Zum 100. Todestag von Wilhelm Conrad Röntgen: Ohne Abitur zum Nobelpreis

Wilhelm Conrad Röntgen: Bekannt als Eigenbrötler, akzeptierte er Anfang des 20. Jahrhunderts nur widerwillig die Rolle des Popstars der Physik.

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(Bild: rook76/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Nils Schiffhauer
  • Gordon Bolduan

Zum 100. Todestag von Wilhelm Conrad Röntgen erinnern wir noch mal an den deutschen Physiker. Zwar schoss das erste Röntgenfoto der amerikanische Physiker Arthur Goodspeed, als sich bei Versuchen mit einer Kathodenstrahlröhre auf der Aufnahme zwei dunkle Flecke abzeichneten. Die Erleuchtung, dass hierbei "eine neue Art von Strahlen" das lichtempfindliche Papier schwärzten, kam aber erst Wilhelm Conrad Röntgen.

Bei ähnlichen Versuchen am Abend des 8. November 1895 im physikalischen Institut der Universität Würzburg sah er, wie ein mit Bariumplatincyanür bestrichener Papierschirm hell fluoreszierte. Beinahe umgehend verbreitete sich die Nachricht von der neuen Strahlung, die vorwiegend von Medizinern und Metallurgen sofort auf ihre Praxistauglichkeit hin untersucht wurde. 1901 erhielt Röntgen für seine Entdeckung den ersten Physik-Nobelpreis, der jemals verliehen wurde.

Nach dieser Karriere sah es 1845 nicht aus, als Röntgen als einziges Kind eines Tuchhändlerehepaars im bergländischen Lennep geboren wurde. Die wirtschaftlichen Unsicherheiten des Revolutionsjahres 1848 verschlugen die Familie nach Holland, wo "Willy" eine glückliche Kindheit verbrachte, in der Schule jedoch aneckte. Er musste die Technische Schule in Utrecht vor dem Abitur verlassen, weil er sich schützend vor einen Mitschüler stellte, der einen Lehrer mit Kreide karikiert hatte.

Mit 20 Jahren ging er in die Schweiz, um, was hier möglich war, ohne Abitur an der Eidgenössischen Polytechnischen Schule in Zürich zu studieren und 1868 das Diplom als Maschinenbauingenieur zu erwerben. Schon ein Jahr später wurde er an der Universität Zürich mit einer Studie über Gase promoviert. 1874 an der Reichsuniversität Straßburg bei August Kundt habilitiert, gelangte er schließlich über mehrere kurze Zwischenstationen auf eine Physikprofessur in Würzburg. Dort untersuchte der begnadete Experimentalphysiker systematisch elektrische Vorgänge in evakuierten Röhren – und entdeckte das Röntgenlicht.

Im 1. Weltkrieg zeigte sich Röntgen national gesinnt und gab "Gold für Eisen": Er ließ seine goldene Rumford-Medaille der Royal Society als Kriegsspende einschmelzen. Seine Entdeckung rettete vielen Kriegsverletzten das Leben. Allerdings lernten die Ärzte erst allmählich, mit den energiereichen Strahlen umzugehen, die in hoher Dosierung Krebs auslösen. Auch Wilhelm Conrad Röntgen erlag der Krankheit: Am 10. Februar 1923 starb er an einem Darmkarzinom. Auf dem Höhepunkt der Inflation hinterließ er der CORBIS Armenpflege der Stadt Weilheim 330 Billionen 927 Milliarden Mark.

Bekannt als Eigenbrötler, akzeptierte Röntgen Anfang des 20. Jahrhunderts nur widerwillig die Rolle des Popstars der Physik. Technology Review führte ein fiktives Gespräch mit dem Entdecker der X-Strahlen:

Technology Review: Herr Professor, es ist mir eine Ehre, von Ihnen in Ihrem Institut an der Münchner Universität empfangen zu werden.

Wilhelm Conrad Röntgen: Nicht der Rede wert.

TR: Doch, doch, Ihr gespanntes Verhältnis zur Presse ist ja allgemein bekannt. Meine Journalistenkollegen, so Ihr Vorwurf, hätten Ihre bahnbrechende Entdeckung zur Zirkussensation trivialisiert. Allerdings waren es diese populären Berichte, die Sie in ganz Europa und Amerika berühmt gemacht haben. Alle Welt verehrt Sie.

Röntgen: Sehr zu meinem Leidwesen. Sie ahnen ja nicht, zu welcher Bürde mir meine Bekanntheit geworden ist. Aber Sie haben ja nun die Chance, mich mit Ihrem Metier zu versöhnen.

TR: Wir werden sehen. Herzlichen Glückwunsch jedenfalls nachträglich zum Nobelpreis. Sie waren der erste Physiker, dem diese bedeutende Ehre je zuteilwurde.

Röntgen: Da sehen Sie, wie Wissenschaftler meine Entdeckung zu würdigen wissen.

TR: Schon recht. Auch die vorangegangenen drei Dutzend Auszeichnungen sind nicht ohne. Als Besucher aus dem 21. Jahrhundert kann ich Ihnen berichten, dass der Einsatz der von Ihnen entdeckten X-Strahlen die Medizin, die Materialphysik und sogar die Astronomie revolutioniert hat.

Röntgen: Das sind gute Nachrichten aus der Zukunft. Da wird sich doch im Nachhinein beweisen, wie sehr ich den Nobelpreis verdient habe.

TR: Zweifellos. Aber gedankt haben Sie es dem Nobelpreiskomitee wahrlich nicht. Bis heute – drei Jahre nach der Verleihung – sind Sie als Einziger der Verpflichtung aller Preisträger, einen Vortrag über ihre preisgekrönte Arbeit zu halten, nicht nachgekommen. Warum denn nicht?

Röntgen: Es wollte sich einfach nicht ergeben. Die widrigen Umstände – es war kompliziert, verstehen Sie?

TR: Etwas mehr Aufklärung wäre schon gut. Es geht das Gerücht, Sie hätten bei einem Vortrag nicht viel zu sagen, weil Sie die Entdeckung mehr oder weniger zufällig gemacht haben...

Röntgen: ...und die eigentliche systematische Vorarbeit vom Kollegen Philipp Lenard durch die Entdeckung der Kathodenstrahlen geleistet wurde, das wollten Sie doch sagen, oder?...

Anmerkung der Redaktion: Röntgen galt als ein sehr bescheidener Entdecker, daher verzichtete er beispielsweise auch auf das Preisgeld für den Nobelpreis.

(mack)