Zahlen, bitte! Mit 17 Rädchen gerechnet: Die erste Rechenmaschine der Welt

Der Tübinger Mathematiker Wilhelm Schickard schuf 1623 die erste Rechenmaschine. Sie gilt als verschollen, konnte aber nach Beschreibungen rekonstruiert werden.

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Im Jahr 1623 arbeitete der Tübinger Mathematiker und Astronom Wilhelm Schickard an der Konstruktion einer Rechenmaschine. Von den damals gebauten Maschinen ist keine erhalten geblieben, doch in den Briefen an seinen Freund und Mentor Johannes Kepler skizzierte Schickard seine Maschine so genau, dass sie im Jahre 1957 nachgebaut werden konnte. Zum Jubiläum wird eine 20 Euro-Gedenkmünze ausgegeben, die eine Funktionsgraphik der Rechenmaschine zeigt und als Inschrift auf dem Münzrad den Satz MACHINAM EXTRUXI QUAE DATOS NUMEROS COMPUTET enthält: "Ich habe eine Maschine konstruiert, welche gegebene Zahlen verrechnet,“ – diese Zeilen schrieb Schickard am 19. September 1623 an den in Linz lebenden Kepler.

Wilhelm Schickard (* 22. April 1592 in Herrenberg; † 23. Oktober 1635 in Tübingen) porträtiert von Conrad Melperger 1632 für die Tübinger Professorengalerie

Schickards Rechenmaschine sollte aufwendige astronomische Berechnungen vereinfachen. Die erste Erwähnung einer möglichen Maschine findet sich in einem Brief, den Schickard am 3. April 1618 an Kepler schrieb: "Was du jüngst durch das völlig neue und im höchsten Maße fehlerfreie Verfahren der Rudolphinischen Tafeln geleistet hast, das begehre ich, ausgehend vom Copernikanischen Ansatz, mit Zirkel und Lineal mechanisch, und demgemäß einem etwas grobschlächtigeren Wissenschaftsideal genügend, nachzuahmen."

Ausgehend von mechanischen Überlegungen und über die Beschäftigung mit den Napierschen Rechenstäbchen gelangte Schickard zur Konstruktion einer Maschine, von der er am 19. September 1623 euphorisch gestimmt in einem Brief an Kepler berichtete: "Ferner habe ich dasselbe, was du rechnerisch machst, kürzlich mechanisch versucht und eine Maschine konstruiert, die aus 11 vollständigen und 6 verstümmelten Rädchen besteht und mit gegebenen Zahlen sofort selbsttätig rechnet [machinam extruxi, quae datos numeros statim automatos computet], sie addiert, subtrahiert, multipliziert und dividiert. Du würdest hell auflachen, wenn du hier wärst und sehen könntest, wie sie die linken Stellen bei Überschreitung des Zehners oder Hunderters von selbst erhöht oder bei der Subtraktion ihnen etwas fortnimmt."

Die Rechenuhr von Schickard – hier in einem Nachbau zu sehen, da die beiden Originalmaschinen in den Wirren um den Dreißigjährigen Krieg verschollen sind.

(Bild: CC BY-SA 3.0, Herbert Klaeren)

Allein diese Beschreibung durch Schickard berechtigt uns, von einer Rechenmaschine sprechen – Schickard selbst nannte sie Rechenuhr. Ein paar Jahrhunderte später formulierte nämlich die DIN 9751-1 den Unterschied zwischen Rechenmaschinen und Rechenhilfsmitteln. Die Norm legt fest, dass die automatische Zehnerübertragung das entscheidende Merkmal einer solchen Maschine ist.

Von Schickards Rechenmaschine wurde mindestens ein Exemplar vom Instrumentenbauer Johann Pfister gebaut, ein zweites, für Kepler bestimmtes Exemplar verbrannte kurz vor der Fertigstellung, wie Schickard an Kepler schreibt: "Ich hatte auch für dich schon ein Exemplar bei unserem Johann Pfister machen lassen, aber das ist halbfertig zusammen mit einigen anderen Sachen von mir, besonders einigen Kupfertafeln, bei einer plötzlich in der Nacht dort ausgebrochenen Feuersbrunst vorgestern verbrannt, worüber Mütschelin ausführlicher berichten kann. Über deren Verlust bin ich recht ungehalten, zumal jetzt, da keine Zeit ist, so schnell eine andere zu machen." Man befand sich schließlich im Dreißigjährigen Krieg. Brände waren so häufig, dass sie von Schickard bei der Landvermessung Baden-Württembergs (Tabula Wirtembergiae), mit der er beauftragt war, zur Triangulation genutzt wurden.

Aus den überlieferten Schickard-Aufzeichnungen und Skizzen wie dieser konnte die Rechenuhr nachgebaut werden.

Dem Brief an Kepler legte Schickard eine Skizze der Maschine bei, die mit Buchstaben versehen ist und schrieb: "Das Rechengerät werde ich ein andermal genauer zeichnen, jetzt nimm in Eile mit folgendem vorlieb: aaa sind die Köpfchen senkrechter Zylinder, denen die Multiplikationen der Stellen einbeschrieben sind, die, soweit sie benötigt werden, durch die beweglichen Fenster bbb herausschauen. ddd haben innen befestigte zehnzähnige Rädchen, die so zusammengefügt sind, dass wenn irgendein rechtes sich zehnmal bewegt, das nächste linke einmal, oder wenn jenes 100 Umdrehungen macht, das dritte einmal usw. bewegt wird. Und zwar in derselben Richtung; damit ich das erreichte, bedurfte es eines ganz ähnlichen Zwischenrades h. Die jeweilige Zahl schaut durch die Öffnungen ccc in der mittleren Bank heraus. Auf der unteren Ebene schließlich bedeutet e Wirbel und f in ähnlicher Weise Öffnungen zur Darstellung von Zahlen, die während der Rechnung gebraucht werden." Nach dieser Skizze wurde im Jahre 1957 die "Rechenuhr" nachgebaut. Die Funktionsweise des Zehnerübertrages wird hier ausführlich erläutert. Ein Nachbau soll auch im Vintage Computer Festival Europa Ende April in München ausgestellt werden.

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In Schickards knappen Skizzen und seinen erhaltenen Anweisungen an den Instrumentenbauer Pfister fehlen genaue Größenangaben. Deshalb gibt es Zweifel, ob der Nachbau mit den feinmechanischen Möglichkeiten der damaligen Zeit wirklich originalgetreu ist. Ein Versuch (PDF-Datei), das Rechnerwerk mit handgesägten und -gefeilten Zahnrädern zu rekonstruieren, zeigt, dass möglicherweise eine andere, gröbere Mechanik genutzt wurde und die Rechenuhr eine ziemlich große Maschine war, dem "grobschlächtigeren Wissenschaftsideal" Schickards entsprechend.

In jedem Fall führte die Entdeckung der Briefe von Schickard an Kepler in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts nicht nur dazu, dass eine Rekonstruktion der Maschine möglich wurde. Auch die bis dahin aufgezeichnete Geschichte der Rechenmaschinen musste neu geschrieben werden. Denn bis dahin dachte man, dass die 1642 von Blaise Pascal erfundene "machine d’arithmétique", später Pascaline genannt, die erste Rechenmaschine der Welt war.

Nebenbei versinnbildlichte Schickard den "Trichter" als Bezeichnung für lernstoffintensive Bücher.

(Bild: Detlef Borchers)

Schickard war der Nachwelt bis zur Entdeckung dieser Aufzeichnungen nur als Mathematiker, Astronom und Orientalist bekannt. Nach seiner Rechenuhr erfand er 1627 noch eine andere Einrichtung, den Hebräischen Trichter. Dieser "Trichter" war ein Lehrbuch für Deutsche, wie man ohne Umweg über das Lateinische schnell Hebräisch lernen, beziehungsweise eintrichtern konnte. Der Titel des Lehrbuches wurde später von Georg Philipp Harsdörffer mit seinem Poetischen Trichter aufgegriffen, der wiederum als "Nürnberger Trichter" verspottet und bekannt wurde.

Unter dem an Schickards Werk angelehnten Titel The Nurnberg Funnel (PDF-Datei) veröffentlichte der am Watson Research Center von IBM forschende Informatiker und Soziologe John Carroll in den 80er-Jahren seine Untersuchungen zur optimalen, minimalen Dokumentation von Software (IBM Displaywriter) und Hardware (Handbuch für Apple Lisa).

So gesehen ist Wilhelm Schickard nicht nur der Erfinder der Rechenmaschine, sondern kann um ein paar Ecken als ein früher Pionier des Computerzeitalters gelten. Auch dafür wäre dann eine Gedenkmünze wie bei der Rechenmaschine fällig.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

(mawi)