Zahlen, bitte! 41 Schachzüge in 3,5 Stunden

Die erste Schachpartie zwischen Computern des MIT und der ETH endete mit der Aufgabe des ETH-Computers. Dennoch schrieben die Schweizer Computergeschichte.

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Sujet "Zahlen Bitte! 41"
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Von
  • Detlef Borchers
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Im Jahr 1968 spielten zwei Computer das erste Mal direkt gegeneinander Schach. Sie standen am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH). Da es weder Internet noch dessen Vorläufer Arpanet gab, nutzte man zur Kommunikation das 20-Meter-Band im Amateurfunk. Die Züge wurden in der in Europa üblichen algebraischen Notation angegeben und im Morsecode übertragen.

Die erste von drei Partien dauerte 3,5 Stunden und endete nach 41 Zügen auf beiden Seiten damit, dass der Rechner am ETH aufgab. Es spielte eine DEC PDP-6 gegen eine CDC 1404 beziehungsweise das Schachprogramm "Mac Hack" gegen die "Schachheuristiken entspannter fauler Jodeler" (Charly) oder quasi Computerschachpionier Richard Greenblatt gegen den Physiker Gerald Tripard, die die jeweiligen Schachprogramme entwickelt hatten.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Die erste "Direktpartie" muss vom klassischen Fernschach unterschieden werden, das per Postkarte oder Telegrafie ausgetragen wurde. Beim Fernschach ist der Einsatz von vielen Hilfsmitteln erlaubt. Dabei können Spieler die Schachliteratur studieren oder andere Schachspieler als Berater hinzuziehen. Jedenfalls haben sie sehr viel Zeit, über den nächsten Zug nachzudenken.

Die erste Fernschachpartie mit Computerunterstützung wurde 1966 bis 1967 zwischen einem anderen Computer am MIT und einem russischen Computer am Institut für theoretische und experimentelle Physik in Moskau ausgetragen. Auf US-amerikanischer Seite spielten der Schachfan und KI-Pionier John McCarthy und sein Student Alan Kotok, auf russischer Seite spielten Alexander Konrod mit seinem Team, zu dem der Schachgroßmeister Alexander Bitman und der dreimalige Weltmeister Michail Botwinnik gehörten.

Die Züge bei diesem Schachmatch wurden telegrafisch übertragen. Die erste Partie endete nach neun Monaten mit dem Sieg der russischen Seite, die insgesamt drei von vier Partien gewann. Konrod verlor wegen der Verschwendung von Rechenzeit seinen Posten als Institutsdirektor und wurde in die Provinz versetzt. Kotok hingegen reichte das auf einer IBM 7090 entwickelte Schachprogramm als Abschlussarbeit seines Studiums ein.

Kotoks Programm wurde von Richard Greenblatt verbessert. Dieser war am Artificial Intelligence Laboratory vom KI-"Papst" Marvin Minsky angestellt und für den DEC PDP-6-Computer zuständig, für den er das Betriebssystem ITS (Incompatible Time Sharing) geschrieben hatte. Auf diesem Rechner entstand in mehrfach verbesserten Versionen das Schachprogramm Mac Hack, das einige Berühmtheit erlangte. So schlug das Schachprogramm von Greenblatt in einer Partie den KI-Kritiker Hubert Dreyfus. Dieser hatte zuvor behauptet, dass Computer niemals Schach spielen können. Der spätere Nobelpreisträger Herbert Simon beobachtete die Partie und bezeichnete sie als mittelmäßige Klötzchenschieberei.

Die Niederlage von Dreyfus schaffte es als Nachricht bis in die Schweiz, wo der Kanadier Gerald Tripard zusammen mit Gerhard Rudolf und Werner Joho auf einer CDC 1604 das Schachprogramm Charly (Chess heuristics and algorithms for relaxing lazy yodelers) entwickelt hatten. Tripard schrieb einen Brief an Greenblatt und schlug ihm eine Schachpartie zwischen den Computern vor.

Greenblatt war von der Idee so angetan, dass er einen Morsecode-Übersetzer für die algebraische Notation der Schachzüge in das Betriebssystem der PDP-6 integrierte. Zur Übertragung der Züge wurde Amateurfunk genutzt, wozu der Funkamateur und Programmierer Lawrence Krakauer seine Ausrüstung ins MIT schleppte. Krakauers ausführliche Schilderung der Partien steht zusammen mit einer Einleitung zu Computerschach der damaligen Zeit in seinem Blog und ist vergnüglich zu lesen. Mac Hack gewann alle drei gefunkten Partien.

Mac Hack kam zu weiteren Erfolgen, als das Programm zum "Ehrenmitglied" der United States Chess Federation ernannt wurde. Als solches durfte es an regulären Turnieren teilnehmen. Es wurde auf die wesentlich schnellere DEC PDP-10 portiert und trat 1977 sogar gegen den amtierenden Weltmeister Bobby Fischer an, war aber chancenlos.

Den ersten Sieg über einen Weltmeister errang das auf einem Pentium-PC laufende Schachprogramm Chess Genius im April 1994, das in einem Schnellschach-Turnier Garri Kasparow schlug. Kasparow war Meisterschüler von Michail Botwinnik, der nach seiner Karriere als Schachspieler Elektrotechnik studierte und dann vergeblich versuchte, das ultimative Schachprogramm zu entwickeln.

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