Zahlen, bitte! Ein Kernreaktor für vier Lampen

Der Brutreaktor EBR-1 erzeugt am 20. Dezember 1951 weltweit erstmals elektrischen Strom und bringt vier Glühlampen zum Leuchten. Mitten im Niemandsland der USA nimmt damit die Geschichte der Kernenergie ihren Lauf.

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Zahlen, bitte! Ein Reaktor für vier Lampen
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Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Nicht vier Kerzen zünden wir in diesem "Zahlen, bitte", kurz nach dem vierten Advent, an, sondern knipsen vier Glühlampen an. Das Quartett steht stellvertretend für die Leuchtmittel, die heute am 20. Dezember vor 65 Jahren, im Forschungsreaktor EBR-I (Experimental Breeder Reactor I) erstrahlten. In der Nähe der Stadt Arco im US-Bundesstaat Idaho – mitten in der Halbwüste – wurde so in der Kernenergie Geschichte geschrieben. Denn der EBR-I war der erste Kernreaktor, der elektrischen Strom für die besagten vier Glühbirnen erzeugte.

Zuvor hatte der Kernphysiker und Nobelpreisträger Enrico Fermi zwar den Brüter "Clementine" in Los Alamos entwickelt und ab 1942 in Betrieb genommen. Doch dieser diente ausschließlich als Neutronenquelle für die Forschung. Mit dem Konzept der Brutreaktoren, oder Schnellen Brütern, wurde damals eine Vision verbunden. Die Kernenergie versprach – im Gegensatz zu Nuklearwaffen – einen positiven Zweck: eine kostengünstige und unerschöpfliche Energiequelle. Diese Vision sollte mit dem EBR-I unter der Leitung von Walter Zinn vom Argonne National Laboratory in Idaho fortgeführt werden.

Der erste aus einem Kernreaktor produzierte Strom lieferte Energie für vier Glühlampen.

(Bild: Argonne National Laboratory / Flickr / cc-by-nc-sa-2.0)

Das Konzept der Schnellen Brüter basiert darauf, dass sie mehr Kernbrennstoff (für andere Prozesse) produzieren als sie für den eigenen Betrieb benötigen. Für Leichtwasserreaktoren, die heute knapp 90 Prozent der aktiven Kernkraftwerke ausmachen, ist Uran 235 nötig, das aber im natürlich vorkommenden Uran weniger als ein Prozent ausmacht und aufwendig zu Kernbrennstoff angereichert werden muss. In Brütern ist es hingegen möglich, auch das mehrheitlich vertretene Uran 238 zu verwenden und daraus Plutonium 239 zu herzustellen, mit dem sich Kernspaltungs-Kettenreaktionen erzeugen lassen.

(Bild: Graevemore/ Kopiersperre / Wikipedia / cc-by-3.0)

Aber zurück zum EBR-I. Dort war man 1951 noch ganz am Anfang. Der Reaktor hatte einen austauschbaren Reaktorkern, der im Laufe seiner Betriebsjahre viermal ausgewechselt wurde. Die beiden Kühlmittelkreisläufe lagen im Innern verborgen, das auch die flüssige Natrium-Kalium-Legierung enthielt. Die durch Kernspaltung freiwerdende Energie heizte Wasser, das über einen Wärmetauscher zu einer Kombination aus Turbine und Generator geleitet wurde.

Der erste Versuch im Mai 1951, den EBR-I in Betrieb zu nehmen, schlug zunächst fehl. Offenbar war nicht genug Brennstoff im Reaktorkern vorhanden. Dieser bestand aus 52 Kilogramm hochangereichertem Uran. Nachdem zusätzliches Uran beschafft und die Brennstäbe umgebaut wurden, gelang es am 20. Dezember desselben Jahres, so viel Energie freizusetzen, um die vier 100-Watt-Glühlampen zum Leuchten zu bringen. Die 16 beteiligten Wissenschaftler und Ingenieure dokumentierten diesen Meilenstein, indem sie ihre Namen mit Kreide an die Wand neben den Generator schrieben. Am nächsten Tag wiederholten sie das Experiment. Nun war die Energieausbeute des Brüters mit mehr als 100 Kilowatt in der Lage, das gesamte EBR-I-Gebäude mit Strom zu versorgen.

Die 16 beteiligten Wissenschaftler und Ingenieure dokumentierten den Meilenstein im EBR-I, indem sie ihre Namen mit Kreide an die Wand neben den Generator schrieben.

(Bild: Argonne National Laboratory / Flickr / cc-by-nc-sa-2.0)

Doch damit war die Geschichtsschreibung für den EBR-I noch nicht abgeschlossen. Nicht ganz ein Jahr später errechneten die Forscher, dass der Reaktor tatsächlich in der Lage wäre, Kernbrennstoff zu "erbrüten". Den Beweis dieser theoretischen Brutberechnung erbrachte der Reaktor 1953: Der EBR-I konnte aus einem Atom Kernbrennstoff ein neues Atom erzeugen. Am 4. Juni 1953 bestätigte die US-Atomenergiebehörde, dass der EBR-I der weltweit erste Reaktor war, dem das "Brüten" von Plutonium aus Uran gelungen war.

Knapp zehn Jahre später, im November 1962, erfolgte der nächste Fortschritt. Der EBR-I erzeugte als Erster Elektrizität aus einem Plutonium-Kern. Dieser Mark IV genannte Reaktorkern produzierte erstmals 27 Prozent mehr Brennstoff, als er selbst spaltete (Brutrate 1,27 ). In der Zeit bis zu seiner Abschaltung 1964 generierte der Reaktor weitere Forschungsdaten für das Brüten in einem Plutonium-Kernreaktor und lieferte den Wissenschaftlern so wichtige Erkenntnisse zum Verhalten von Plutonium in einer Kernreaktion.

Schienbar im Niemandsland: Der EBR-I wurde ab 1946 von Argonne National Laboratory in Idaho gebaut.

(Bild: Argonne National Laboratory / Flickr / cc-by-nc-sa-2.0)

Seit 1976 – nachdem alle radioaktiven Einbauten entfernt wurden – ist der EBR-I ein Museum und als National Historic Landmark ausgewiesen. Die Technikeuphorie des vergangenen Jahrhunderts über Atomenergie ist nicht zuletzt durch die Katastrophen in Tschernobyl, Fukushima sehr viel gedämpfter. Die deutsche Bundesregierung arbeitet mehr oder weniger intensiv am Atomausstieg und Russland betreibt als weltweit einziges Land zwei Brutreaktoren, den BN-600 und den BN-800, die Strom erzeugen. Japan hat noch seinen Forschungsreaktor Monju, dessen Zukunft allerdings ungewiss ist. Doch neue Anlagen sollen in China und Indien im Bau sein. Es überwiegen die Sicherheitsrisiken zum einen durch die schwerer kontrollierbare Steuerung der Kernspaltungsprozesse sowie durch das Kühlmittel Natrium, das in Kontakt mit Luft oder Wasser leicht entzündlich ist, und zum anderen durch das stark gesundheitsgefährdende Plutonium. (jle)