Zahlen, bitte! Die glorreichen 7 der Mathematik

Ohne mathematische Symbole wäre es komplizierter, Berechnungen zu dokumentieren. Die wichtigsten Zeichen entstanden durch Cossisten. Wer waren sie überhaupt?

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Mathematische Berechnungen sind dank mathematischer Symbole mittlerweile einfach auf Papier zu bringen. Das war nicht immer so. Mit der Zeit entwickelten sich Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division, das Gleichzeichen, die Wurzel als auch die Variablen – Zeichen, die die Darstellung der Mathematik enorm erleichterten, nicht nur die des Teilbereichs Algebra. Unser heutiges "Zahlen, bitte!" blickt zurück.

Jost Bürgi kam am 28. Februar 1552 in Lichtenstieg/Schweiz zur Welt. Es ist ein Tag, an dem man sich nicht nur an den herausragenden Astronomen und Instrumentenbauer erinnern kann, sondern auch an den Mathematiker Bürgi. Er ist einer der letzten in der großen Tradition der Cossisten, die die moderne Algebra im deutschsprachigen Raum begründeten, was schnell in Vergessenheit geriet.

Jost Bürgi (* 28. Februar 1552 in Lichtensteig/Schweiz; † 31. Januar 1632 in Kassel) war ein bedeutender Schweizer Uhrmacher, Mathematiker und Astronom.

Sein von Johannes Kepler redigiertes Werk wurde erst 1973 gedruckt. Bürgis ab 1599 verfasste Coß ist auf Deutsch verfasst, weil der Schweizer Instrumentenbauer kein Latein konnte. Eigens für ihn übersetzte deshalb sein Freund Nicolaus Reimers Ursus (PDF-Datei) die bahnbrechende Schrift von Kopernikus "Über die Kreisbewegungen der Weltkörper" ins Deutsche, damit Bürgi für ihn ein Planetenmodell bauen konnte. Noch schlechter erging es der ebenfalls auf Deutsch geschriebenen Coß des wohl bekanntesten Rechenmeisters Adam Riese. Sie kam nie in den Druck und wurde erst 2020 digitalisiert.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Die deutsche Coß erstreckt sich über den Zeitraum von 1460 bis 1600. In dieser Zeit beschäftigten sich zahlreiche Mathematiker damit, die mathematische Terminologie mit geschriebenen Worten durch algebraische Symbole zu ersetzen. Coß ist eine Abwandlung aus dem italienischen "cosa", eine Übersetzung für das arabische say' (Ding), mit dem die islamischen Mathematiker eine Variable bezeichneten.

Die Entwicklung dieser von den Arabern übernommenen Algebra begann in Italien mit dem Liber Abaci von Fibonacci im Jahre 1202, das so anfängt: "Novem figurae Indorum he sund 9 8 7 6 5 4 3 2 1. Cum his itaque novem figurae, et cum hoc signo O, quod arabic cephirum appelatur, scribitur quilibet numerus." (Die neuen Zahlen der Inder sind diese: 9 8 7 6 5 4 3 2 1. Mit ihnen und mit diesem Zeichen 0, das auf Arabisch cephirum (Ziffer) heißt, kann jede beliebige Zahl geschrieben werden.) Damit war die Null in der westlichen Welt angekommen und die Dezimalziffern erlebten in Italien einen rasanten Aufstieg.

Natürlich nicht ohne Vorbild: Fibonacci hatte die lateinische Übersetzung des Rechenbuches von al-Chwarizmi gelesen, in dem dieser die "al-gabr" erklärt, heute Algebra genannt. Es wurde von dem in Spanien lebenden Arabisten Robert of Chester im Jahre 1140 als "Liber algebrae et almucabola" übersetzt. Von Fibonacci kam eine erste Vereinfachung der mathematischen Sprache, als er bei der Darstellung von Dezimalbrüchen einen Bruchstrich benutzte.

Mit der Dezimalrechnung war eine Rechentechnik vorhanden, die vor allem den kaufmännischen Rechnungen und der doppelten Buchführung entgegenkam. Sie löste das bekannte Rechnen mit dem Abakus oder den Rechenbrettern sehr schnell ab. Zahlreiche Begriffe dieser Rechentechnik aus der Kaufmannswelt haben ihre Ursprünge im Italienischen: Agio, Giro Saldo, Skonto und Konto, netto und brutto weisen darauf hin, auch der Bankrott (für banca rotta) gehört dazu.

Das Prozentzeichen für den Ausdruck per cento gehört zu den ersten neuen Zeichen der Kaufleute. Zunächst 10pc^o100 abgekürzt entwickelte sich aus c^o ein Symbol aus zwei kleinen Kreisen, die durch einen horizontalen Strich getrennt waren und später zu % mutierten. Der früheste Nachweis des Zeichens datiert auf ein Manuskript aus dem Jahre 1335.

Prozentzeichen in einem Manuskript aus dem Jahre 1648

Noch früher zog Jordanus Nemorarius seine Lehren aus den Aussagen von Fibonacci. Er machte 1237 den Vorschlag, Buchstaben für Unbekannte in einer Gleichung einzusetzen. Er fand damit jedoch kein Gehör, doch ihm zugeschriebenen Schriften fanden sich im Nachlass von Regiomontanus (Johann Müller). Dieser "Königsberger" war es, der entscheidend dazu beitrug, dass das Rechnen mit Dezimalziffern seinen Weg über die Alpen fand und Christopherus Kolumbus mit dessen Ephemeriden den Weg über den Atlantik.

Veröffentlichte Regiomontanus seine Rechenbücher noch auf Latein, so war es der Mathematiker Johannes Wildmann, der seine Mercantile Arithmetic oder Behende und hüpsche Rechenung auff allen Kauffmanschafft (PDF-Datei) 1489 auf Deutsch erscheinen ließ. In ihr taucht der Vorschlag auf, die Operation Plus mit dem +-Zeichen, die Operation minus mit dem Zeichen - zu kennzeichnen. Bis dahin wurde Plus meist ausgeschrieben und Minus mit einem m abgekürzt, über dem ein Querbalken gezeichnet wurde.

Der nächste Rechenschritt, den die Cossisten als frühe Algebraiker auflösten, war die Wurzel (lateinisch radix), die meistens mit r abgekürzt wurde. Im Jahr 1525 veröffentlichte Christoff Rudolff sein Buch ehend und hübsch Rechnung durch die kunstreichen regeln Algebre, so gemeinicklich die Coß genennt werden. In ihm machte er den Vorschlag für das heutige Wurzelzeichen.

Von anderer Seite wurde das Gleichheitszeichen vorgeschlagen. Lateinisch ausgeschrieben war das aequalis, was aeq abgekürzt oder dann als æ genutzt wurde, bis der englische Cossist Robert Recorde im Jahre 1557 in seinem Buch mit dem schönen Titel The whetstone of witte, whiche is the seconde parte of Arithmetike: containyng thextraction of Rootes: The Coßike practise, with the rule of Equation: and the woorkes of Surde Nombers. (PDF-Datei) das Gleichheitszeichen = vorschlug. Wer sich über surde numbers wundert: das waren Recordes Vorschläge für die Schreibweise "absurden Zahlen", von Potenzen, wobei zenzic für die Quadratzahl und cubic für die Kubikzahl standen. Doch die Potenzrechnung mit Zahlen wie X² und x³ benötigte keine eigenen Operatoren, da sich bei gleichnamiger Basis die Exponenten wie gehabt addieren und subtrahieren lassen.

In einer früheren Ausgabe von Zahlen, bitte! wurde der Mathematiker und Theologe Michael Stifel erwähnt. Stifel, ein Freund von Martin Luther, rechnete zuerst mit Worten und Zahlen aus der Bibel. So ermittelte er "streng mathematisch", aber leider völlig falsch, das Ende der Welt am 19. Oktober 1533. Luther erreichte, dass sein Freund Stifel an diesem Tag verhaftet und abgeführt wurde, als er sich mit seinen Gläubigen zum Weltuntergang versammelte. Das rettete Stifels Leben, denn viele seiner Anhänger hatten Hab und Gut verkauft und das eine oder andere Fest gefeiert, das nach dem Untergang der Welt nicht möglich ist, wenn alle vor das jüngste Gericht treten müssen. Stifel wurde später begnadigt und konnte eine Pfarrstelle antreten, musste aber öffentlich dem Rechnen mit Buchstaben und Worten abschwören.

Er arbeitete danach die Coß von Christoff Rudolff gründlich durch und veröffentlichte 1544 als Hauptwerk seine Arithmetica integra als Zusammenfassung der damals bekannten Algebra. Von ihm stammt die Bezeichnung Exponent und die Erklärung der Rechenregeln von Potenzen mit gleicher Basis. Über die Algebra kommt er zu den "absurden Zahlen" (negativen Zahlen) und den "größten Zahlen" (irrationale Zahlen). Seine Lösung für quadratische Gleichung führt zu einer Formel, die noch heute in den Schulen gepredigt wird. Für die Algebra-Geschichte ist Stifel deshalb wichtig, weil er 1553 eine durch viele Beispiele ergänzte und kommentierte Neuausgabe der Coß von Rudolff besorgt, gewissermaßen der Abschlussstein der deutschen Cossisten-Geschichte. Rudolffs und Stifels "Co-Produktion" wird die Grundlage von Eulers Algebra, die 1770 erscheint.

Die nächste Rechenoperation, die mit einem Zeichen vereinfacht wurde, war die Division, zuvor als diviso ausgeschrieben. In seinem Werk Teutsche Algebra, Oder Algebraische Rechenkunst zusamt ihrem Gebrauch schlug der Schweizer Johann Heinrich Rahn im Jahre 1659 das Geteiltzeichen mit Punkten und einem Bruchstrich in der heutigen Form vor, sowie das Malzeichen in Form eines Sternchens. Letzteres hat sich heute auf den Computertastaturen erhalten, obwohl sich der mittig gesetzte Punkt als Malzeichen durchgesetzt hat. Für diesen kleinen Punkt soll sich Gottfried Wilhelm Leibniz energisch eingesetzt haben, sodass er schließlich das Sternchen ersetzte.

Rahns Werk ist noch in anderer Hinsicht bedeutsam. Seine "Teutsche Algebra" vermittelte erstmals die Weiterführung der Algebra, wie sie sich vor allem durch François Viète und René Descartes in Frankreich weiter entwickelt hatte. Die Coß war da längst am Ende. Sie ging zusammen mit dem Heiligen Römischen Reich zugrunde, in einem 30-jährigen Krieg, der die führende Rolle in der Mathematik und viel mehr zerstörte.

Hexenverbrennungen und andere Verbrechen ersetzten das Rechnen mit dem Ding, der Variablen. Damit schließt diese Kolumne mit einer Aufgabe, die der Mathematiker Antonio Maria del Fiore seinem Kontrahenten Niccolò Tartaglia in der "alten Schrift" (Stifel) im Februar 1535 so stellte: "cosa plus cubus aeq 6."

Natürlich steht die Lösung sicher bald in den Kommentaren unserer geschätzten Foristen.

(mawi)