Zahlen, bitte! Wie das Insulin nach 12 Tagen einer Krankheit den Schrecken nahm

Die erste Verabreichung von Insulin rettete 1922 nicht nur einem Jungen das Leben. Der Diabetes Mellitus wurde damit beherrschbar und verlor seinen Schrecken.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Am 11. Januar 1922 wurde dem 14-jährigen Leonard Thompson als erstem Menschen eine Dosis Insulin verabreicht, nachdem er mit einem allergischen Schock in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Nach zwölf Tagen wurde dem Typ 1-Diabetiker eine deutlich verbesserte Insulingabe verabreicht. Mit der fortgesetzten Insulin-Behandlung lebte Thompson weitere 13 Jahre und starb erst an einer Lungenentzündung im Jahre 1935. Eine bis dahin tödliche Krankheit hatte ihren Schrecken verloren.

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Die Stoffwechselerkrankung Diabetes mellitus begleitet den Menschen schon sehr lange. Die erste Erwähnung findet sich im Papyrus Ebers, der 1550 v. Chr. eine ganze Anzahl von Krankheiten und Medikationen beschrieb. In Abschnitt 11, Kolumne 49 des Papyrus wird ein Mittel beschrieben, das den Auslauf des Harns im Überfluss stoppen soll.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Die erste medizinische Beschreibung dieses Harnflusses verfasste Aulus Cornelius Celsus im Jahr 50 v. Chr., die erste Beschreibung des Krankheitsbildes wurde von Aretaios von Kappadokien im 1. Jahrhundert nach Christus geliefert. Er gab ihr den Namen "Diabetes", abgeleitet vom Griechischen "diabainein", dem "durchfließen" des Harns durch den Körper. Viele berühmte Mediziner beschäftigten sich mit der Krankheit. Paracelsus vermutete um 1500, dass ein Salz den Harnfluss produziert.

Thomas Willis entdeckte den süßen Geschmack des Diabetikerharns (daher mellitus = süß) und erklärte ihn als Mischung von Salz und Schwefel. Er hielt zudem die Beobachtung fest, dass Diabetes in Familien mit hohem Lebensstandard auftaucht und in der Familie "weitergegeben" werden kann. 1771 erschien das Diabetes-Kompendium "De sedibus et causi moriborum" von Giovanni Battista Magnani, das resignierend schließt "morbus in sede incerta locatus" – die Krankheit kann nicht lokalisiert werden.

Das änderte sich 1789, als der Arzt Thomas Cawley eine Pankreasverkalkung als Ursache beschrieb. Der entscheidende Durchbruch gelingt 1869 dem Pathologen Paul Langerhans, der in seiner Dissertation "Beiträge zur mikroskopischen Anatomie der Bauspeicheldrüse" die von ihm gefundenen Inselzellen beschrieb, ohne aber ihre Bedeutung zu erkennen.

Diese später so genannten "Langerhansschen Inseln" sind Gewebezellen, die die Hormone Glucogen und vor allem Insulin produzieren, die den Blutzucker regulieren. Nach den "Inseln", die Langerhans beschrieb, wurde im Jahre 1909 das "Insulin" benannt. Das war damals freilich noch ein hypothetisches Hormon, das in vielen Tierversuchen erforscht wurde.

Dies bringt uns zu dem kanadischen Arzt Frederick Grant Banting, der im 1. Weltkrieg als Militärarzt in Frankreich gearbeitet hatte und danach mit einer eigenen Orthopädie-Praxis Schiffbruch erlitt. Er musste an der Universität Kurse geben und erlebte dabei, wie ein Jugendfreund an Diabetes verstarb.

Banting beschäftigte sich daraufhin intensiv mit der Bauchspeicheldrüse. Er ging – wie andere Mediziner seiner Zeit – davon aus, dass dieses Organ einen Blutzucker senkenden Stoff produzierte, vermutete aber, dass die Verdauungsenzyme, die das Organ ebenfalls produziert, den Stoff selbst verdauten oder zerstörten. Da Banting verarmt war und keine feste Anstellung hatte, wandte er sich an seinen Bekannten John MacLeod, einem Physiologen der Universität Toronto. Er konnte ihn überreden, ihm in den Semesterferien sein Labor zur Verfügung zu stellen. Außerdem stellte MacLeod seinen besten Studenten, den damals 22-jährigen Charles Herbert Best als Hilfskraft zur Verfügung.

Charles Best (links), Frederick Banting (rechts) mit Hund (mitte). Der Hund wurde mit injiziertem Insulin am Leben gehalten. Ein Meilenstein vor der Behandlung eines Menschen mit Insulin.

Banting und Best experimentierten mit Hunden, denen sie die Bauspeicheldrüse abklemmten. Während sich das Organ selbst verdaute, blieben die Inselzellen übrig, die einen Stoff produzierten, den sie Isletin nannten. Dieses Hunde-Isletin rettete Leonard Thompson am 11. Januar 1921 das Leben. Zu diesem Zeitpunkt war der Biochemiker James Collip zu dem kleinen Team von Banting und Best gestoßen, der sofort damit begann, einen reineres Insulin zu produzieren, das 12 Tage nach der ersten Insulin-Injektion von Thompson fertig wurde. Der Durchbruch bei der Behandlung der Diabetes war gelungen.

Wie wichtig die Arbeit der drei Kanadier war, zeigt sich daran, dass Banting und MacLeod schon 1923 den Nobelpreis für Medizin erhielten. Banting protestierte, dass sein Mitarbeiter Best vom Nobel-Komitee übergangen war; MacLeod setzte sich für Collip ein, doch auch das war vergebens. Im Jahre 1925 nahm Banting mit einer Darstellung der Forschung in Toronto den Nobelpreis an und teilte sich die Preissumme mit Best. MacLeod teilte sich das Geld mit Collip. Wie zuvor Wilhelm Conrad Röntgen entschieden sich die beiden Nobelpreisträger dafür, auf jegliche Patente zu verzichten. So konnte Insulin schnell auf der ganzen Welt produziert werden. In den USA und Kanada waren Eli Lilly mit dem Medikament erfolgreich, in Deutschland konnte Hoechst bereits 1923 das erste Insulinpräparat anbieten.

Die Erfolgsgeschichte soll nicht verdecken, dass Typ-1-Diabetes bis heute nicht heilbar ist. Doch können gut eingestellte Personen mit ihrem Typ-1-Diabetes ein nahezu normales Leben führen. So erlangte der Fall von Theodore Ryder Berühmtheit, der als fünfjähriger Knirps 1922 von Banting behandelt wurde und 1993 nach 70-jähriger Diabetes-Behandlung starb.

Der Alltag vieler Diabetikerinnen und Diabetiker: Die Prüfung des Blutzuckerspiegels. Dank IT und Smartphone wird die Überwachung dabei immer einfacher.

(Bild: CC BY-SA 4.0, myupchair.com )

Möglich machten dies fortlaufende Verbesserungen bei der Behandlung: aus der ärztlichen Injektion wurde die Autoinjektion mit kleinen Pens oder Insulinpumpen, aus der Zuckermessung, die zunächst nur beim Arzt möglich war, wurde die Selbstmessung mit Blut-Messstreifen oder RFID-Chips am Arm oder im Oberarm. Das aus Schlachtabfällen gewonnene Insulin wurde in den 80er-Jahren durch gentechnisch hergestelltes Humaninsulin ersetzt, dazu kamen in den 90ern Analoginsuline mit kurzfristiger (Bolus-Insulin) oder langfristiger Wirkung (Basis-Insulin).

Heute arbeitet die medizinische Forschung am sogenannten "Closed Loop", bei dem die Insulinmessung und -Abgabe von einem Mess-Algorithmus gesteuert wird, der wiederum eine Insulinpumpe steuert.

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(mawi)