden und Völkerverständigung warben.

Zum Schluss sollte nicht unerwähnt bleiben, dass zahlreiche Wissenschaftler vor solchen Kontaktaufnahmen warnten. Der bekannteste von ihnen war Stephen Hawking, der an die Begegnung der Ureinwohner Amerikas mit Kolumbus erinnerte. "Der Amerikaner, der den Kolumbus zuerst entdeckte, machte eine böse Entdeckung", wusste schon der Spötter Georg Christoph Lichtenberg.

(mawi)