Zahlen, bitte! 500 Pappschilder für die nukleare Abrüstung – Das Peace-Zeichen

Vom Zeichen der Antiatomkraftbewegung entwickelte sich das CND-Zeichen neben der altbekannten Taube zum universellen Friedenssymbol. Ein Rückblick.

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Vor 65 Jahren stellte der für das britische Bildungsministerium arbeitende Künstler Gerald Holtom seinen Entwurf für ein Symbol, das die Kampagne für nukleare Abrüstung auf ihrer großen Karfreitags-Demonstration zeigen wollte. Das kreisrunde Symbol wurde sofort akzeptiert und auf 500 Pappschilder geklebt, die auf Stangen wie überdimensionale Lutscher getragen wurden. Über 10.000 Demonstranten kamen am 4. April 1958 zusammen und zogen von dort aus zum 83 Kilometer entfernten Atomforschungszentrum Aldermaston.

Die Tradition des Ostermarsches war geboren, das Symbol wanderte rund um die Welt. Heute ist es als Peace-Zeichen bekannt und wird in vielen Bereichen eingesetzt, da Holtom darauf verzichtete, sein Design zu schützen. Im Unicode ist das Symbol als U+262E ☮ zu finden.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Im Zweiten Weltkrieg hatte der Pazifist Gerald Holtom den Dienst an der Waffe verweigert und wurde zum Arbeitsdienst eingeteilt. Beim Auftrag der Camapign for Nuclear Disarmament (CND) wollte er zunächst das Kreuz verwenden, verwarf allerdings die christliche Bildsprache, die für Untaten wie Bergen-Belsen und Hiroshima stand, wie er den Peace News erzählte. Auch die Friedenstaube wurde von ihm verworfen, da sie von Stalins Regime benutzt wurde, das ebenfalls Atombomben baute.

Schließlich ließ er sich nach eigener Aussage von zwei Quellen inspirieren, beide mit einem militärischen Kontext. Die eine war das Winkflaggenalphabet, wie es von der Kriegsmarine benutzt wurde. Ihm entnahm Holtom das Zeichen N für Nuclear und D für Disarmament und setzte sie zusammen in einen Kreis. Als Künstler hatte er eine zweite Erklärung parat: Das Zeichen sei von Goyas Bild Die Erschießung der Aufständischen inspiriert worden. Später entwarf Holtom Varianten mit einem Lebensbaum, als der Vorwurf aufkam, dass das Zeichen eine germanische Rune darstellen würde. Doch bereits sein erster Vorschlag wurde akzeptiert und prägte den Ostermarsch1958.

Auschnitt aus: Die Erschießung der Aufständischen, Ölgemälde gemalt 1814 vom spanischen Künstler Francisco de Goya. Das Bild war eine Inspiration zum Friedenszeichen.

Bereits im Sommer 1958 wurde das Abrüstungssymbol in den USA bekannt, als der Quaker und Atombombengegner Albert Bigelow mit der Ketsch "Golden Rule" aufbrach, um die Atombombenversuche der USA auf dem Eniwetok-Atoll der Marshallinseln zu stören. Bigelow, der sich ein international beachtetes Katz-und-Maus-Spiel mit der US-Küstenwache lieferte, hatte das Besansegel der Ketsch mit dem Abrüstungszeichen verziert. In den USA wandelte sich das Antiatom-Symbol zum allgemeinen Peace-Zeichen, das bei Protesten gegen den Vietnam-Krieg, aber auch bei den Bürgerrechtsdemonstrationen mit Martin Luther King getragen wurde. Etwas abseits der politischen Bedeutung wurde das Symbol in der Hippie-Kultur der späten 60er-Jahre im Namen der Flower Power bunt und glitzernd. An diese Wende erinnert das US-amerikanische Nationaldenkmal zum Woodstock-Festival: dort, wo einst die Bühne stand, ist ein riesiges Peace-Zeichen zu sehen.

Ausgehend von dieser Kultur gab und gibt es zahlreiche Versuche, das Peace-Zeichen zu kommerzialisieren. Der spektakulärste Fehlschlag ist sicherlich der Versuch von American Tobacco, das Zeichen auf Zigarettenpackungen der Marke Lucky Strike Filters einzuführen. Danebengegangen ist auch der Versuch von Volkswagen in den USA, den "klimaneutralen" VW-Käfer voller Friedenssymbole in einer Sonderausgabe zu vermarkten.

Von einem Anti-Atomkraft-Symbol zu einem universellen Friedenszeichen: Das CND-Symbol, gemeinhin besser bekannt als Peace-Zeichen.

Wer an Mode interessiert ist, wird bei der Marke Moschino fündig oder bei den PeaceFrogs. Irgendwo auf der Grenze zwischen Kommerz und Aktivismus liegen die Waren, die im Auftrag der Pliner Peace Foundation angeboten werden. Es gibt Schweizer Uhren, in denen das Peace-Zeichen die Ziffern ersetzt und Pantoffeln mit dem bekannten Symbol. Internet-Stöberer kennen das Zeichen vom Besuch bei Craigslists.

Im Laufe der Zeit hat es nicht an Versuchen gefehlt, das Peace-Zeichen zu modernisieren. Für die Organisation "Peace One Day" hat eine Design-Firma das Zeichen mit einer Art Tortenstück komponiert, eine andere verschmolz es mit einem Symbol der Erde. Der allerneueste Vorschlag ist ein schlichter blauer Punkt. Politisch neu aufgeladen wurde das Zeichen durch den französischen Grafiker Jean Jullien, der nach den Terroranschlägen 2015 in Paris den Eiffelturm mit dem Peace-Zeichen kombinierte.

Ein Jahr nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat das Peace-Zeichen eine neue, höchst ambivalente Rolle bekommen. Mit dem Beginn der mörderischen "Spezialoperation" wurde es in Russland verboten, genau wie die Benutzung der Worte "Krieg" und "Frieden". In Deutschland veröffentlichte die Zeitschrift Konkret eine Ausgabe, die das Peace-Zeichen auf dem Titel trug -- gebildet von zwei Maschinenpistolen und einer Panzerfaust. Die Unterstützung der Ukraine mit Waffen wurde im Leitartikel als "Verlust linker Urteilskraft" gebrandmarkt.

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Parallel dazu gab es Unterstützungs-Demonstrationen in diesem unseren Autoland, in denen tagsüber Autos ein riesiges Peace-Zeichen bildeten; und nachts wurden Trecker eingesetzt. Auch aus der Ukraine gibt es Bilder, die das Symbol zeigen, aber der Kontext ist deutlich anders: Das Symbol wird für die Friedensgruppen im Westen benutzt, die sich für Verhandlungen mit Russland einsetzen. Am Wochenende vor dem Jahrestags des Überfalls der Ukraine durch Russland veröffentlichte die tageszeitung einen Kommentar mit einer Karikatur, die das Peace-Zeichen an der Lutscherstange zusammen mit der Sowjetfahne zeigte. Andererseits verkauft die gleiche Zeitung eine Ausstechform für Kekse in Form des Peace-Zeichens, zur Wiederherstellung des Familienfriedens nach einem Streit über das Thema.

(mawi)