Zahlen, bitte! DIN 476 - Die Geburt des wichtigsten Papierformats der Welt

Unter der etwas sperrigen Bezeichnung DIN 476 wurden die fast weltweit genutzten DIN-Papierformate zusammengefasst, inklusive DIN-A4. Doch wie entstanden sie?

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Wer heute einen Brief schreiben will, greift in den meisten Staaten der Welt zum gleichen Papierformat: DIN-A4. Die Wahrscheinlichkeit ist zudem groß, dass auch Sie heute schon mit anderen DIN-Papierformaten in Berührung gekommen sind. Doch wie war die Entstehung? Und was sind ihre Besonderheiten?

Gemäß unserer Rubrik fangen wir erst einmal mit ein paar Zahlen an: Ausgehend vom Format A0 als ein Bogen Papier in Form eines ein Quadratmeter großen Rechtecks kann man durch mehrfaches Falten zu unserem bekanntesten Format A4 mit 21×29,7 cm kommen und dann weiter zu A5 mit 14,85×21 cm. Diesen Formaten ist gemeinsam, dass sie durch das Längen-Breitenverhältnis bestimmt werden, das √2 ist. Als 17/12 kannten bereits die Babylonier eine Annäherung an diese Zahl.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Historisch sind die Formate mit der Praxis des Buchdrucks verbunden, verschiedene Buchformate ohne Schnittverlust bei den Papierbögen zu produzieren. Politisch wurden einige Formate mit dem Stempelgesetz während der Französischen Revolution festgelegt. Ökonomisch kam die Norm jedoch erst 1922 in ihre heute bekannte Form.

In vielen Geschichten zur Papiernorm wird der Philosoph und Mathematiker Georg Christoph Lichtenberg als Entdecker der fügsamen Formate genannt. Das ist jedoch falsch. Lichtenberg, der seine Schreibhand schon mal als "gelehrtes Zeugungsglied" bezeichnete, schrieb am 17. Oktober 1786 an seinen Göttinger Professor-Kollegen Johann Beckmann einen Brief und fragte ihn:

"Können mir Ew. Wohlgebohren wohl nicht sagen, wo die Formen unserer Papiermacher gemacht werden, oder ob sie sie, woran ich zweifle, selbst machen? /.../ Sind den Papier=Formen machern wohl Regeln vorgeschrieben, oder ist diese Form durch Tradition nur ausgebreitet worden ? und wo stammt diese Form die wohl nicht durch Zufall entstanden ist, her?"

Lichtenberg hatte im Mathematikunterricht entdeckt, dass die von ihm benutzten Papiere durch das Format 1 : √2 bestimmt sind und fragte Beckmann nach den Gründen dafür.

Papierformat von A1 bis A8 inklusive der Maße. Das jeweils kleinere Format erreicht man durch halbieren des größeren Formats.

(Bild: CC BY-SA 3.0, User:Sven)

Wir wissen nicht, was Beckmann antwortete, da nur wenige Briefe von ihm an Lichtenberg erhalten sind, doch dürfte der Begründer der Technologieforschung, der systematisch Handwerksabläufe erforschte, um keine Antwort verlegen gewesen sein. Tatsächlich hätte Lichtenberg selbst die Antwort finden können, als er von der Qualität des chinesischen und französischen Papiers schwärmte. Den richtigen Riecher hatte er jedenfalls: das französische Papier für den Buchdruck wurde in Rahmen geschöpft, die 43 × 60 cm groß waren und damit ungefähr dem heutigen A2-Format (42 × 59,4 cm) entsprachen. Aus einem Papierbogen konnten so 2 Buchseiten im sogenannten Folio-Format, 4 Seiten im Quart-Format und 8 Seiten im Oktav-Format produziert werden.

Das wichtigste Buch zu Lichtenbergs Zeiten war übrigens die Quartausgabe der Encyclopédie von Diderot und d'Alembert, deren 36 Bände in Genf, Lyon und Neuchâtel in 8525 Exemplaren gedruckt wurde. Dafür benötigte man 36 Millionen Bogen Papier im französischen Format.

Die Formate Folio, Quart sowie Oktav. Illustration aus dem Buch "Glänzende Geschäfte" von Robert Darnton über die Encyclopédie.

Die erste Normung des Papierformats geschah im Zuge der Französischen Revolution, an der die Encyclopédie der Aufklärer mit insgesamt 11507 nachgewiesenen Exemplaren allein in Frankreich einen wichtigen Anteil hatte. Nach dem Sturz des alten Regimes wurde eine neue Verwaltung aufgebaut. Für zahlreiche neue Urkunden wurde am 13. Brumaire des Jahres 7 (= 3. November 1798) das Gesetz über die Stempelsteuer eingeführt. Entsprechend der neuen Zeit war nun der Meter die Bezugsgröße für das Flächenmaß der Urkunden, womit unser Beispiels-Format A2 nunmehr mit 42,04 × 59,46 cm als "Grand Registre" definiert wurde. Diese Stempelsteuer für Urkunden gibt es noch heute und gilt auch für elektronische Dokumente. Sie beginnt bei 6 Euro für das Format A4, geht bis 24 Euro für A2 und kann natürlich online bezahlt werden.

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So, wie das Rad sicher mehrmals erfunden wurde, erging es auch den Papiermaßen, von denen es zahlreiche Varianten gab, die schlecht miteinander harmonierten. In deutschen Behörden war etwa das Kanzleiformat 33×42 cm weitverbreitet, bei dem das Papier halbiert gefaltet und dann beschrieben wurde. Im Jahre 1920 wurde der Mathematiker Walter Porstmann Mitarbeiter des Normenausschusses der Deutschen Industrie. Porstmann hatte zuvor mit dem Chemie-Nobelpreisträger Wilhelm Ostwald am sogenannten Weltformat für Bücher gearbeitet, das Platz in Bibliotheken sparen sollte.

Schöndruck und Widerdruck in einer Illustration aus dem Buch "Der Buchdruck der frühen Neuzeit" von Michael Giesecke. "Schöndruck" steht in diesem Falle für den Druck der Vorderseite, "Widerdruck" für die bedruckte Rückseite nach Wenden des Blattes.

Bei Ostwalds Weltformat entstanden Papiere, die nicht in die damals benutzten Aktenordner und Aktendeckel im Kanzleiformat passten. Erst Porstmann fand eine praktikable Lösung mit Rechtecken, deren Länge das √2-fache ihrer Breite haben müssen.

Am 18. August 1922 wurde Porstmanns Werk als DIN 476 "Papierformate" veröffentlicht. Sie wurde ohne Diskussion im sonst Meter-allergischen Großbritannien eingeführt. Sie überstand auch die deutsch-deutsche Teilung: Die DDR änderte nichts am DIN-A4-Format, gab der Gesamt-Norm mit TGL 0-476 (PDF) aber einen noch sperrigeren Namen. Das DIN-Format gilt in vielen Teilen der Welt, jedoch nicht überall: Die USA, Kanada und die Philippinen nutzen das US-Letter-Format. In Lateinamerika firmiert das Letter-Format unter der spanischen Bezeichnung Carta. Identisch bleiben die Abmessungen mit 21,6×27,9 cm.

Abgesehen von diesen Staaten ist die DIN 476, heute ISO-Norm 216 genannt, bemerkenswert erfolgreich.

(mawi)