Sollten wir Apple Daten über unsere psychische Gesundheit anvertrauen?
Unter dem Codenamen Quartz entwickelt Apple angeblich neue Gesundheitsfunktionen für iPhone & Co. Der KI-Coach kommt zur richtigen Zeit, meint Malte Kirchner.
Nein, ich möchte nicht atmen! Als Apple vor einigen Jahren in seine Uhr eine Achtsamkeits-App integrierte, erinnerte mich die Apple Watch fortan mindestens einmal am Tag daran, dass ich doch mal eine Minute durchatmen sollte. Ein-zweimal habe ich das ausprobiert, aber danach merkte ich, dass es mir persönlich nichts bringt. Fortan führte die ständige Erinnerung eher zu genervter Schnappatmung. Also schaltete ich die Benachrichtigungen der App ab. Seither ist Ruhe und ich habe den Eindruck, dass außer mir noch einige mehr darauf verzichten, mit Apple gemeinsam zu atmen.
Das Erlebnis mit der Achtsamkeits-App ist in meinen Augen ein schönes Beispiel dafür, warum ich immer noch daran glaube, dass Menschen selbstbestimmt entscheiden können und sollten, welche Funktionen von Geräten sie nutzen und welche nicht – und dass technischer Fortschritt nicht von vornherein zu bevormundend begleitet werden sollte. Neue Gerüchte besagen, dass Apple unter dem Codenamen Quartz in iOS 17 die Health-App dahingehend erweitern will, einen KI-Trainer zu integrieren. Gepaart mit neuen Funktionen, die die mentale Gesundheit des Nutzers im Auge behalten, soll dieser Coach Tipps geben. Und obwohl wir hier über eine aktuell noch reine Spekulation reden, melden sich bereits die ersten Bedenkenträger zu Wort, die große Sorge haben, dass die KI die Menschen negativ beeinflusst, ja womöglich erst in den Wahnsinn treibt.
Digital Detox – mit digitalen Mitteln
Natürlich ist es je nach Charakter und Temperament nicht auszuschließen, dass die zunehmende Bevormundung durch Geräte bei Menschen auch zu negativen Effekten führt. Bestes Beispiel sind die mannigfaltigen Call-to-Action-Aufforderungen, mit denen einen soziale Netzwerke und Apps ständig in sich hineinzuziehen versuchen. Nicht wenige Menschen, besonders junge, haben astronomisch hohe Werte in der Bildschirmzeit. Wir reden nicht ohne Grund über Digital Detox, die digitale Entgiftung. Und das Kuriose ist, dass Tech-Konzerne wie Apple und Google sogar noch Tools dafür bereitstellen – natürlich digital, in den Smartphones. Böse Zungen behaupten, das sei so, als wenn ein Drogendealer vorbeugt, dass seine Kunden keine Überdosis bekommen, um sie weiterhin als Kunden zu behalten. Ich möchte es eher so sehen, dass auch die Tech-Konzerne nicht vergessen haben, dass Menschen selbstbestimmt agieren können und eben plötzlich auch mal die Prioritäten im Leben gegen ihr einst geliebtes Smartphone neu ordnen könnten.
Die Bemühungen, das Smartphone zum Berater im Alltag weiterzuentwickeln, sind sicherlich ein Schritt in die Richtung, es noch unverzichtbarer zu machen. Health-AI und neue Funktionen für die mentale Gesundheit würden aber zuerst einmal das wachsende Bedürfnis vieler Menschen befriedigen, im Zeitalter der Selbstvermessung noch mehr Daten über sich zu gewinnen, sich selbst zu optimieren.
Probleme frühzeitig entdecken
Auf den Geschmack gebracht wurden sie durch die Anfänge dieser Bewegung, durch die Pulsmesser und die EKG-Uhren, die manchen sogar auf ein ernsthaftes kardiologisches Problem aufmerksam machten, das wie ein Schwelbrand in ihnen schlummerte. Oder nehmen wir die Fitnessringe: Sie schaffen bei vielen Menschen – mich selbst eingeschlossen – erst ein Bewusstsein dafür und durch ihre Gamification mit dem Schließen der Ringe eine Motivation, mehr für sich selbst zu tun.
Genau dieses Potenzial sehe ich auch im Bereich mentale Gesundheit. Und mehr noch: Vermutlich gibt es eine hohe Dunkelziffer von Menschen, die gar nicht merken, wie sie in ein mögliches psychisches Problem hineinrutschen. Die angeblich geplanten neuen Funktionen kämen sicher nicht rein zufällig aus einer Zeit heraus, in der die Menschen mit den Covid-Lockdowns vielfach in eine ungewollte Isolation gerieten, die etwas mit ihnen machte. Ich sehe in sozialen Netzwerken, dass einige besonnene Zeitgenossen dünnhäutiger geworden sind, aggressiver im Ton. Und wer weiß, was das Ganze mit einem selbst gemacht hat.
Ob es eine Geringschätzung des Menschen ist, ihn dann einer KI auszuliefern? Das ist eine gute, berechtigte Frage. Doch andererseits: Ist es besser, die Menschen einfach sich selbst zu überlassen und ihnen dann lieber gar keine Hilfe zur Seite zu stellen?
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Eine Aufforderung an die Datenschützer
Wichtig ist aus meiner Sicht, dass im Falle der mentalen Gesundheit früh genug ein Mensch mit ins Spiel kommt, wenn das System Probleme erkennt. Und ja, der "Elephant in the room" ist natürlich der Datenschutz. Gesundheitsdaten haben noch einmal eine ganz andere Güte, als die Frage, welche Socken ich bevorzugt kaufe. Schön, wenn ich einem Tech-Unternehmen in der Frage vertraue, aber das Erstarken der Gesundheitsfunktionen sollte auch als Aufforderung verstanden werden, dass Aufsichtsbehörden sehr genau hinschauen und ihnen Gesetze an die Hand gegeben werden, mit denen sie den Schutz auch wirkungsvoll durchsetzen können. Es wird jetzt wichtiger denn je.
Und am Ende sollte es natürlich jedem selbst überlassen bleiben, ob der KI-Coach beim Gebrauch eines Produkts wie der Apple Watch oder dem iPhone ein Auge auf einen wirft. So wie bei der Achtsamkeits-App. Wenn das gewährleistet ist, sollten wir erstmal abwarten, was auf der Entwicklerkonferenz WWDC im Juni wirklich kommt und bis dahin einfach mal durchatmen – funktioniert übrigens auch prima ohne App!
(mki)