Zahlen, bitte! 180 Millionen Tonnen Ammoniak dank des Haber-Bosch-Verfahrens

Ammoniak ist eine der wichtigsten Chemikalien der modernen Gesellschaft. Gewonnen wird es mit dem Verfahren des vor 150 Jahren geborenen Carl Bosch.

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Vor 150 Jahren wurde der Chemiker und Verfahrenstechniker Carl Bosch in Köln geboren. Weltweit bekannt wurde er, als ihm gemeinsam mit Fritz Haber 1913 gelang, bei der BASF die großtechnische Ammoniaksynthese in der eigens dafür errichteten Fabrik in Oppau bei Ludwigshafen zu realisieren.

Bereits im ersten Jahr produzierte BASF mit dem "Haber-Bosch-Verfahren" der katalytischen Hochdrucktechnik 40 Tonnen Ammoniak am Tag, die zu mineralischem Dünger ("Brot aus der Luft") und Sprengstoff weiter verarbeitet wurde. Bosch gab im Ersten Weltkrieg das "Salpeterversprechen" ab und versicherte der Heeresleitung, dass sie immer genügend Munition haben werde, um Krieg zu führen. Bei den Friedensverhandlungen in Versailles verhinderte er die Demontage der Werke. 1931 erhielt er mit Friedrich Bergius den Nobelpreis für Chemie. Es war das erste Mal, dass die Erfindung eines technischen Verfahrens ausgezeichnet wurde.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Carl Bosch (* 27. August 1874 in Köln; † 26. April 1940 in Heidelberg) zur Zeit seines Nobelpreises 1931.

(Bild: Nobel Foundation)

Und das technische Verfahren hatte Folgen: In einer weltweiten Jahresproduktion von mittlerweile rund 180 Millionen Tonnen ist Ammoniak eine der wichtigsten Chemikalien überhaupt, die zu 99 Prozent im Haber-Bosch-Verfahren hergestellt wird. Für die Gewinnung werden Wasserstoff sowie Stickstoff Temperaturen zwischen 400 und 450 °C und Drücken von 120 bis 220 bar ausgesetzt und in einem Katalysator auf Eisenbasis zu Ammoniak umgewandelt. 80 Prozent des so gewonnenen Ammoniak wird zu Dünger verarbeitet, der weltweit die Ernährung sicherstellt. Die Produktion ist für 1,4 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen und 1 Prozent des Energieverbrauchs verantwortlich.

Carl Bosch kam vor 150 Jahren in einer wohlhabenden Familie zur Welt. Seinem Vater gehörte ein Installateurgeschäft, in dem zeitweilig auch sein Onkel Robert Bosch arbeitete. Er wurde auf die Ober-Realschule geschickt, nicht auf das humanistische Gymnasium. Nach der Schule absolvierte er eine Schlosserlehre bei der Marienhütte in Kotzenau, heute Chocianów. Er begann ein Studium der Metallurgie und Werkstofftechnik (Hüttenkunde) an der Technischen Hochschule Charlottenburg, wechselte aber bald an die Universität Leipzig, wo er Chemie im Hauptfach studierte. Im Alter von 24 Jahren promovierte er dort in organischer Chemie und ging anschließend zur Badischen Anilin & Soda-Fabrik (BASF) nach Ludwigshafen. Dort wurde er mit der Erweiterung der Phthalsäure-Fabrik beauftragt und lernte so die Konstruktion großtechnischer Verfahrensanlagen kennen.

Nach der Entdeckung des Kunstdüngers durch John Bennet Lawes wurde weltweit nach Methoden gesucht, Düngemittel im großen Stil zu produzieren. Die Möglichkeit, den in der Luft enthaltenen Stickstoff zur Ammoniaksynthese zu nutzen, wurde von Fritz Haber in Karlsruhe untersucht und der BASF überlassen, die das Verfahren patentierte (PDF). Haber erhielt dafür gleich nach dem Ersten Weltkrieg 1918 den Chemie-Nobelpreis. Carl Bosch wurde mit der Aufgabe betraut, eine großindustrielle Anlage zu entwickeln. Der Grundgedanke war, eine katalytische Reaktion unter hohem Druck und hoher Temperatur auszulösen, damit aus dem Stickstoff der Luft und Wasserstoff Ammoniak hergestellt werden konnte. In zahlreichen Versuchen wurden Reaktoren gebaut, die jedoch häufig explodierten.

1911 kam Bosch auf die Idee, ein Doppelrohr zu konstruieren, bei dem die Hitze im Außenrohr wieder abgeleitet werden konnte. 1912 begann der Bau der Fabrik für das Haber-Bosch genannte Verfahren und am 9. September 1913 konnte die gesamte Anlage in Betrieb gehen. Bereits im ersten Jahr konnten 40 Tonnen pro Tag produziert werden. Die BASF ließ das Verfahren als Unternehmen patentieren, im entsprechenden US-Patent wird Carl Bosch als Erfinder genannt.

Der erfolgreiche Leiter der neuen "Stickstoffabteilung" wurde 1914 stellvertretendes Vorstandsmitglied der BASF. In dieser Funktion gab er zu Beginn des Weltkrieges das "Salpeterversprechen" ab. Technisch war es eine Abnahmegarantie durch die Oberste Heeresleitung und ein Darlehen von 35 Millionen Reichsmark, mit dem ein weiteres Ammoniakwerk (Leunawerke) gebaut werden konnte. In seiner Dankesrede zur Verleihung der Wilhelm-Exner-Medaille 1932 bekannte sich Bosch zu dem moralischen Dilemma: "Als ich Anfang des Krieges die Aufgabe zugewiesen bekam, für die Bedürfnisse des Heeres und der Landwirtschaft Stickstoffprodukte zu entwickeln, und es auch gelang, in programmässiger Frist die Aufgabe zu lösen, da habe ich mir oft später die Frage vorgelegt, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn uns dies nicht gelungen wäre. Der Krieg hätte vielleicht ein schnelleres Ende mit wahrscheinlich weniger Elend und besseren Bedingungen gefunden. Meine Herren, diese Fragen sind alle müßig. Es lässt sich der Fortschritt in der Wissenschaft und Technik nicht aufhalten." Der Fortschritt selbst kostete auch Menschenleben: 1921 gab es eine Explosion im Werk Oppau, die mit 599 Toten und über 2000 Verletzten als größtes Industrieunglück der deutschen Geschichte gilt.

Das zerstörte BASF-Werk Oppau. Vorn ist der Explosionskrater zu erkennen, der mit Grundwasser befüllt ist, hinten die Reste des Werks. Die Menschen am rechten und linken Rand lassen die Dimension der Detonation und darauffolgenden Explosion erkennen.

(Bild: CC BY-SA 3.0, BASF Archiv)

Zum Ende des Ersten Weltkrieges war Carl Bosch, nunmehr Vorstandsvorsitzender der BASF, an den Friedensverhandlungen in Versailles beteiligt. Er konnte den Vorschlag der Franzosen verhindern, die Werke in Oppau und Leuna zu schließen, musste ihnen aber im Gegenzug die Nutzung des Ammoniak-Patentes überlassen. Seine Argumentation für den Erhalt der Werke: Eine drohende Hungersnot kenne keine Grenzen.

Nunmehr Manager eines Konzerns geworden, machte sich Bosch an die Konsolidierung der deutschen Chemiebetriebe unter dem Dach einer "Interessengemeinschaft Farbenindustrie“, I.G. Farben abgekürzt. Den Hintergrund dieses Zusammenschlusses bildete der Versuch der Industrie, nach der Ammoniak- und Methanol-Produktion mit der Hochdrucktechnik des "Bergius-Verfahrens" aus Kohle synthetisches Benzin zu erzeugen. Der dafür nötige finanzielle Aufwand überstieg die Mittel der chemischen Industrie um ein Vielfaches, was 1933 ähnlich wie beim Salpeterversprechen zu einem Vertrag zwischen der Regierung und der Industrie führte. In diesem "Benzinvertrag" (bzw. Feder-Bosch-Abkommen) verpflichtete sich die IG Farben zur jährlichen Produktion von 300.000 Tonnen Synthetik-Benzin, während das Deutsche Reich eine Garantie für die Wirtschaftlichkeit aller Produkte der Leunawerke abgab.

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Vor diesem Hintergrund muss das spannungsgeladene Verhältnis von Bosch zu den Nationalsozialisten gesehen werden. So genehmigte Bosch als Vorstandsvorsitzender der I.G. Farben mit der Spende von 400.000 Reichsmark an die NSDAP zur Unterstützung der Reichstagswahl vom März 1933 die größte Einzelspende an die Partei, die die Autarkie Deutschlands propagierte.

Andererseits lehnte er den Antisemitismus der Nationalsozialisten ab und engagierte sich für jüdische Forscherinnen und Forscher wie Lise Meitner und Fritz Haber und versuchte, sie in seiner kurzen Zeit als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zu schützen.

Nach dem Tod des ins Exil geflohenen Fritz Haber erschien er zum ersten Todestag auf einer Gedenkveranstaltung seines Freundes. In einem seiner letzten öffentlichen Auftritte am 7. Mai 1939 in München hielt er stark alkoholisiert eine "Dankesrede" auf Adolf Hitler. Laut Bericht des Augenzeugen Franz-Josef Baumgärtner soll Bosch gesagt haben(PDF), "dass Wissenschaft nur frei und ohne Bevormundung gedeihen könnte und dass Wirtschaft und Staat unfehlbar zugrunde gehen müssten, wenn die Wissenschaft in so würgende politische, weltanschauliche und rassistische Beschränkungen gezwungen werde wie unter dem Nationalsozialismus.“ Nach der Rede verlor er unter den Nazis Posten wie die Präsidentschaft der Lilienthal-Gesellschaft für Luftfahrtforschung und er musste aufgrund schwerer alkoholbedingter Depressionen leidend ein Sanatorium aufsuchen. Bosch starb am 26. April 1940 in Heidelberg.

Deutsches Chemie-Museum Merseburg: Ammoniak-Synthesekammer mit Reaktor, dahinter Gebäude der Hochdruck-Umlaufpumpe. Aufgenommen im Jahr 2014.

(Bild: Reinhard Ferdinand)

Zum Gedenken an den 150. Geburtstag von Carl Bosch veröffentlichte das Bundesfinanzministerium eine Sonderbriefmarke. Sie zeigt nicht nur chemische Gerätschaften und die Reaktoren des Haber-Bosch-Verfahrens, sondern auch einen Schmetterling, den Saturn und unsere Erde, um zu umschreiben, was ihn noch interessierte: Bosch tischlerte und versuchte sich als Glasbläser, er stellte eine umfangreiche Insektensammlung zusammen, die sich heute im Forschungsinstitut Senckenberg in Frankfurt/M befindet. Er war begeisterter Hobby-Astronom und beteiligte sich an der Finanzierung des Einsteinturmes in Potsdam. Ebenso finanzierte er 1926 den Stummfilm "Das Blumenwunder", mit dem eigentlich für Düngemittel geworben werden sollte, der aber als Kulturfilm mit Orchesterbegleitung zu einem großen Erfolg in den Kinos kam.

(mawi)