Zahlen, bitte! Nikolaus-Edition: 18 tanzende Bauern, die den Krampus erweckten

In Norddeutschland ist es Knecht Ruprecht, in Süddeutschland der robustere Krampus. Zum Nikolaustag eine Sonderausgabe zu einem wunderlichen Weihnachtsbrauch.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 9 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Heute ist Nikolaustag. Mögen die Stiefel aller Zahlen-bitte!-Fans voll mit Leckereien gewesen sein! Die heutige Kolumne widmet sich dem Begleiter des Niccolo, für den es mehr Namen gibt als Schoko-Nikoläuse in einem Supermarkt.

Der Nikolaus verteilt Geschenke und Süßigkeiten an brave Kinder. Für Unartige gibt es die Rute, ganz böse Kinder steckt Knecht Ruprecht in seine Kiepe oder der Krampus in seine Butte oder Braxn. Der Zwarte Piet in den Niederlanden hatte einen Jutesack dabei, in den die Kinder gesteckt und ab nach Spanien transportiert werden, wo die einstigen Besatzer leben.

Die Herkunft vom Nikolaus selbst ist ja allgemein bekannt. Doch wo kommt der Helfer her? Einer Erzählung nach könnte das sogenannte Cölbigker Tanzwunder ein Ursprung sein. Angeblich soll vor 1001 Jahren nahe dem Kloster und Gut Cölbigk im heutigen Bernburg (Saale) sagenhaftes passiert sein: 15 Burschen und drei Frauen sollen am Heiligen Abend im Kirchhof getanzt und gelärmt und damit die weihnachtliche Messe gestört haben.

Der Priester mit Namen Ruprecht oder Rutpertus war ob der Tanzeinlagen auf seinem Grund not amused und mahnte die Tanzgemeinschaft zur weihnachtlichen Ruhe. Da sie ungerührt ihren Tanz fortführten, verfluchte er sie: Ein Jahr sollte die Tanzgesellschaft so weitertanzen, was sie auch – nicht ganz freiwillig – dann durchführten. Teenies der 1990er fühlen sich glatt an manche Techno-Nacht im Club erinnert, die auch mal drei Tage lang ging. Aber wir schweifen aus.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Zwar trägt die Geschichte mehrere Merkmale des Brauchs, aber das wirklich der Ursprung ist, weiß niemand. Bekannt ist allerdings, dass Nikolaus Begleiter viele Namen trägt und vom bärtigen Helfer bis zur dämonischen Schreckgestalt unterschiedlichste Formen annimmt: Knecht Ruprecht in Norddeutschland, Zwarte Piet bei unseren niederländischen Nachbarn, Père Fouttard in Frankreich, Hans Trapp im Elsass und der Pfalz. Krampus in den deutschsprachigen Alpenregionen bzw. Tuifl in Tirol sind nur die bekanntesten Namen für den domestizierten Teufel südlicher Prägung. Doch was heißt schon domestiziert.

Knecht Ruprecht (links) und Nikolaus (rechts) in Arbeitskleidung, davor sind die beschenkten, überwiegend braven Kids. Angesichts des Brötchens scheint die Freude des Jungen grenzenlos.

(Bild: CC BY-SA 3.0, Albärt)

Vor 25 Jahren warnte der damalige bayerische Innenminister davor, dass auch ein Teufel sich an die Regeln halten muss. "Es gibt keine Bräuche in Bayern, die über den Gesetzen stehen. Deshalb darf es auf keinen Fall zu ernsthaften Körperverletzungen kommen." Der Anlass war ein wilder Krampus-Lauf mit erheblichen Sachschäden, bei dem mehrere Menschen verletzt wurden.

Volksbrauchtum mit christlich-heidnischen Versatzstücken, gemischt mit schwarzer Pädagogik, ist halt nicht zimperlich. Teuer kann es obendrein sein: Während Knecht Ruprecht und der Zwarte Piet sich mit einem schwarzen Mantel oder einer bunten Dienstboten-Unform, einer Rute und einem gerußten Gesicht begnügen, kostet ein Krampus-Aufzug bis zu 3000 Euro, wobei das unter einer Watte-Rüstung nach außen getragene Fell von Ziegen und Hasen sowie die handgeschnitzte Maske die teuersten Posten der Verkleidung sind.

Besuch vom Nikolaus und seinem Begleiter: Ein sichtbar betroffenes Kind wird vom Krampus verhört. Zeitungsillustration vom 6. Dezember 1896.

Früher durften nur die unverheirateten Männer eines Dorfes ein Krampuskostüm tragen, wobei sie auf ihren Läufen nur in ungerader Zahl auftreten durften. Heute sind Krampusse meist in Vereinen organisiert, die den Duft der vorweihnachtlichen Anarchie verbreiten, wie es im österreichischen Standard beschrieben wird: "Doch der Grat zwischen jahrhundertealtem Brauchtum und einem alkoholgeschwängerten Ausbruch toxischer Männlichkeit ist mitunter ein schmaler. In die gelebte Tradition mischen sich mit unangenehmer Regelmäßigkeit Berichte über Ausschreitungen im Zusammenhang mit Krampus- und Perchtenläufen. Die Anonymität, oft gepaart mit Alkohol, führt nicht selten zu einem Übermaß an Aggression." Videos dieser Prügeleien, die in Bayern zum Statement von Innenminister Herrmann führten, gibt es zur Genüge im Netz. Wir beschränken uns auf die pädagogische Funktion der Figur.

In jüngster Zeit sind Versuche gestartet worden, die wilden Gesellen mit ihren schrecklichen Fratzen in ein besseres Licht zu rücken. In Tirol ließ darum die Tourismus-Werbung vor drei Jahren ein Video unter dem hübschen Titel "Come as you are" drehen, bei dem ein Krampus einen Kinderhandschuh im dunklen Wald findet und ihn in der Gastwirtschaft dem Mädchen wiedergibt. Zur Belohnung bekommt er von der Wirtin einen Latte macchiato mit Hafermilch. Was zum Skandal wurde. Hätte das Ungeheuer Blut schlürfen sollen? Nein, Milch: im November 2022 beschwerte sich die Landwirtschaftskammer Tirol, dass das Video ein "Affront gegenüber Tiroler Landwirtschaft" mit ihren Milchbauern sei. Ob nun zwei Krampus-Laufgruppen die Sache unter sich ausmachen, ist noch nicht geklärt.

Anderswo gibt es Rangeleien, die schon ernsthafter sind. In den Niederlanden, wo Sinterklaas unser Weihnachtsfest an Bedeutung übertrifft, wird seit einiger Zeit eine Diskussion geführt, ob der Zwarte Piet ein Fall von Blackfacing sein könnte. Eine antirassistische Initiative namens Kick Out Zwarte Piet versucht dementsprechend, die Sinterklaas-Umzüge mit friedlichen Protestformen zu stören. Wie die tageszeitung berichtet, werden die Proteste gegen die Aktivisten nun ihrerseits gewalttätig. Auch die Beobachter von Amnesty International wurden dabei angegriffen. Wer das Video vom Vorfall betrachtet, sieht eine Menge toxischer Männlichkeit am Werke, verkleidet als Zwarte Piets.

Nein, nicht die Metal-Band Gwar beim Alpenglühen, sondern 12 Krampusse nebst Nikolaus, hier aus Weißbach an der Alpenstraße.

(Bild: CC BY-SA 4.0, Niederberger Lukas)

Eine Erklärung für die vielfältigen Vermischungen von heidnischem Brauchtum und christlichen Motiven besagt, dass dies erst passierte, als die Kirche die Darstellung des Teufels untersagte. Während der Zeit der Inquisition war es bei Todesstrafe verboten, sich als Teufel zu verkleiden. Also nutzte man die lokalen Geisterfiguren, die in vorchristlicher Zeit den Winter vertrieben. Erst in jüngster Zeit konnte der Ruf des Teufels wieder hergestellt werden, etwa mit dem Song "Sympathy for the Devil" von den Rolling Stones, inspiriert von Bulgakows Roman Der Meister und Margarita.

Die endgültige Rehabilitation als Figur für Kinderbücher erfolgte vor 25 Jahren. Da erschien der Zahlenteufel des unlängst verstorbenen Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger. Enzensberger schrieb dieses Buch für seine damals 11 Jahre alte Tochter, die Angst vor der Mathematik hatte. Besagter Zahlenteufel taucht eines Nachts in den Träumen von Robert auf, der in der Schule unter dem ätzenden Mathelehrer Dr. Bockel leidet. Stück für Stück lernt Robert das Wesen der Null, die Bruchzahlen, das Wurzelziehen oder die Eigenschaften von Primzahlen.

Dabei kommen hübsche Begriffe eingeführt: Das Wurzelziehen ist ein Rettich, denn der wird mit langer Wurzel aus dem Bogen gezogen. Was der Zauberteufel vor allem vermittelt, ist die Lehre, dass die Mathematik mit all ihren Problemen und Rätseln nichts mit dem schulischen Rechnen von Dr. Bockel zu tun hat. Der Zauberteufel ist ein Mathe-Märchenbuch. Und das ist eine wirklich teuflische Leistung.

Egal, welchen Brauch Sie frönen: Das Zahlen-bitte!-Team wünscht Ihnen und Ihren Lieben eine schöne Vorweihnachtszeit.

(mawi)