Zahlen, bitte! Zu 41 Prozent geheimnisvoll: Die dunkle Seite des Mondes

Die erdabgewandte, geheimnisvolle Mondrückseite wurde bisher kaum beachtet. Nun rückt sie in das Interesse der Wissenschaft zur Erforschung von Mond und All.

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Der Mond ist ein treuer Begleiter der Menschheit: Zwölf Astronauten stapften auf ihm herum – allerdings stets nur auf der erdzugewandten Seite. Während diese seit Menschengedenken vertraut ist, blieben insgesamt 41 Prozent der Mondoberfläche dem Beobachter auf der Erde auf ewig verborgen, gäbe es nicht die Raumfahrt.

Erst seit knapp 65 Jahren ist überhaupt bekannt, wie die Mondrückseite aussieht: 1959 lieferte die sowjetische Raumsonde Luna 3 (auch Lunik 3 genannt) erste unscharfe Bilder von der Rückseite des Mondes. Als erste Menschen sah die Crew von Apollo 8 die Rückseite des Mondes beim Umrunden des Erdtrabanten. In jüngster Zeit lieferten vor allem chinesische Sonden neue Erkenntnisse.

Die Oberfläche wirft viele Fragen auf, denn sie ist vollkommen anders als die der erdzugewandten Seite. Und sie hat einzigartige Eigenschaften, für die es sich lohnen könnte, "hinterm Mond" zu leben.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Doch warum zeigt uns der Mond nur die gleiche Seite? Schuld daran ist die gebundene Rotation. Die Gravitationskräfte von Erde und Mond wirken aufeinander. Die Gezeitenkräfte des Mondes sorgen auf der Erde etwa für Ebbe und Flut. Außerdem verlangsamt die Gezeitenreibung die Erdrotation. Allerdings hat man Zeit, bis man die Uhr nachstellen muss: Die Erdrotation wird dadurch in etwa 100.000 Jahren um eine Sekunde verlangsamt. Da allerdings die Erde eine um 80 Mal höhere Masse besitzt als der Mond, wirkt im Gegenzug die Gezeitenreibung auch wesentlich stärker auf den Erdbegleiter bis hin zur leichten Verformung.

Die Rückseite des Mondes zusammengesetzt aus mehreren Aufnahmen des Lunar Reconnaissance Orbiter der NASA. Links oben ist mit Mare Moscoviense das größte von vier kleinen Mond-Mare zu sehen.

(Bild: NASA/GSFC/Arizona State University)

Mit der Entfernung nimmt auch die Gravitationskraft ab, sodass die erdzugewandte Seite stärker angezogen wird, als der Mondmittelpunkt. Somit bremste die Erdanziehungskraft die Eigenrotation des Mondes derart ab, dass die Eigenrotation der Umlaufzeit um die Erde entspricht. Die elliptische Bahn sowie die Schräge zur Ekliptik (der scheinbaren Bahn der Sonne am Himmel) sorgt dafür, dass man mit einem scheinbaren Taumeln im Laufe des Jahres etwa 59 Prozent der Oberfläche von der Erde aus sehen kann – die Schwankungen nennt man Librationen.

Die britische Band Pink Floyd setzte der geheimnisvoll verborgenen Mondrückseite mit dem Album "The Dark Side of The Moon" ein Denkmal. Dabei ist die erdabgewandte Seite gewiss geheimnisvoll, aber nicht dunkel: Durch die Rotation des Mondes gibt es dort Mondtage und Mondnächte wie auf der erdzugewandten Seite. Bei Neumond steht der Mond zwischen Erde und Sonne: Die erdabgewandte Seite wird angestrahlt. Bei Vollmond ist die Rückseite in tiefer Finsternis.

Die Mondrückseite ist sogar heller als die erdzugewandte Seite: Während die erdzugewandte Seite zu 31,2 Prozent aus den Maria (Meere) geprägt werden – große, dunkle Tiefebenen aus erstarrten Resten geschmolzener Magma – machen diese auf der Rückseite nur 2,6 Prozent der Rückseite aus. Den Namen beziehen diese dunklen Regionen dadurch, dass sie früher in der Astronomie für Meere gehalten wurden. Der Titel des Albums mit dem weltberühmten Prisma ist allerdings ohnehin nur eine Metapher.

Die Mondphasen hier in einer schematischen Darstellung zeigen, dass die (von der Erde aus gesehene) Mond-Rückseite genauso angestrahlt wird, wie die erdzugewandte Seite. Währen in 1 und 9 die Rückseite voll angestrahlt wird, liegt in der Volllmondphase 5 die Mond-Rückseite im Dunkeln.

(Bild: CC BY-SA 3.0, Orion 8)

Die Ursache, weshalb die erdabgewandte Seite so anders aussieht als die erdzugewandte Seite, ist für die Wissenschaft ein Rätsel. Man vermutet, dass die Kruste der erdabgewandten Seite dicker ist, sodass es für das flüssige Magma schwieriger war, die Oberfläche zu erreichen.

Die Abgeschiedenheit war für das Apollo-Programm noch ein Problem: Der permanente Funkschatten verhinderte es, sich ernsthaft mit der Außenseite als Landeort zu beschäftigen. Der Mond ist mittlerweile wieder ein Ziel für Raumfahrtmissionen geworden und nun sind die Eigenschaften der Rückseite vom besonderen Interesse: Die Abschirmung, die noch eine Mondlandung vor über 50 Jahren verhinderte, schützt vor Störeinflüssen der permanent strahlenden Erde und macht die Rückseite als Standort für ein Radioteleskop interessant.

Da sich mehrere Weltraummächte für neue Mondmissionen interessieren, warnen bereits Astronominnen und Astronomen davor, dass der neuerliche Wettlauf zum Mond dessen einzigartigen Bedingungen der Rückseite gefährden könnte. Sie fürchten, dass die über 200 geplanten Mondmissionen die optimalen Bedingungen stören könnten. Um das zu verhindern, müssten die Raumsonden gegen unerwünschte Abgabe von Emissionen ideal abgeschirmt werden.

Erde und Mond in Rotationsbewegung, aufgenommen in einer Zeitspanne von knapp fünf Stunden am 16. Juli 2015 durch die NASA-Sonde Deep Space Climate Observatory (DSCOVR) vom Lagrange-Punkt L1 im Abstand von 1,5 Millionen Kilometer zur Erde.

(Bild: NASA/EPIC)

Was die Erforschung der Mondrückseite betrifft, ist China ganz vorn dabei: Mit Chang'e 4 landete am 4. Januar 2019 erstmals eine Sonde auf der Rückseite des Mondes. Die Sonde setzte einen Mondrover mit dem klingenden Namen Jadehase 2 frei.

Verschwörungsmythiker waren verzückt, als die Sonde ein Bild zur Erde funkte, auf dem ein markantes Objekt am Horizont zu sehen war, das einer Hütte ähnelte. Die nähere Untersuchung brachte hervor, dass es sich nur um einen Stein handelte. Es war erneut ein Beispiel für eine Pareidolie, ähnlich wie das Marsgesicht, was sich bei Licht besehen statt eines künstlich errichteten Stein-Gesichts nur als eine launisch von der Natur geschaffene Gesteinsformation herausstellte.

Der nächste Meilenstein gelang China mit der Sonde Chang'e 6: Sie landete nicht nur auf der Mondrückseite, sondern brachte jüngst auch in einer Rückkehrmission Mondgestein mit. Die Chinesen haben zudem Pläne für eine bemannte Mondbasis auf der Rückseite.

(mawi)