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Analyse: Covid-19-Impfempfehlung nur für vorerkrankte Kleinkinder

Veronika Szentpetery-Kessler
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(Bild: Corona Borealis Studio/Shutterstock.com)

Die Stiko sieht für gesunde Kinder von sechs Monaten bis vier Jahren keine gute Wirksamkeit der Corona-Immunisierung. Geimpft werden dürfen sie trotzdem.

Das Wichtigste vorneweg: Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat sich bei Kleinkindern mit einer Vorerkrankung, einer Immunschwäche, oder wenn sie zu früh geboren wurden, für eine Immunisierung mit einem mRNA-Impfstoff gegen Covid-19 ausgesprochen. Das ist wichtig, denn diese Kleinsten im Alter von sechs Monaten bis 4 Jahren tragen das höchste Risiko, im Fall einer Corona-Infektion schwer zu erkranken. Das schreibt das Robert-Koch-Institut (RKI) in seinem aktuellen Epidemiologischen Bulletin vom 17. November [1].

Für BioNTech/Pfizers Comirnaty-Vakzin gilt ein 3-Dosen-Impfschema. Bei Modernas Spikevax-Impfstoff ist eine Immunisierung mit zwei Dosen empfohlen. Allerdings wird Spikevax laut dem RKI „bis auf Weiteres in Deutschland nicht verfügbar sein“. Zu den Vorerkrankungen gehören zum Beispiel Krebs, Herzfehler und schwere Herzschwächen, chronische schwere Lungenerkrankungen, die chronische Nierenerkrankung, neurologische Krankheiten und sogenannte angeborene Syndromerkrankungen wie Trisomie 21, bei denen mehrere Organe beeinträchtigt sein können. Insgesamt machen sie etwa zehn Prozent dieser Altersgruppe aus.

Für sogenannte „immungesunde“ Kinder hat die STIKO allerdings keine Impfempfehlung ausgesprochen. Warum? „Einfach deshalb, weil die Daten doch deutlich zeigen, dass der Schutz vor Infektionen und damit letztlich auch der Schutz vor Weitergabe des Virus zeitlich sehr begrenzt und auch nicht sicher ist“, so der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens bei einer Presseveranstaltung des Science Media Center. „Die Größe der Studien war begrenzt, die Datenlage war auch begrenzt“, ergänzt der Kinder- und Jugendarzt Martin Terhardt.

Als sich in den Studien beispielsweise zeigte, dass bei Comirnaty zwei Dosen nicht für eine gute Immunisierung reichen und eine dritte nötig sein könnte, konnten diese nicht alle Kinder erhalten. Das habe die Aussagekraft der Studien abgeschwächt. Hinzu käme, dass hauptsächlich Omikron-Fälle untersucht worden seien, die Impfstoffe aber noch gegen die Ursprungsvariante des SARS-CoV-2-Virus entwickelt worden seien. Zwar seien insgesamt bisher etwa eine Million Kinder in dieser Altersgruppe geimpft worden, so Terhardt, doch es gäbe noch keine Daten aus der Surveillance, also dem Überwachungszeitraum nach der US-Zulassung, darüber, ob es nicht doch zu seltenen, unerwünschten Ereignissen kommt.

Ein Kommentar von Veronika Szentpétery-Kessler

Veronika Szentpétery-Kessler ist Biologin und Redakteurin bei MIT Technology Review. Sie schreibt über Themen aus dem Bereich Medizin, Biologie, Biotech und Chemie.

Nun ist es einerseits verständlich, dass die Stiko auf Nummer sicher gehen will und sich auf ausreichend aussagekräftige Daten stützen möchte. Sie führt auch wieder an, dass Kleinkinder selten schwer erkranken. Auch langanhaltende Folgeprobleme seien seltener als bei älteren Altersgruppen.

Doch es gibt auch Experten, die gerade weil es eben doch schwere Verläufe gibt, auch für gesunde Kleinkinder eine Impfung empfehlen. So sagte etwa der Kinder- und Jugendmediziner Robin Kobbe von Hamburger Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf der Tagesschau: „Die Daten zeigen sehr wohl, dass eine Impfung eine Krankenhausaufnahme und schwere Verläufe verhindern.“ Aus seiner Sicht sollte auch gesunden Kindern eine Impfung zumindest angeboten werden.

Das ist tatsächlich rechtlich auch möglich. „Es gibt keinen juristischen Grund für Ärzte, diesen Impfstoff nicht anzuwenden“, sagt Terhardt. Weil sich aber viele Eltern sehr stark auf die Stiko-Empfehlung verlassen und auch Ärzte sich gelegentlich weigern, ohne Stiko-Empfehlung zu impfen, werden vielleicht nur wenige Kleinkinder tatsächlich geimpft werden. Denn es stellt sich tatsächlich die Frage, ob man nicht ein Hilfsmittel verschenkt, das zumindest zeitweilig wirkt und vor allem gegen schwere Krankheitsverläufe relativ gut schützt. Natürlich sollte man nicht den Eindruck erwecken, dass die Impfung jegliche Erkrankung und die Weitergabe der Krankheitserreger sicher und lange Zeit verhindern kann. Aber darauf kann man bei dem sowieso fälligen Aufklärungsgespräch ja hinweisen.

Gerade angesichts der sich aufbauenden Dreifachwelle aus Grippe-, RSV- und eben Coronawelle könnte es doch Sinn machen, zumindest dem Corona-Anteil bei Kleinkindern so gut es geht vorzubeugen. „Da wäre es schon sinnvoll, zumindest die Corona-bedingten Krankheitsfälle durch Impfungen rauszunehmen und die Gesamtkrankheitslast nach unten zu drücken“, sagt Kindermediziner Kobbe. Und ihre frühere Impfempfehlung für Fünf- bis Elfjährige hatte die Stiko noch genau mit diesem Vorsorgegedanken begründet.

Hinzu kommt: Auch wenn das Risiko für Long Covid bei Kleinkindern laut Stiko geringer ist, ist es eben nicht verschwindend gering oder null. Auch das Risiko von möglichen bleibenden Organschäden, wie sie bei älteren Altersgruppen auftreten, ist vorhanden. Wenn also die Chance besteht, diese zumindest teilweise zu verhindern, wäre es das nicht absolut wert? Zumal man ja auch bei den Impfungen eben auch seltene Nebenwirkungen vermeiden will.

Und was diese Bedenken zu seltenen Impfnebenwirkungen betrifft: Natürlich muss man da besonders bei den Kleinsten ganz genau hinsehen. Aber: In den USA haben in der jüngsten Altersklasse bisher fast anderthalb Millionen Kinder zumindest eine Impfdosis erhalten. Fälle von Herzmuskelentzündungen, wie sie vor allem bei älteren männlichen Jugendlichen nach einer mRNA-Impfung aufgetreten waren, wurden Kobbe zufolge nicht beobachtet.

Auch die Stiko-Entscheidung bei der Neuprüfung der Impfempfehlung für Fünf- bis Elfjährige kann Kobbe nicht nachvollziehen. Hier beließ es die Impfkommission bei ihrer ursprünglichen Empfehlung von nur einer Impfung. Diese fußte einst auf der Annahme, dass die meisten Kinder schon mindestens eine Erkrankung durchgemacht hätten und eine zusätzliche Impfung einen guten Hybridschutz böte.

„Letztlich haben wir aber immer noch einen Anteil von Kindern, die keinen Kontakt hatten und da reicht dann eine Impfung wahrscheinlich nicht aus", so Kobbe. Er würde sich eher auf die existierenden Daten verlassen und den vollen Impfschutz anbieten. Es sei besser, den für einen guten Schutz nötigen mehrfachen Kontakt mit dem Spikeprotein durch die Impfung herzustellen – und nicht durch Infektionen. Bleibt zu hoffen, dass Eltern, die ihre Kleinkinder nach Abwägung aller Faktoren immer noch impfen lassen wollen, ihre Kinderärzte nicht erst davon überzeugen müssen. (vsz [2])


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