Analyse: Die KI braucht ihren iPhone-Moment

Genug der Effekthaschereien – damit KI im Alltag ankommt, muss sie dringend in eine Phase der Konsolidierung eintreten, meint Malte Kirchner.

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(Bild: incrediblephoto / Shutterstock.com)

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Wenn Künstliche Intelligenz jetzt schon dort wäre, wo sie einige ihrer Vorbeter vor einem Jahr sahen, dann wäre diese Analyse schnell geschrieben. Einfach ein paar Ideen und Satzbrocken in den Trichter werfen, Knopf drücken, fertig. Der Thermomix für Texte richtet es schon.

Eine Analyse von Malte Kirchner

Malte Kirchner ist seit 2022 Redakteur bei heise online. Neben der Technik selbst beschäftigt ihn die Frage, wie diese die Gesellschaft verändert. Sein besonderes Augenmerk gilt Neuigkeiten aus dem Hause Apple. Daneben befasst er sich mit Entwicklung und Podcasten.

Stattdessen käme auch im August 2024 aus dem Automaten immer noch das gleiche Mittelmaß an Textqualität, Inspiration und Scharfsinnigkeit heraus. Und ob es in dem Spiel mit den mathematischen Wahrscheinlichkeiten jemals möglich sein wird, einen Top-Text zu generieren, ist mehr als fraglich. Nun ist es mitnichten so, dass der Autor für sich in Anspruch nimmt, allen drei Kriterien im Folgenden gerecht werden zu können. Aber – und das ist der entscheidende Unterschied: Der Mensch hat wenigstens eine Chance. Die KI – und hierbei soll es um die aktuelle generative KI und nicht um Anwendungen in der Medizin und der Industrie gehen – hat gleichbleibend ihre Grenzen.

Und an diesen Begrenzungen wird sich, wenn man die Berichte der vergangenen Monate liest, womöglich so schnell auch nichts ändern. Die Erwartungen an GPT 5 von OpenAI werden bereits gedämpft. Gewagte Gadgets wie der Rabbit R1 oder der AI Pin bleiben weit hinter ihren Erwartungen zurück oder werden – wie im Falle des AI Pin – bereits in Massen zurückgegeben. Es macht sich kollektive Ernüchterung breit, zumindest unter jenen, die sich vom Hype anstecken ließen.

Das Marktforschungsunternehmen Gartner zeichnet Trends in Kurven ein, den so genannten Hype Cycles. Der KI-Hype, da herrscht mehrheitlich Einvernehmen in der Redaktion, hat den Gipfel der überzogenen Erwartungen überschritten und befindet sich in freiem Fall in das Tal der Enttäuschungen.

Die Gründe dafür sind vielfältig: Man musste kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass das hohe Innovationstempo der vergangenen zwei Jahre auf Dauer schwer zu halten sein dürfte. R1 und AI Pin zeigen exemplarisch, wie rasch Unausgegorenes auf den Markt geworfen wurde, nur um den nächsten Fortschritt zu erreichen. Die beiden Versuche für KI-Endpunkte haben es gründlich vermasselt, KI im täglichen Leben salonfähig zu machen. Sie taugen nicht einmal als Machbarkeitsstudie.

Darüber hinaus mangelt es zunehmend an frischen, qualitativ hochwertigen Daten zum Trainieren der großen Sprachmodelle. Die Menschheit hat der KI schlichtweg bald nichts mehr zu bieten. Anders ist es kaum zu erklären, dass selbst in den Klärbecken YouTubes nach Frischwasser gesucht wird. Wenn überdies zunehmend KI-Generiertes in den Schlund der LLMs geworfen wird, weil es schlichtweg nicht als solches zu identifizieren ist, dann sind Ängste angebracht, dass selbst das Vorhandene schlechter wird. Überdies muss noch befürchtet werden, dass KI-Modelle sogar kollabieren könnten. Alleine die Unsicherheit darüber, ob das passieren könnte und ob Gegenmaßnahmen erforderlich sind, wecken Zweifel an der Zuverlässigkeit der Künstlichen Intelligenz. Der Mangel an geeigneten KI-Chips scheint dagegen ein geradezu einfach lösbares Problem zu sein.

Das größte Problem freilich ist aber, dass KI trotz des ganzen Hypes und Tempos bislang kaum im Alltag der Menschen angekommen ist. Zumindest nicht in einem Maße, dass es die immensen Investitionen und hohen Börsenwerte rechtfertigt, die einen so wie die Start-up-Chefs glauben machen, dass KI bald überall sein wird.

Zweifellos hat sich die Künstliche Intelligenz längst Räume erobert. Programmierer bekommen zur Lösung von Problemen schneller passende Antworten als bei der Suche im Web – das wird sicher auch so bleiben. Und Chatbots von Support-Systemen sind teilweise etwas weniger ätzend, als sie es vorher waren. Auch schwören einige auf die Fähigkeiten, Texte schnell zusammenzufassen oder auf die klügeren Übersetzungsdienste.

In weitaus mehr Fällen ist KI aber weiterhin Potenzialtechnologie. So wie sich die Fähigkeiten des UMTS-Netzes erst auszahlten, als die Masse der Menschen begann, Smartphones zu nutzen, wartet auch die KI noch auf ihren iPhone-Moment. Und da kann sich Sam Altman noch so sehr beeilen, mit OpenAI neue Technik herauszuhauen: Solange Unternehmen sich schwertun, Aufgaben zu erkennen, die mit KI effizienter erledigt werden können und Mut sowie die nötige Überzeugung fehlen, das auch in die Tat umsetzen, kommt der KI-Zug nur im Schleichtempo von der Stelle.

Dazu passt, dass selbst der iPhone-Hersteller noch an seiner passenden Antwort auf den Hype feilt: Die Apple Intelligence, die wie das iPhone einst einiges im Vorhandenen anders machen soll, könnte mit ihren Schwerpunkten auf Datenschutz und lokale Verarbeitung von Daten den Pfad der Erleuchtung einleiten, den Gartner bei jedem Hype-Cycle sieht und die KI zum Plateau der Produktivität führen. Es könnte aber genauso gut eine Sackgasse sein. Bezeichnend ist freilich, dass Apple bislang einen ziemlich konservativen Ansatz erkennen lässt, KI in seine Geräte zu implementieren. Vielleicht ist Unaufgeregtheit der Schlüssel, KI im Alltag zu verankern.

Die LLMs brauchen dringend eine Phase der Konsolidierung. Anstatt die nächste wilde Film-Generierungs-Sau durch den Ort zu jagen, wäre es wichtiger, Unsicherheiten zu beseitigen und zu liefern, was bis hierhin bereits versprochen wurde. Für den Produktiveinsatz im geschäftlichen Umfeld ist auch die Frage entscheidend, ob KI wirklich zu einer Kostenersparnis führt – oder ob der menschliche Betreuungsaufwand wegen Halluzinationen und Ungenauigkeiten so hoch ist, dass der Arbeitgeber am Ende doppelt zahlt: für den Arbeitnehmer und für die Token der KI. Erst wenn solche Vorbehalte ausgeräumt sind, wächst vielleicht auch das Vertrauen, dass KI ein solides Fundament ist, auf dem sich etwas aufbauen lässt.

(mki)