Zahlen, bitte! Voller Dürreschutz erst 183 Meter über dem Meeresspiegel

Erst nach einem Neubau konnte der Assuan-Staudamm den versprochenen Dürreschutz halten. Möglich machten es Berechnungen des britischen Hydrologen Edwin Hurst.

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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Am 10. Dezember 1902 wurde in Ägypten der von englischen Ingenieuren konstruierte erste Assuan-Staudamm feierlich in Betrieb genommen. Das damals weltgrößte Bauwerk sollte die ganzjährige Kanalbewässerung sicherstellen, mit der der Anbau von Baumwolle im großen Stil erfolgen kann. Um die Baumwollproduktion – und den Suezkanal – zu schützen, hatte Großbritannien 1882 Ägypten besetzt und später zum Protektorat erklärt. Der erste Assuan-Staudamm konnte nicht wie erhofft die niedrigen Wasserstände in Dürreperioden ausgleichen, obwohl er zweimal erhöht wurde.

Im Jahr 1906 kam Harold Edwin Hurst nach Ägypten und begann als Angestellter der Britischen Verwaltung den Nil zu erforschen und zu dokumentieren. Er blieb 61 Jahre im Land, bereiste in zahlreichen Expeditionen den Nil und seine Zuflüsse, zunächst auf Eseln, dann per Fahrrad und Auto und schließlich zur weiteren Verbesserung der Datenlage auch mit dem Flugzeug.

Er legte die größte Datensammlung an, die über einen Fluss geführt wurde. Mit seiner Pensionierung in Sicht machte er sich an die Aufgabe, den "Century Strorage" zu berechnen: Welche Kapazität der Wasser-Aufnahme muss ein Nil-Staudamm haben, um im Falle einer großen Dürreperiode, die statistisch alle 100 Jahre auftritt, ausreichend Wasser über mehrere Jahre hinweg zur Verfügung zu stellen? Hurst berechnete den "Century Storage" bei einer Verdunstungsrate von 10 Prozent mit 90 km³. Dementsprechend musste der von dem Ägypter Adrian Daninos ab 1947 konzipierte Staudamm eine Höhe von 183 Metern haben.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Der "Vater des Nils" (Abu Nil) starb 1978, die Bestätigung seiner Berechnungen in den katastrophalen Dürrejahren 1985 bis1988 erlebte er nicht mehr. Während Äthiopien schwer getroffen wurde, überstand Ägypten die Dürre unbeschadet. Hurst erlebte jedoch, wie die Mathematiker Benoît Mandelbrot und James Willis in dem bahnbrechenden Aufsatz "Noah, Joseph, and Operational Hydrology" (PDF) mit Hurst's Law 1968 das nachwiesen, was heute als Hurst-Phänomen bekannt und als Hurst-Exponent benannt ist.

Blick auf den Assuan-Staudamm im Jahr 2015

(Bild: CC BY-SA 4.0, Mahmoud Mostafa Ashour )

In der Hydrologie bezeichnet es die Tendenz, das besonders nasse und trockene Jahre in mehrjährigen Clustern auftreten. Mandelbrot sprach in Anlehnung an die Bibel auch vom Josephs-Effekt: Auf sieben fette Jahre folgen sieben Hungerjahre, für die Vorsorge getroffen werden muss. Solche Cluster-Effekte sind nicht auf Flüsse wie dem Nil oder dem Zufluss des Lago Maggiore nachgewiesen worden, sondern auch bei der Windkraft in Irland oder bei bestimmten Finanzkrisen und selbst in der Medizin (Kardiologie) anzutreffen

In seinem 1951 veröffentlichten Aufsatz zum Speicherproblem des Nils legte Hurst dar, wie er aus den Langzeitdaten der Abflussmenge eines Stromes die Kumulative Summe des abgeflossenen Wassers durch den statistischen Mittelwert in Beziehung setzt, um das Maximum und das Minimum der Speichermenge zu erhalten, mit denen eine Flut wie eine Dürre abgewendet werden können. Den später sogenannten Hurst-Exponent bestimmte der 71-jährige Pensionär mit 0,72. Für seine zeitaufwendigen Berechnungen ohne Hilfe eines Computers erhielt Hurst 1957 die Telford Goldmedaille des Institute of Civil Engineers.

Zahlen, bitte! Assuan-Staudamm

Bauzeit: von 1960–1971
Höhe des Absperrbauwerks: 111 m
Bauwerksvolumen: 44,3 Mio. m³
Kronenlänge: 3.830 m
Kronenbreite: 40 m
Basisbreite: 980 m
Kraftwerksleistung: 2.100 MW
Beim Bau tödlich verunglückte Arbeiter: 451

Seine Berechnungen zu den Wasserkapazitäten im Nilbecken (PDF) gingen zunächst davon aus, dass sich nur der Albertsee und der Victoriasee als Langzeit-Speicher gegen mögliche Dürre-Perioden eignen würden, bis er nach Überflügen mit dem Flugzeug über den Sudd und angrenzende Gebiete andere Möglichkeiten sah. Der Bau eines Staudamms am Sudd el Aali wurde möglich, als der Sudan und Ägypten ein Wasser-Abkommen beschlossen.

Zu den Stauungs-Vorschlägen, die in den 50er-Jahren entstanden, gehörte auch ein deutsches Projekt. Später kam im Zuge der Umorientierung Ägyptens unter Abdel Nasser die Sowjetunion zum Zuge. Nasser bezahlte den Bau des Assuan-Staudamms mit den Einnahmen des nationalisierten Suezkanals. Nach zehnjähriger Bauzeit war der Staudamm fertig, der nicht nur das Wasser zurückhielt, sondern auch den zur Düngung genutzten Nilschlamm.

Denkmal für die Ägyptisch-Sowjetische Freundschaft am Staudamm-Endpunkt westlich.

(Bild: CC BY-SA 4.0, Rolfcosar)

"Der nächste Konflikt im Mittleren Osten wird der über das Wasser sein", prophezeite UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali in seiner Antrittsrede 1992, "Wasser wird eine kostbarere Ressource sein als Öl." Mit dem 145 Meter hohen Grand-Ethiopian-Renaissance-Staudamm (GERD) will Äthiopien eine Dürre wie in den 80er-Jahren abwenden, aber vor allem elektrische Energie gewinnen – und an die Nachbarländer bis hinunter nach Tansania verkaufen.

Der hydroelektrische Teil soll bis zu 6000 MW produzieren, bei einem aktuellen Strombedarf von 800 MW im Land. Erst im August dieses Jahres wurde die letzte der vier Turbinen des ersten Bauabschnittes in Betrieb genommen, unter Säbelrassen von allen Seiten. Bis Anfang 2025 soll der Stausee gefüllt sein.

(mawi)