Zahlen, bitte! USAF-51-5712 – Flugzeug mit Atomreaktor an Bord

In den Pionierzeiten der Atomtechnik wollte man selbst Flugzeuge mit Atomreaktoren ausrüsten. Das stellte die Entwickler aber vor schwerwiegende Probleme.

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Aufmacherbild Zahlen, bitte!

(Bild: heise online)

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Inhaltsverzeichnis

Ein Flugzeug mit Atomantrieb: Es klingt heutzutage wie eine verrückte Idee aus dem Computerspiel "Fallout", in dem Atomreaktoren in allerlei Technik der 1950er eingebaut wurden. In heißen Zeiten des Kalten Krieges war ein solches Flugzeug tatsächlich das Ziel eines Forschungsprojekts.

Dabei hatte es aus Sicht der Planer enorme strategische Vorteile: Der limitierende Faktor eines Flugzeugs ist in erster Linie der Treibstoff – nach wenigen Stunden muss es wieder landen. Atomar angetriebene Flugzeuge hätten hingegen länger in der Luft bleiben können und nur zum Austausch der Besatzung landen müssen. So stellte man es sich damals zumindest vor.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Erste Überlegungen fanden dazu bereits 1944 während des Manhattan-Projekts statt. Am 28. Mai 1946 startete die US-amerikanische Air Force ein kleines Forschungsprogramm namens Nuclear Energy for the Propulsion of Aircraft (NEPA). Ziel war, die Grundlagen für einen atomaren Flugzeugantrieb zu entwickeln.

Die Grundlagenforschung verlief erfolgreich und mündete in dem 1951 gestarteten Programm Aircraft Nuclear Propulsion (ANP). Geld war nicht so wichtig – der Kalte Krieg und die Angst davor, dass die Sowjetunion ähnliche Pläne hätte, setzte Mittel und Energien frei. Ziel war es, zwei als X-6 bezeichnete Prototypen mit Atomantrieb zu bauen.

Dass ein nuklearer Antrieb vor allem für strategische Bomber von Vorteil sein kann, beschrieben Kelley Johnson und F. A. Cleveland, zwei Mitarbeiter von Lockheed Arcraft Corporation, im Jahr 1957: "Es scheint, dass der strategische Bomber der erste Kandidat für einen Kernkraft-Antrieb sein wird, da dessen Betrieb sowohl eine hohe Geschwindigkeit als auch eine große Ausdauer erfordert und inhärente Vorteile gegenüber ähnlichen Flugzeugen mit chemischen Antrieben bietet."

NB-36H mit B-50-Begleitflugzeug

(Bild: USAF)

Der US-Flugzeugbauer Convair bekam den Zuschlag für die X-6. Grundlage sollten der B36 "Peacemaker"-Bomber werden. Durch seine Kombination aus sechs Propellern und vier Düsentriebwerken bot er genügend Schub, um für Tests die schwere Atomtechnik zu transportieren. Die konventionelle Version wurde von 1947 bis 1954 serienmäßig in einer Stückzahl von insgesamt 385 Bombern gebaut. Unter dem Projektnamen MX-1589 sollten zwei B36 umgebaut werden: Eins für die Tests der Abschirmung, und das andere zu einem atomaren X-6-Bomber.

Verschiedene Hersteller kümmerten sich um die Triebwerkstechnik: General Electric entwickelte Direkt-Luftkreis-Turbojets. Pratt & Whitney wiederum begann die Entwicklung von Indirekt-Luftkreis-Turbojets. Unterschied: Bei Direkt-Luftkreis-Turbojets wird Umgebungsluft über die Verdichterstufe an den Reaktor geführt, durch ihn erhitzt und über die Düse wieder abgegeben. Beim Indirekt-Luftkreis-Turbojets ist noch ein Medium dazwischen, welches über einen Wärmetauscher Wärme vom Reaktor zur Luft transportiert. Während General Electric in der Entwicklung weit vorankam, tat sich Pratt & Whitney in der Entwicklung schwerer.

NB-36H vor dem Start (hier in einer frühen Version als XB-36H)

(Bild: USAF)

Als Testflugzeug für die Abschirmung wurde ein B-36H-20-CF umgebaut, der die USAF-Seriennummer 51–5712 trug. Das Flugzeug eignete sich besonders gut, da es zuvor im September 1952 in einem Tornado beschädigt worden war, der über Carswell Air Force Base zog: Der Bug, der ohnehin für die Umrüstung hätte umgebaut werden müssen, war beschädigt. Im Jahr 1955 begann die Umrüstung: Es wurden noch keine atomaren Triebwerke eingebaut – der Flugbetrieb erfolgte rein konventionell.

Eingebaut wurde ein 1-Megawatt-ASTR-Reaktor, an dem die Abschirmung gegen radioaktive Strahlen im Flug getestet wurde. Dem Piloten, zwei Nuklear- und einem Flugingenieur blieben nach Einbau der abgeschirmten Kabine nicht viel Platz übrig: Alleine die Acrylglasscheibe des Cockpits war 15 Zentimeter dick. Der Cockpitbereich wurde zudem mit einem 12 Tonnen schweren Blei sowie Gummischild geschützt. Neun mit Wasser gefüllte Schildtanks wurden zur weiteren Absorption von Strahlung eingebaut. Der knapp 16 Tonnen schwere Reaktor wurde jeweils vor dem Start installiert und nach der Landung wieder entfernt.

Versuchsflugzeig Convair NB-36H

Besatzung: 5 Personen: Pilot, Copilot, Flugingenieur sowie zwei Nuklearingenieure
Länge: 49,38 Meter
Spannweite: 70,1 Meter
Höhe: 14,26 Meter
Flugfläche: 443,3 Quadratmeter

Startmasse: 163.000 Kilogramm
Höchstgeschwindigkeit: cirka 628 km/h
Dienstgipfelhöhe: 12.200 Meter
Triebwerke: 6x Pratt & Whitney R-4360-53; 4x Generel Electric X-40

Testreaktor: 1000 kW-ASTR-Kernreaktor, luftgekühlt

Flüge: 47 (davon 21 mit kritischem Reaktor)
Zeitraum: 1955 bis 1957
Verbleib: Im September 1958 verschrottet

Das NTA absolvierte 47 Testflüge und insgesamt 215 Flugstunden (21 Flüge und 81 Stunden mit aktiviertem Reaktor). Zumeist waren bei den Testflügen über New Mexico und Texas zwei Begleitflugzeuge dabei: eine Boeing B-50 zur externen Aufzeichnung verschiedener Flugdaten sowie eine Boeing C-97 Stratofreighter mit bewaffneten Spezialkräften an Bord, die im Falle einer Notlandung die Absturzstelle weiträumig sichern sollten.

Und obwohl die Tests insgesamt ermutigend verliefen, stand das Programm unter keinem guten Stern: Es war zum einen teuer, langwierig und schlecht organisiert. Zudem hatte man Probleme, den Reaktor mit der notwendigen Leistung klein genug zu gestalten – Von den Bedenken atomarer Verseuchung bei Abstürzen mal ganz abgesehen.

Außerdem änderte sich mit der Raketentechnik die Ausrichtung: Für die atomare Abschreckungen waren atomar bestückte Interkontinentalraketen viel erfolgversprechender. Somit wurde neben dem Versuchsträger für die Abschirmung kein X-6-Flugzeug mehr geschaffen. Nachdem keine weiteren Mittel für die Erprobung bereitgestellt wurden, entschied man sich 1958, die NB-36H zu verschrotten. Das ANP-Programm lief allerdings weiter.

NB-36H im Flug

(Bild: USAF)

Die aufkommenden Gruselgeschichten sowjetischer atomarer Bomber bestätigten sich nicht: Zwar experimentierte der Ostblock ebenfalls mit einer umgebauten Tupolev Tu-95LAL, aber sie kämpften ebenfalls mit der mühsam langen Entwicklungszeit, mit Leistungsproblemen sowie starken Umweltbedenken.

Am 28. März 1961 begrub John F. Kennedy das ANP-Programm in einer Rede mit den Worten: "Fast 15 Jahre und etwa 1 Milliarde Dollar wurden bereits in die Entwicklung eines nuklearbetriebenen Flugzeugs investiert, aber die Möglichkeit, eines militärisch nutzbaren Flugzeugs ist für die absehbare Zukunft noch sehr weit entfernt."

(mawi)