Zu Besuch bei den Gravitationswellenjägern

In Ruthe bei Hannover steht ein seltenes physikalisches Experiment: Ein Detektor für Gravitationswellen. Wir waren vor Ort, um Deutschlands obersten Gravitationswellenjäger zu interviewen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 5 Kommentare lesen
Zu Besuch bei den Gravitationswellenjägern
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Dr. Harald Bögeholz
Inhaltsverzeichnis

An dem Lehrgut der Tiermedizinischen Hochschule Hannover und der landwirtschaftlichen Versuchsstation der Uni Hannover bin ich schon zigmal mit dem Rennrad vorbeigeradelt: Kühe, Felder, Obstbäume. Dass an diesem Ort auch Physik von Weltklasse betrieben wird, das sieht man nur, wenn man es weiß. Ganz unscheinbar ist das Tor zu einem schmalen Grundstückchen neben einem Hain mit Apfelbäumen. Andreas Stiller ist hier zu einem Interview mit dem Physiker Prof. Karsten Danzmann verabredet, und ich bin als neugieriger Beobachter und Träger des Verlängerungskabels dabei.

"Vorsicht! Empfindliche Meßgeräte in Betrieb" steht auf dem verbeulten Blechschild neben einem kleinen Metallcontainer. Wie empfindlich die Messgeräte tatsächlich sind, erfahren wir gleich, als uns Mitarbeiter Christoph Affeldt in der Containersiedlung am Ende des Wegs in Empfang nimmt: Er hat unser Kommen auf dem Seismographen gesehen. "Egal, wo auf der Welt ein Erdbeben passiert: Ab Stärke 7 sehen wir es hier auf jeden Fall."

Ein Besuch beim Gravitationswellen-Detektor GEO600 (13 Bilder)

"Vorsicht! Empfindliche Meßgeräte in Betrieb": Man glaubt kaum, wie empfindlich die Gerätschaften in diesem Container am Ende des Osttunnels tatsächlich sind.

Der Gravitationswellendetektor ist im Prinzip ein Messgerät, das mit unglaublicher Präzision Entfernungen vermisst, und zwar mit einem Michelson-Interferometer. Ein kohärenter Laserstrahl wird geteilt: Die eine Hälfte geht durch ein 600 Meter langes Rohr nach Norden zu einem Spiegel, die andere durch ein ebenfalls 600 Meter langes Rohr nach Osten. Dann geht es noch jeweils einmal hin und her, sodass die effektive "Armlänge" 1200 Meter beträgt, bevor die beiden Strahlen wieder überlagert werden. Wenn sich die überlagerten Laserstrahlen um eine halbe Wellenlänge gegeneinander verschieben, löschen sie sich aus. Ändern sich also die Längen der zurückgelegten Strecken nur ein winziges Bisschen, so ändert sich die Intensität des detektierten Laserlichts.

Wenn in Millionen von Lichtjahren Entfernung zwei schwarze Löcher kollidieren, bewegt sich, so die Theorie, eine Gravitationswelle durchs Universum, eine Verformung des Raum-Zeit-Kontinuums. Bei uns auf der Erde wackelt also etwas, und das will man mit der hochpräzisen Messung detektieren. Dazu muss man aber alles Wackeln vermeiden beziehungsweise herausrechnen, was von der Erde kommt. Daher finden sich hier in Ruthe empfindliche Seismographen und die ganze optische Apparatur ist höchst aufwendig gelagert, um sie von Vibrationen von außen zu isolieren.

Professor Danzmann zeigt uns das Allerheiligste, das wir nur mit Laser-Schutzbrillen betreten dürfen. Das verwendete Laserlicht liegt nämlich mit einer Wellenlänge von 1064 nm im Infrarotbereich. Für den Fall, dass sich doch mal Laserlicht aus der Apparatur ins Freie verirrt, muss man daher Vorkehrungen treffen; sehen würde man den gefährlichen Strahl nicht.

Neben Kabeln und Röhren sieht man im Wesentlichen einige Käseglocken aus Edelstahl, vielleicht einen Meter im Durchmesser. In diesen Tanks befinden sich die optischen Komponenten des Experiments, Dinge wie Spiegel und Beam Splitter. Das gesamte Experiment findet im Hochvakuum statt: 10-8 Millibar herrschen in den Tanks, und auch in dem jeweils 600 Meter langen Nord- und Osttunnel sind nicht viele Moleküle unterwegs. Die Tanks müssen deshalb so groß sein, weil jede einzelne optische Komponente aufwendig gelagert ist, um sie von den Vibrationen der Erde zu entkoppeln.

Sehen kann man das an einem Modell, das ganz unspektakulär im Küchencontainer neben Wasserflaschen und Kaffeemaschine steht. An zwei Blattfedern für die vertikale Dämpfung hängt an dünnen Drähten ein dickes Gewicht als Pendel, daran ein weiteres Pendel und daran schließlich ein drittes mit dem Spiegel. Hier gibts zur Illustration fürs Publikum einen roten Laser zu sehen; im tatsächlichen Experiment ist es wie gesagt Infrarot. Um das oberste Pendel herum sieht man Spulen: Schwingungen dieses Pendels werden durch eine aktive Regelung magnetisch kompensiert.

Trotz all dieser Maßnahmen, Schwingungen vom Experiment fernzuhalten, gerät es doch immer mal wieder aus dem Tritt, zu sehen an den verschiedenen Kamerabildern auf dem großen Kontrollmonitor. Die Vibrationen eines vorbeifahrenden Autos genügen schon; Kenner der Materie fahren daher wirklich vorsichtig mit Schrittgeschwindigkeit an dem Container am Ende des Osttunnels vorbei, wenn sie aufs Gelände kommen. Operatoren im Kontrollraum des Experiments sind ständig damit beschäftigt, es zu beobachten und gegebenenfalls einzugreifen.

Prof. Karsten Danzmann (links) im Gespräch mit c’t-Redakteur Andreas Stiller

Kollege Andreas Stiller hat mit Prof. Danzmann ein ausführliches Interview geführt; seinen Artikel über den Stand der Gravitationswellenforschung lesen Sie demnächst in c't. Ich als physikalischer Laie war allein von dem Aufwand zum Bau und Betrieb dieser Anlage beeindruckt, von dem Danzmann erzählte.

Ich wusste zum Beispiel nicht, dass Wasserstoff in Edelstahl löslich ist und im Vakuum langsam ausdünstet. Um den störenden Wasserstoff aus den Stahltanks herauszubekommen, hat man diese daher auf 1100 Grad erhitzt. Auch die beiden 600 Meter langen Rohre mussten erhitzt werden, um Wasser und andere störende Moleküle loszuwerden. Während man um die Stahltanks noch Heizschlangen legen kann, ist das bei einem 600 Meter langen, am Boden verlegten Rohr schwierig. Aber wie sonst kriegt man ein solches Rohr heiß?

Ganz einfach, so Danzmann: Man schickt 1000 Ampere Strom durch, dann wirds schon warm. So hat man denn einen 680-Kilowatt-Dieselgenerator herangekarrt und das Ganze unter Strom gesetzt: Zwei Wochen bei 250 Grad, dann war das Vakuum "gar". Dabei wurde Diesel für 20.000 Euro verheizt, aber das war für die Physiker tatsächlich die billigste Methode.

Überhaupt musste das ganze Projekt mit ausgesprochen knappen finanziellen Mitteln auskommen. Deshalb gibt es auf der Anlage nicht einmal fließend Wasser; Trinkwasser wird in Kanistern angeliefert. Einen Internet-Anschluss gabs auf dem Acker natürlich auch nicht, daher steht neben den Containern ein Mast mit einer Richtfunkantenne. Das andere Ende der Strecke ist die Uni Hannover.

Die Anlage in Ruthe ist eigentlich gar nicht in erster Linie für die Datenerfassung gedacht, sondern soll der Weiterentwicklung der Messverfahren dienen. Anderswo auf der Welt gibts größere Gravitationswellen-Detektoren. Aber weil die gerade alle aus verschiedenen Gründen nicht messen, wird dies eben doch in Hannover getan. An die 200 Gigabyte Daten fallen dabei jeden Tag an, die über die Richtfunkstrecke nach Hannover gehen.

Zurzeit ist Danzmann mehr in Darmstadt als in Hannover. Dort verfolgt er im Europäischen Raumflugkontrollzentrum ESOC sein nächstes Baby: LISA Pathfinder. Dabei handelt es sich ebenfalls um ein Laser-Interferometer, das in einem Satelliten um den ersten Lagrange-Punkt zwischen Erde und Sonne kreist, dort, wo sich die Gravitation von Erde und Sonne aufheben. Mit seinen 38 Zentimetern zwischen den beiden frei schwebenden Testmassen ist es zwar vergleichsweise winzig, doch es ermöglicht wichtige Grundlagenforschung auf dem Weg zur eigentlichen LISA-Mission: einem Laser-Interferometer mit einer Armlänge von Millionen von Kilometern.

Lesen Sie mehr zum Thema Gravitationswellen:

(bo)