Zahlen, bitte! Patent 504,037: Der Reißverschluss – Geschichte eines Verbinders

Von Kleidungsschließe über Verkehrsverfahren bis zum Dateiformat – der Reißverschluss ist heutzutage unverzichtbar. Dabei ist das Prinzip erst 130 Jahre alt.

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Vor 130 Jahren erhielt der US-Amerikaner Whitcomb Judson ein Patent auf den von ihm so genannten "clasp locker", was man mit Hakenverschluss übersetzen kann. Der Vorläufer des Reißverschlusses war für das schnelle Schließen von Schuhen gedacht, ein Verfahren, das mit den ab 1923 angebotenen "Zipper"-Gummischuhen von B.F. Goodrich so populär wurde, dass Zipper schließlich der US-amerikanische Allerweltsname des Verschlusses wurde.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Die Kulturgeschichte des Reißverschlusses begann eigentlich bereits im Jahre 1851, als der Erfinder Elias Howe einen Schließmechanismus ersann, den er als "automatic continuos clothing closure" patentieren ließ. Howe wurde mit einer anderen Erfindung, der Nähmaschine, mehrfacher Millionär und ließ das Patent verfallen.

So war es an Whitcomb Judson, die Erfindung zu verbessern und mit dem US-Patent 504,037 schützen zu lassen. Auch wenn die Patentzeichnung mit ihren Drähten und Ösen etwas umständlich aussehen mag, so beschrieb Judson die Funktionsweise des modernen Reißverschlusses recht gut: "Jedes Glied jeder Kette ist sowohl mit einem männlichen als auch mit einem weiblichen Kupplungsteil versehen, und wenn die Ketten miteinander verbunden sind, wird der weibliche Teil jedes Gliedes einer Kette durch den männlichen Teil eines Gliedes der anderen Kette in Eingriff gebracht."

Mit seiner Patentierung und der Erfindung einer Maschine für die Reißverschlussproduktion hatte Judson mit seiner Universal Fastener Company kein Glück. Die Firma musste mehrfach umziehen und firmierte schließlich als Talon Company. Bei Talon verbesserte der schwedisch-amerikanische Ingenieur Gideon Sundback den Reißverschluss so, wie wir ihn heute kennen. Auch die Metallbearbeitungsmaschinen zur Produktion der Reißverschlüsse wurden von Sundback verbessert. Im Ersten Weltkrieg war Talon mit Reißverschlüssen für Geldgürtel und Geldbörsen erfolgreich. Den Durchbruch zum Massenartikel brachten aber erst die ab 1923 angebotenen Gummischuhe von Goodrich, Zippers genannt. Diese Galoschen waren schnell angezogen, wenn man hinaus in den Regen musste.

Das sieht man im Detail so nicht, wenn man die Hose morgens blickdicht verschließt: Das Prinzip eines Reißverschlusses in der Animation. Die rechten und linken Kettenhaken werden durch den Schieber abwechselnd zusammengeführt, sodass eine feste Verbindung entsteht.

(Bild: CC BY-SA 3.0, Dominique Toussaint)

Erfolgreich wie die Talon Company als US-Firma war übrigens auch Gideon Sundback: Er erhielt die Lizenzrechte, den Reißverschluss außerhalb Amerikas zu vermarkten. Auf seinen Reisen durch Europa traf er auf den exzentrischen Schweizer Unternehmer Martin Winterhalter. Der ließ sich die Schließung zeigen, kaufte das Patent und machte aus der Abfolge von männlichen und weiblichen Gliederketten das hübsche Wortspiel von Rippen und Rillen, die sich ineinander schließen. So entstand die Firma riri, die zeitweise den gesamten europäischen Mode-Markt dominierte. In Europa begann der Siegeszug des Reißverschlusses mit der Pariser Modeschöpferin Elsa Schiaparelli, die den Verschluss nutzte, um hautenge Cocktail-Kleider hinten schließfest zu machen. Schiaparellis hautenge Kleider wurden von der US-amerikanischen Schauspielerin Mae West 1937 im Film "Every Day's a Holiday" getragen.

Modetechnisch lagen da die USA als Geburtsland des Zippers weit zurück: Die erste mit einem Reißverschluss ausgestattete Jeans von Levi's wurde 1947 verkauft. Doch bald verewigte sich der Reißverschluss tief in der US-amerikanischen Kultur. Schließlich war er tragendes Bestandteil eines ein leichtes Sommer-Cocktailkleides des Kostüm-Designers William Travilla, das sich über einem U-Bahn-Schacht aufbläht, getragen von Marilyn Monroe. Im Film "Das verflixte 7. Jahr" von Billy Wilder wurde die Szene weltbekannt, die im Studio gedreht werden musste, weil zahlreiche Profi-Fotografen die Filmaufnahme begleiteten. Eine Statue vor dem Kunstmuseum von Palm Springs erinnert an den ikonischen Moment.

Die Kulturgeschichte des Reißverschlusses ist nicht vollständig ohne die legendären Polaroid-Fotos, die Andy Warhol für seinen Freund Mick Jagger für das Album "Sticky Fingers" der Rolling Stones schoss, das 1971 veröffentlicht wurde. Die lockere Idee von Warhol verarbeitete der Album-Künstler Craig Braun zu einem LP-Cover, bei dem ein echter Reißverschluss der Firma Cort tatsächlich heruntergezogen werden konnte -- und einen weißen Slip offenbarte.

Nach Brauns Erinnerungen waren von Warhols "Factory" zwei Künstler beteiligt, Corey Tippin (Jeans) und Glenn O'Brien (Slip). Die wenigen erhaltenen Exemplare mit einem echten Reißverschluss (spätere Auflagen wurden nur mit aufgedruckten Zipper vertrieben) gelten heute als begehrte Kunstwerke. Nicht bekannt ist, wer beim Foto-Shooting der russischen Ausgabe der LP beteiligt war. Dort erschien 1992 "Sticky Fingers" mit einem züchtigeren Cover, die Jeans zwar etwas geöffnet, doch der abschließende Jeansknopf war mit Hammer und Sichel ausgestattet, gekrönt vom roten Stern.

Natürlich ist "to zip" aus der Bekleidungstechnik längst in die IT gewandert. Das Zip-Format für komprimierte Dateien hat seinen Ursprung in einem Kompressionsprogramm namens ARC, das von der Firma System Enhancement Associates (SEA) entwickelt wurde. Als SEA das Dateiformat veröffentlichte, schrieb ein begabter Programmierer namens Phil Katz eine Variante, die wesentlich effektiver und schneller war.

Symbol für ein ZIP-Dateiformat.

Phil Katz ARC (PKARC) verbreitete sich rasant in der Welt der Mailboxen, führte jedoch zu einem Rechtsstreit, den Phil Katz verlor. Gezwungen, eine neue Kompressionsmethode einzuführen, entwickelte er 1989 "Phil Katz ZIP" bzw. PKZIP und PKUNZIP als Referenz an die Eleganz, mit der ein Reißverschluss die Kleidung schließt und öffnet. Die als Shareware vertriebenen Programme verbreiteten sich zu einer Zeit, als die Datenkommunikation langsam und teuer war und deshalb viel komprimiert werden musste. Auf diese Entwicklung reagierte Phil Katz mit der Datei APPNOTE.TXT und der Beschreibung des Dateiformats: Sie führte letztlich dazu, dass der "digitale Reißverschluss" zur Public Domain Software und 2015 ein ISO-Standard wurde und heute etwa in dem populären Programm 7Zip verwendet wird. Das erlebte Phil Katz nicht mehr. Er starb im Alter von 37 Jahren an einer Überdosis Alkohol im Jahr 2000.

In Deutschland kam die Eleganz des schnellen Schließens zum Tragen, als die Bayer AG im März 1999 den 100. Geburtstag der Aspirin-Tablette feiern wollte. Aus diesem Anlass sollte das Verwaltungsgebäude des Konzerns wie eine gigantische Aspirin-Schachtel aussehen. Die damit beauftragte Firma löste das Problem mit Bahnen, die mit Reißverschlüssen zusammengehalten und von Industriekletterern zusammengezippt wurden. Mit 42 Metern Länge waren die Reißverschlüsse damals rekordverdächtig.

Österreichisches Hinweiszeichen 23c - Nach dem Prinzip eines Reißverschlusses soll man in Engstellen von zwei auf eine Spur einfädeln.

Mittlerweile hält die Talon Company den Rekord. Sie präsentierte 2017 auf einer Modenshow den längsten Reißverschluss der Welt: 5000 Meter bzw. 3,1 Miles lang, eigens gefertigt für das Guinness Book of World Records. Damit übertraf man den Rekord von Yoshida Kōgyō Kabushiki gaisha (YKK), die einen 2851 Meter langen Reißverschluss fertigten. Doch YKK hält einen weiteren Rekord: Die japanische Firma ist mit großem Abstand Weltmarktführer und produziert Reißverschlüsse in mehr als 100 Fabriken in 57 Ländern.

Seitdem im Straßenverkehr sich das Reißverschlussverfahren etablierte, gilt es nicht mehr als unhöflich, wenn man in einer Verengung von zweien auf eine Fahrspur bis zur Engstelle vorfährt, um sich dann im Wechsel einzufädeln. Es hilft viel mehr den Verkehrsfluss aufrecht zu erhalten, da die Fahrbahnen maximal ausgenutzt werden und durch einen berechenbaren Einfädelvorgang weniger Zeit für den eigentlichen Fahrspurwechsel notwendig ist.

Viele Zwecke, ein Prinzip: Der Reißverschluss wird auch in Zukunft nicht nur Kleidung sicher verschließen.

(mawi)