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Zum 30. Geburtstag von "Day of the Tentacle": Huldigt dem Purpur-Tentakel!

Gerald Himmelein

(Bild: LucasArts)

Vor 30 Jahren erschien "Day Of The Tentacle" – ein Meilenstein und Meme, bevor es sowas überhaupt gab. Zeit, den Klassiker noch einmal durchzuspielen.

Das größenwahnsinnige Purpur-Tentakel ist dreißig Jahre alt! Am 25. Juni 1993 veröffentlichte LucasArts das Grafik-Adventure "Day Of The Tentacle" (unter Freunden: DOTT) auf CD-ROM und Diskette. Die CD-Version war voll vertont: Die Spielfiguren kommentierten jede Aktion mit professioneller Sprachausgabe. Was heute selbstverständlich ist, war damals eine echte Neuerung.

"Day Of The Tentacle" hat alles: Spritzige Dialoge, verrückte Figuren, professionell animierte Zwischensequenzen, einen fetzigen Soundtrack und knackige Puzzles. Angetrieben wird das Ganze von einem umwerfend anarchischen Humor. Sprich mit einem grauhaarigen Gamer über DOTT, seine Augen werden aufleuchten und er wird dich garantiert mit Anekdoten überschütten.

"Day Of The Tentacle" ist eine lose Fortsetzung des Grafik-Adventures "Maniac Mansion" (1987). Die Sequel beginnt damit, dass das im ersten Teil eingeführte Purpur-Tentakel aus einem verseuchten Fluss trinkt und mutiert. Erst wachsen ihm Ärmchenstummel, dann beschließt es, die Weltherrschaft an sich zu reißen. Was man halt so tut.

Das durchgedrehte Purpur-Tentakel beschließt, die Weltherrschaft an sich zu reißen.

(Bild: LucasArts)

Der exzentrische Wissenschaftler Fred Edison, Schöpfer des Tentakels, will die Menschheit mit einer Zeitmaschine retten. Genauer: mit drei Zeitmaschinen in Form von Dixie-Klos. Wie man das halt so tut. Sein Plan, drei Teenager einen Tag in die Vergangenheit schicken, um die Mutation des Tentakels zu verhindern, misslingt jedoch gründlich.

Heavy-Metal-Fan Hoagie landet im Jahr 1787, die labile Laverne zweihundert Jahre in der Zukunft, der biedere Bernard bleibt in der Gegenwart und die Zeitmaschinen-Steuereinheit geht zu Bruch. Immerhin können die drei über die Zeitreisen-Klos noch Gegenstände austauschen. Wird es Laverne, Hoagie und Bernard gelingen, die Weltherrschaft der Tentakel aufzuhalten? Nun – das hängt ganz davon ab, wie gut die Spieler ihre Handlung steuern ...

Die Story mag chaotisch klingen, ist aber sorgfältig geplant. Beim Puzzeln ist zeitübergreifende Kombinationsgabe gefragt. Ein Beispiel: Zu Spielbeginn hängt Laverne hilflos in einer Baumkrone fest. Um sie dort rauszuholen, muss Hoagie in der Vergangenheit den Urvater der US-amerikanischen Demokratie, George Washington, dazu überreden, einen kleinen Baum zu fällen. Siehe da, plötzlich verschwindet der Baum in der Zukunft und Laverne ... äh, wird sofort vom Menschenfänger eingefangen. Weil Menschen ohne Tentakel-Besitzer in den Zwinger gehören. Wie das halt so ist.

"Day Of The Tentacle" entstand mitten im goldenen Zeitalter der LucasArts-Adventures: direkt nach dem epischen "Indiana Jones and the Fate of Atlantis" und unmittelbar vor dem total wahnsinnigen "Sam & Max Hit The Road". Das Vorgänger-Spiel "Maniac Mansion" hatte Ron Gilbert mitentwickelt, der Erfinder von "Monkey Island". Gilbert war aber auf dem Weg in die Selbstständigkeit.

Bei den ersten beiden "Monkey Island"-Spielen hatten Dave Grossmann und Tim Schafer mitgeholfen und dabei einen ausreichend kompetenten Eindruck gemacht, um ihnen die Sequel zu "Maniac Mansion" anzuvertrauen.

In den Jahren zwischen den beiden Spielen hatte sich die Technik so rasant weiterentwickelt, dass sich die Sequel den Vorgänger im wahrsten Sinne einverleibt: In einem Raum der Edison-Villa steht in der Ecke ein klobiger PC, von dem man aus das komplette Ur-Adventure durchspielen kann.

30 Jahre "Day of the Tentacle" (0 Bilder) [1]

[2]

Die Trumpfkarte von DOTT war jedoch die revolutionäre Präsentation. DOTT war nicht nur ein Adventure, es war ein interaktiver Cartoon mit schief gebauten Standuhren, in Fischaugenperspektive verzerrten Räumen und animierten Vollbild-Zwischensequenzen.

Für das Design der Räume zeichnet Peter Chan verantwortlich, die Figuren entwarf Larry Ahern. Die offensichtliche Inspiration waren "Looney Tunes"-Cartoons und "Tom & Jerry". Da ist nur konsequent, dass das Spiel einen "Looney Tunes"-Gag direkt übernimmt. Fairerweise bekommt Zeichentricklegende Chuck Jones eine Danksagung im Abspann.

Insbesondere für Tim Schafer war DOTT der Anfang einer steilen Karriere. Es folgten das Biker-Adventure "Full Throttle", der Totentanz "Grim Fandango", das psychedelische Jump'n'Run "Psychonauts", das Action-Adventure "Brütal Legend" und der moderne Klassiker "Broken Age".

"Day Of The Tentacle" erschien zunächst nur für MS-DOS, drei Jahre später folgte eine Mac-Portierung. 2016 erschien "Day Of The Tentacle: Remastered" mit HD-Grafik [3] für Windows, macOS, PlayStation 4 und PlayStation Vita. Noch im selben Jahr folgten Portierungen auf Linux und iOS; 2020 wurde eine Version für Xbox One nachgereicht.

Als glückliche Fügung erwies sich, dass das Gameplay im Original-Adventure in einem 16:9-Rahmen stattfand, unter dem die möglichen Befehle und das Inventar standen. Im Remaster füllt die Grafik jetzt den ganzen Bildschirm aus. Die Befehle sind in einem Rechtsklick-Menü untergebracht; zum Inventar führt ein Button links unten am Bildschirmrand. Nostalgiker können jederzeit zur Ur-Grafik zurückwechseln: Ein kurzer Tippser auf F1 und das Original-DOTT kommt zum Vorschein.

Die hochmodernen Bedienelemente eines Adventure-Spiels – vor 30 Jahren jedenfalls.

(Bild: LucasArts)

Grafisch orientiert sich das Remaster sehr eng am Original. Teils kann man Texte lesen, die in der Klötzchengrafik von anno dazumal nur Pixelwolken waren, aber passen. Das Gameplay ist minimal gefälliger, größte Neuerung ist eine Übersicht der anklickbaren Bereiche (Hotspots).

Wer den Veteranen mit heutigen Ansprüchen in Angriff nimmt, wird sich immer mal wieder an Dingen stoßen, die inzwischen nicht mehr zeitgemäß sind. Wenn sich DOTT sein Alter anmerken lässt, ist das mal charmant, mal frustrierend.

Ein integriertes Hint-System? Fehlanzeige – aber zum Glück ist das Internet mit Walkthroughs gepflastert. Es gibt auch kein schnelles Gehen: Wenn Hoagie zum fünften Mal denselben langen Weg vom Haus zur Zeitmaschine entlangschlurft, kann das durchaus nerven. Willkommen wäre auch eine Übersicht mit allen freigespielten Locations, um direkt dorthin zu wechseln – aber nein.

Da hilft nicht, dass die Anleitung des Remasters eine wichtige Abkürzung unterschlägt: Alle drei Spielfiguren können einander Gegenstände über die Zeitmaschine (Chronojohn) zuschieben, indem sie aus dem Inventar auf das Gesicht der Zielfigur gezogen werden. Einzige Bedingung ist, dass die Spielfigur sich gerade frei bewegen kann.

Die witzigen Dialoge machen Spaß, verlangen aber auch einiges an Geduld. Wer sich ungern durch verästelte Gespräche klickt, ist hier falsch. Wer die Marotten von DOTT nicht genießen kann, wird das Spieltempo als Qual empfinden – zumal die Puzzles alles andere als einfach sind.

Warum nicht gleich so: Das zeitgemäße Befehlsmenü des DOTT-Remasters von 2016.

(Bild: LucasArts)

Dieser Artikel diente als willkommene Ausrede, DOTT noch einmal von Anfang bis Ende durchzuspielen, etwa fünfzehn Jahre nach der letzten Begegnung mit Laverne, Hoagie und Bernard. Erfreulich vieles hatten sich im Langzeitgedächtnis festgegraben: der verzweifelte Erfinder in seinem Hotelzimmer, der Hammer für Linkshänder, das irre Kichern von Laverne und vor allem ihre unverwechselbare Art, zu gehen.

Überraschend war die Länge der Cutscenes: Bis Spieler zum ersten Mal etwas machen dürfen, gehen Minuten ins Land, und dann kommt gleich wieder eine Zwischensequenz – alles schön anzusehen, aber alles andere als interaktiv. Einige Pointen wirken heute etwas angestaubt, etwa die wiederholten Dickenwitze auf Kosten von Hoagie. Insgesamt haben die Gags aber deutlich besser gehalten als bei anderen Spielen aus dieser Zeit. (Oh, Larry ...)

Schlimmer wog die Selbstbeobachtung, dass in den letzten Jahren essenzielle Gehirnzellen abgestorben waren. Es ist eine erniedrigende Erfahrung, in einem Spiel festzustecken, das man schon dreimal gemeistert hat. (Immer dieser verflixte Hamster.) Am Ende half doch nur, aller hehren Vorsätze zum Trotz im Internet nach einer Lösung zu suchen.

Nach dem letzten Puzzle war wieder alles vergeben. Das Ende dieses Spiels ist und bleibt großartig: keine offenen Fragen, kein Teaser für eine Sequel in letzter Minute, nur ein letzter wunderbarer Gag.

Tu's nicht ... "Day Of The Tentacle" macht nicht vor dem Hamster in der Mikrowelle halt.

(Bild: LucasArts)

Es folgt ein kurzer Exkurs mit Spoilern zu einem 36 Jahre alten Spiel. Tut mir echt leid und so, aber die Sache mit dem Hamster ist viel zu witzig, um sie nicht zu erzählen.

Der Vorgänger von DOTT, "Maniac Mansion", spielte in der Villa der Familie Edison, deren gewaltbereiter Sohn "Weird Ed" einen Hamster besaß. Zur Lösung eines Puzzles muss man den Hamster erst klauen und dann Ed zurückgeben. In der Küche der Villa stand aber auch eine Mikrowelle, die zum Experimentieren einlud ... Steckten Spieler den Hamster in die Mikrowelle und überreichten Weird Ed den explodierten Nager, endete das sehr unschön [4], und mit unschön meine ich tödlich für die aktive Spielfigur.

"Maniac Mansion" erschien 1987 erst für den Commodore 64 und den Apple II, später für MS-DOS, Amiga und Atari ST. Drei Jahre später wurde das Adventure auf das Nintendo Entertainment System (NES) portiert. Damals war Nintendo extrem darauf bedacht, dass die Spiele "sauber" blieben, und bestand auf diversen Änderungen [5] – unter anderem wurde das Poster einer Mumie in Playboy-Pose entfernt. Die Option mit dem Hamster in der Mikrowelle blieb in den USA hingegen intakt, was Rezensenten amüsierte.

Nintendo reagierte prompt und ließ die Möglichkeit entfernen, den Hamster in die Mikrowelle zu stecken. Das gab der Sache mit dem Hamster jedoch erst richtig Auftrieb – auch ganz ohne Internet. "Hamster in der Mikrowelle" entwickelte sich unter Proto-Gamern zum Running Gag – Memes gab es damals noch nicht.

Den Entwicklern bei LucasArts war der Hamsterkult natürlich nicht entgangen. Und so sitzt bei "Day Of The Tentacle" im Zimmer von Weird Ed abermals ein Hamster im Käfig. Und wieder steht eine Mikrowelle in der Küche. Soll die Spielfigur Bernard jedoch den Hamster in die Mikrowelle stecken, verweigert dieser das beharrlich.

Um im Spiel weiterzukommen, muss der Hamster jedoch zwingend in die Mikrowelle. Was in "Maniac Mansion" noch ein optionaler Gag war, ist hier fester Bestandteil der Story. Um das Ziel zu erreichen, ist ein wundervoll absurder Umweg nötig (Stichwort: Kühltruhe) und wenn es endlich geschafft ist, erfolgt eine weitere Ansprache an die Spieler, die ebenso nachdrücklich wie amüsant vor der Nachahmung mit einem echten Hamster warnt. Tierliebhabende seien beruhigt: Diesmal überlebt der Hamster die Sache.

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(dahe [7])


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[4] https://www.youtube.com/watch?v=N_XFYjiqZNQ
[5] https://www.crockford.com/maniac.html
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