Zahlen, bitte! Die V2, die erstmals die Erde aus dem All fotografierte

Eine erbeutete deutsche Weltkriegsrakete V2 lieferte im Oktober 1946 in Tests für die US-Armee einen Wink in die Zukunft: Das erste Foto aus dem All.

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Erdfotos, geschossen aus dem Weltall, sind heute Alltag und im Satellitenzeitalter nichts Ungewöhnliches. Buchstäblich jeder Winkel der Erde ist schon von oben abgebildet worden. Das erste Foto aus dem All allerdings war eine Sensation. Es wurde anderthalb Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geschossen. Montiert war die Kamera auf einer erbeuteten deutschen V2-Rakete, die im Zweiten Weltkrieg noch als Terrorwaffe der Nazis galt.

Am 3. Oktober 1942 gelang vom Versuchsgelände Peenemünde der erste Start einer Aggregat 4, wie die Rakete ursprünglich genannt wurde. Sie erreichte eine Gipfelhöhe von 84,6 Kilometer und stieß damit als erstes von Menschen geschaffenes Objekt an die Grenze des Weltraums. Die Vergeltungswaffe 2 (V2) war die erste Großrakete mit Flüssigkeitstriebwerk. Zu der vom Raketeningenieur Wernher von Braun entwickelten Rakete gab es weltweit nichts Vergleichbares.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Sie hatte eine Startmasse von 12,5 Tonnen. Die Länge betrug 14 Meter, der Durchmesser maximal 3,5 Meter. Sie sollte eine Tonne Sprengstoff über 250 Kilometer weit ins Ziel bringen. In der sich allmählich abzeichnenden Niederlage versuchte Hitler 1943 mit den "Wunderwaffen" Fi 103 (die als erster Marschflugkörper galt) und Aggregat 4 (A4) als erste ballistische Rakete den Krieg noch zu gewinnen. Für die Propaganda wurden Fi 103 in Vergeltungswaffe 1 und die A4 in Vergeltungswaffe 2 umbenannt.

(Bild: CC BY-SA 4.0, Eberhard Marx)

Über 3200 V2-Raketen wurden auf Städte in England, Frankreich, Belgien, und Niederlanden, später auch innerhalb Deutschlands abgefeuert. Der militärische Wert war überschaubar, da die Raketen nur selten das angepeilte Ziel trafen. Die psychologische Wirkung war dafür umso stärker: im Gegensatz zur V1 gab es praktisch keine Vorwarnzeit, da die Rakete viel zu schnell war. Außerdem existierten damals keine Abwehrmöglichkeiten für eine anfliegende Großrakete.

Die Raketen forderten über 8000 Todesopfer. Zudem mussten sie in der Serienfertigung von Zwangsarbeitern unter menschenunwürdigen Bedingungen gefertigt werden. Mehrere Tausend Häftlinge des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora überlebten das Martyrium der Nazis nicht. Zehntausende mussten die Stollenanlage im Kohnstein ausschachten und später die Raketen montieren.

Am 29. März 1945 fiel den der 3. US-Panzerdivision im hessischen Allendorf-Bromskirchen ein überlanger Militärzug in die Hände. Der Zug hatte 9 V2-Raketen, mobile Abschussrampen und Zubehör geladen. Als die amerikanischen Kräfte das Feuer eröffneten, suchte die Bahnbesatzung rasch das Weite. Die Kriegsbeute ging umgehend nach Antwerpen und von da aus in die USA.

Als am 11. April 1945 befreite die 1. US-Panzerdivision das KZ Mittelbau-Dora. In der Stollenanlage Kohnstein fanden sich rund 100 V2 Raketen und eine umfangreiche Anzahl von Einzelteilen. In 341 Waggons transportieren US-amerikanische und britische Einheiten die erbeuteten V2-Teile ab. Wie die neun Raketen des erbeuteten Zuges gingen die Teile ins militärische Versuchsgelände von White Sands, im US-Staat New Mexico.

Das erste Foto aus dem All. Mit etwa 105 Kilometern Flughöhe wurde der Weltraum erreicht. Das Foto ist 5x höher aufgenommen als jedes Bild davor.

Die Konstrukteure der V2, Wernher von Braun und Walter Dornberger hielten sich mit 120 ihrer engsten Mitarbeiter im Allgäu auf. Sie stellten sich am 2. Mai 1945 der 44. Infanteriedivision der 7. US-Armee und wurden ebenfalls in die USA verbracht. In der streng geheimen Operation Paperclip wollte die USA die Erkenntnisse der deutschen Wissenschaftler nutzen. Dafür schauten die Behörden bei der Nazi-Vergangenheit nicht ganz genau hin.

Die erbeuteten V2 wurden von dem deutschen Team einsatzbereit gemacht und für wissenschaftliche Tests vorbereitet. Dr. Ernst Henry Krause, Leiter der neuen Forschungsabteilung für Raketensonden am Naval Research Laboratory, nahe Washington D.C. gründete mit interessierten Wissenschaftlern den "V-2 Upper Atmosphere Panel". Ziel war ein wissenschaftliches Programm, welches V2-Nutzlasten entwickeln sollte.

In diesem Rahmen stieg am 24. Oktober 1946 die V2 Nr. 13 auf. Mit an Bord hatte sie eine 35 mm schwarz-weiß-Kamera der Firma DeVry. Sie nahm durchgehend im Abstand von anderthalb Sekunden Einzelbilder auf. Am höchsten Punkt erreichte sie 105 Kilometer: der Kámán-Linie nach, also knapp im Weltraum. Der beginnt in dieser Festlegung ab 100 Kilometer Höhe.

Weitere Starts beinhalteten Messinstrumente und Versuche, darunter Spektrographen, Funkausstattung, Getreidesamen sowie Fruchtfliegen. Selbst ein Rhesusaffe namens Albert II. wurde 1949 in den Weltraum geschossen. Leider misslang die Landung: Der Fallschirm öffnete sich nicht, Albert II. stürzte ab und überlebte das Abenteuer nicht.

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Die V2 erhielt später eine zweite Stufe und die Weiterentwicklung bekam den Namen Bumper. Sie erreichte mit 403 Kilometern im Februar 1949 einen neuen Höhenrekord und im Mai 1950 mit 5260 Km/h einen neuen Geschwindigkeitsrekord. Bis 1952 wurden 67 V2-Starts durchgeführt.

Wernher von Braun erhielt am 14. April 1955 die US-Staatsbürgerschaft. Da hatte er längst einen V2-Nachfolger entwickelt: Die Redstone-Rakete. Zwei Jahre später flog der russische Satellit Sputnik ins All und das Rennen um die Vorherrschaft im All begann.

(mawi)