Allein, aber nicht einsam: In VR-Schlafräumen finden Schlaflose Gesellschaft

Einschlafen in der virtuellen Realität kann Schlaflosigkeit und Einsamkeit lindern. Vorausgesetzt man kann vermeiden, von Kindern gestört zu werden.​ ​

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Zwei Menschen mit VR-Brille stehen sich gegenüber

(Bild: Shutterstock.com/thinkhubstudio)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Tanya Basu
Inhaltsverzeichnis

In der Ferne ertönt chillige Lo-Fi-Musik. Sternschnuppen rauschen durch die funkelnde Galaxie über mir. Ich trotze der Physik und schwebe auf dem Rücken durch den Weltraum. Entspannt gähne und strecke ich mich, bis meine Faust ein Kissen trifft, das ich ganz vergessen hatte.

Ich war natürlich nicht wirklich im Weltraum, sondern auf einer Liege in meiner Wohnung. Virtuell aber befand ich mich in einem der vielen "Schlafräume" auf der Plattform VRChat in der virtuellen Realität (VR). Das sind virtuelle Räume, die Menschen mithilfe ihrer Headsets betreten, um zu entspannen und sogar schlafen können.

VR-Schlafräume erfreuen sich bei Menschen, die unter Schlaflosigkeit oder Einsamkeit leiden, immer größerer Beliebtheit. Sie bieten gemütliche Enklaven, in denen Fremde sicher Entspannung und Gesellschaft finden können. Meistens jedenfalls.

Jeder VR-Schlafraum ist so gestaltet, dass er Ruhe ausstrahlt. Einige imitieren Strände und Campingplätze mit Lagerfeuern, andere sehen wie Hotelzimmer oder Hütten aus. Die Soundtracks variieren von entspannenden Beats über Naturgeräusche bis hin zu absoluter Stille, während die Beleuchtung von Neon-Diskokugeln bis hin zu pechschwarzer Dunkelheit reichen kann. Die Möglichkeit, in Gruppen zu schlafen, kann besonders attraktiv für isolierte oder einsame Menschen sein, die sich weniger allein fühlen wollen.

So geht es zum Beispiel Mydia Garcia, die vor fast einem Jahr mit dem sozialen Schlafen begann. "Ich ging [in der VR] bis 3 Uhr morgens tanzen und war müde, aber ich wollte die VR oder meine Freunde nicht verlassen." Garcia und ihre Freunde besuchten abgelegene Welten und kuschelten dann zusammen, weil sie diese Erfahrung als therapeutisch und verbindend empfanden.

Auch Jeff Schwerd entdeckte VR-Schlafräume während der Pandemie und fand darin ein Mittel gegen die Einsamkeit. Er kuschelt gerne mit Fremden und nutzt oft die Ganzkörperverfolgung, die es Avataren ermöglicht, sich synchron mit realen Körpern zu bewegen, um das Gefühl zu imitieren, gekuschelt und gehalten zu werden. Schwerd sagt, dass er sich dadurch beschützt fühlt und deshalb besser schlafen kann. Auch die Atmosphäre in den Schlafräumen empfindet er als entspannend. So sehr, dass er mitunter auch alleine einschlafen kann. "Mein Lieblingsort, an dem ich mich alleine entspannen kann, ist dieser grasbewachsene Hügel mit einem Lagerfeuer. Ich höre gerne das Geräusch des Feuers", sagt er.

Ein Gemeinschaftsgefühl ist nicht der einzige Grund, warum Menschen in virtuellen Realitäten einschlafen. Scott Davis nutzt die VRChat-Schlafräume mehrmals pro Woche, um seine Schlaflosigkeit zu bekämpfen. "Es ist so viel einfacher für mich, in der VR zu schlafen, und es hat mir geholfen, zuverlässiger einzuschlafen", sagt er. "Normalerweise muss ich außerhalb der VR ziemlich müde sein, um einzuschlafen. Aber in der VR kann ich mich hinlegen und schlafe schneller ein, auch wenn ich anfangs nicht müde bin." Deshalb kehrt er in die Schlafräume zurück. "Ich kann mich darauf verlassen, dass ich als Schlafloser meinen Schlaf kontrollieren kann", sagt Davis.

Dieses Gefühl der Kontrolle ist ein wichtiger Grund, warum VR eine therapeutische Wirkung auf Menschen mit Schlaflosigkeit haben kann, sagt der Neurowissenschaftler Massimiliano de Zambotti, der bei der gemeinnützigen Organisation SRI International über Schlaf forscht.

"Wenn man an Schlaflosigkeit leidet, geht man ins Bett und das Gehirn beginnt zu spinnen. Man macht sich Sorgen und grübelt, und das Herz rast. Man ist nicht entspannt und befindet sich in einem erhöhten Erregungszustand, der einen am Einschlafen hindert", sagt de Zambotti. "Neurowissenschaftlich gesehen funktioniert VR, weil man die Umgebung, in der man sich befindet, modulieren kann, aber man hat einen Anker zur Realität und kann sich sicher genug fühlen, um einzuschlafen."

Was aber, wenn man nicht diese Erfahrung macht? Eines Tages, als ich einen VR-Schlafraum betrat, hörte sofort die Stimme eines Kindes in meinem Ohr. Das Kind, das einen Roboter-Avatar hatte, versuchte erfolglos, mich und einen mittelalterlichen Ritter in ein Gespräch zu verwickeln. (Mein Avatar war ein Stück Butter mit einem winzigen Zylinder, weil – warum nicht?)

Entnervt schwebte der Roboter in die Ecke, in der etwa sieben Avatare friedlich beieinander lagen und scheinbar schliefen. Dann verhöhnte die Kinderstimme sie: "Ich werde euch töten! Ich werde euch buchstäblich umbringen!"

Es ist bekannt, dass das Metaversum voll von minderjährigen Benutzern ist, und meine Reise durch die Schlafräume bestätigte, dass Kinder beunruhigend oft in diesen Erwachsenenräumen auftauchen. So war ein anderer Schlafraum, den ich besuchte, gleich von mehreren Kinderstimmen erfüllt, die diesmal Spanisch und Französisch sprachen.

Ich fuhr also mit dem Aufzug auf ein "Dach", wo ich eine rot beleuchtete Ecke mit plüschigen, samtenen Sofas vorfand. "Hi, mir gefällt dein Avi [Avatar]", sagte eine Kinderstimme hinter mir. Ich drehte mich um und entdeckte einen anderen Roboter-Avatar, der mit einer Vogelscheuche zu sprechen schien. "Dein Avatar gefällt mir auch", sagte eine Männerstimme. "Willst du kuscheln?" Das Kind schwebte davon, und ich folgte ihm beunruhigt.

Schwerd erzählte mir, dass er auch schon Kinder in Schlafräumen gesehen hatte. "Es gibt definitiv Minderjährige, die ein Ärgernis sind", sagt er. Aber er betonte, dass die meisten Schlafräume ruhig und respektvoll seien.

Das war meiner Erfahrung nach tatsächlich meistens der Fall. Einige Schlafräume, in die ich stolperte, waren leer und still. In anderen schmiegten sich die Avatare aneinander und schliefen tief und fest. In wieder anderen kauerten Gruppen von Avataren zusammen, wach, aber still, einige flüsterten, andere entspannten sich einfach. Ich hatte oft das Bedürfnis, "Entschuldigung" zu murmeln und auf Zehenspitzen zu gehen, wobei ich vergaß, dass ich in einem Raum voller Avatare nur ein treibendes Stück Butter war, das kaum jemand hören oder sich darum kümmern würde.

Ich konnte in der VR nicht einschlafen. Ich war mir meiner Umgebung extrem bewusst und fand das Headset auf meinem Gesicht unangenehm. Aber während ich einige Räume als anstrengend empfand, entdeckte ich auch Schlafräume, die ruhig und friedlich waren. Orte, an denen man einfach nur sitzen und sein konnte. In der realen Welt fällt es mir schwer, ruhige Orte zum Entspannen zu finden, und die virtuellen Schlafräume boten mir Raum und Zeit, mich zurückzulehnen und die Sterne anzuschauen.

(vsz)