Chat-KI: Der Hype wird langsam dumm. Können wir das nicht überspringen?

Eine falsche Antwort von Googles Text-KI führt zu einem Milliardenverlust. Diesen dummen Teil des Hypes sollten wir überspringen, findet Marvin Strathmann.

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(Bild: file404/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
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Oh nein, Googles Text-KI Bard hat eine falsche Antwort gegeben. Schlimm. Da zweifeln gleich Experten, die Aktie sinkt, der Stammtisch ist empört und der kostenlose Obstkorb bei Google wird gestrichen. Mindestens! Knapp 100 Milliarden US-Dollar hat Google dieser Fehler an Marktwert gekostet, das ist so viel wert wie ein Sondervermögen für die Bundeswehr oder dreimal das Saarland.

Ein Kommentar von Marvin Strathmann

Marvin Strathmann arbeitet als Redakteur für heise online. Zuvor hat er für Chip Online, Focus Online, Zeit Online und die Süddeutsche Zeitung über Digitales geschrieben.

Chat-KIs sind gerade ein überdrehter Hype. Manche Leute halten sie offenbar für absolute Antwortmaschinen, die nur die reine Wahrheit zurückgeben. Dabei steckt dahinter nur Statistik und Mustererkennung, basierend auf riesigen Datensätzen: Hey dieses Wort passt in diesem Kontext ganz gut zu diesem anderen Wort, die packe ich mal zusammen! Das ergibt zum Teil faszinieren Ergebnisse, aber eben nicht unfehlbare Antworten.

Die Aufregung um Bard ist schon deshalb lächerlich, weil man sich ja nur die Konkurrenz anschauen muss, etwa den Klassenprimus ChatGPT. Fragt man die KI, wo die Hommingberger Gepardenforelle lebt und ob man sie in einem Aquarium halten kann, dann plappert die KI munter drauflos: "Die Hommingberger Gepardenforelle ist eine Fischart, die ursprünglich im Hommingberger Gebirgsbach in Deutschland lebt. Es handelt sich hierbei um eine seltene und gefährdete Art, die in ihrem natürlichen Lebensraum besonderen Schutz genießt. Daher ist es wichtig, diese Fische in ihrem natürlichen Lebensraum zu erhalten und zu schützen, anstatt sie in Aquarien zu halten."

Klingt doch plausibel, oder? Kann man gleich ins Referat für die Biostunde packen? Nur eine Kleinigkeit ist hier falsch: Es gibt keine Hommingberger Gepardenforelle. Die c’t hat sich den Fisch 2005 als Suchbegriff für einen Seo-Wettbewerb ausgedacht (Die Idee zum ChatGPT-Prompt stammt übrigens aus dem heise-Forum).

Bei anderen Anfragen zur falschen Forelle antwortet die KI korrekt: "Die Hommingberger Gepardenforelle ist eine fiktive Art und existiert nicht in der Realität." Und manchmal dreht ChatGPT auch komplett frei und behauptet, die Hommingberger Gepardenforelle wäre ein Sprudelwasser, das als Alternative zu Softdrinks gerne von Erwachsenen und Kindern genossen wird.

KIs wie ChatGPT, Bard oder der Co-Pilot in Edge werden noch viele Fehler machen; plausibel klingen und voller Überzeugung Bullshit labern (Mansplaing as a service nannte es mal jemand). Das ist okay, Technik ist nicht perfekt und wird es auch nie sein – denn am Ende haben immer Menschen diese Technik erstellt. Selbst Wikipedia liegt manchmal falsch und auch der erste Link bei Google enthält nicht die gesamte Wahrheit. Der Nutzer muss nur wissen, wie er damit umgeht.

Das Nervige ist dieser irrationale Hype. Die KI wird Journalisten arbeitslos machen, Suchmaschinen sind sowieso tot, Studenten werden nur noch KI-Texte abgeben, Professoren sie mit KI korrigieren und so weiter und so fort. Diese menschlichen Hottakes sind schlimmer als jede seelenlose Quatsch-Antwort von ChatGPT. Aber in dieser Hype-Welt ist natürlich eine falsche Antwort von Googles Bard gleich ein Grund, die Aktie in den Keller zu dumpen.

Dabei ist es nicht hilfreich, dass nach dem Platzen vieler Crypto-Scams nun die ganzen Blockchain- und Web3-Bullshiteure das Buzzword KI für sich entdeckt haben. Weil die Pyramiden zusammengebrochen sind, muss jetzt die Künstliche Intelligenz als goldenes Kalb dienen. Irgendein Investor wird schon in das Konzept ChatGPT-for-X investieren – schließlich hat die KI mit einer guten Antwort bereits mehr Nutzen als 14 Jahre Bitcoin zusammen.

Der Hype um ChatGPT und die ganzen Nachzügler erinnert an die Aufregung um Sprachassistenten. Alexa, Siri und Google Assisstant sollten auch mal die Welt verändern – Menschen vergessen in der Zukunft, wie man mit anderen Menschen spricht! Dieser pivot to voice ist schließlich nicht sehr umfangreich ausgefallen. Aber Alexa und die anderen Assistenten haben ihre Nische und ihren Nutzen gefunden.

Ähnliches wird vermutlich auch mit den KI-Textgeneratoren passieren. Sie sind faszinierend und offensichtlich nützlich. Menschen werden ihre Schwächen erkennen und lernen, sie sinnvoll einzusetzen. Unternehmen werden ihre KI-Produkte verbessern und mit der Konkurrenz wetteifern – hey, plötzlich reden Leute über Bing! Aber können wir diesen aktuellen Hype, bei dem eine falsche Antwort zu einem Milliardenverlust führt, nicht einfach überspringen? (str)