KI Navigator #4: Phönix aus der Asche – KI braucht langfristige Perspektiven

Oft wird in KI-Projekten gedacht. Die damit entstehenden Limitierungen behindern das Potenzial von KI in der Praxis, finden Konstantin Hopf und Benjamin Linnik.

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(Bild: CoreDESIGN/Shutterstock)

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  • Dr. Konstantin Hopf
  • Dr. Benjamin Linnik
Inhaltsverzeichnis

Willkommen zur vierten Ausgabe der KI-Navigator-Kolumne der DOAG KI Community!

Kolumne KI-Navigator: Konstantin Hopf

Dr. Konstantin Hopf leitet die Data-Analytics-Forschungsgruppe am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik, insb. Energieeffiziente Systeme der Universität Bamberg. In industrienahen Forschungsprojekten entwickelt er betriebliche Anwendungen maschineller Lernverfahren. Er erforscht zudem Konzepte für das strategische Management von KI-Initiativen und Data-Science-Teams. Seine Forschungsergebnisse erscheinen in führenden Zeitschriften und Tagungsbänden der Wirtschaftsinformatik, aber auch in der Fach- und Tagespresse.

Kolumne KI-Navigator - Benjamin Linnik

Dr. Benjamin Linnik, promoviert in Kernphysik, vereint Expertise in Data Science, Software Engineering und IT-Beratung. Als Lead DevSecOps Engineer hat er umfassende Erfahrungen in Cloud-basierten datengetriebenen Projekten gesammelt. Sein Engagement zeigt sich auch in der Leitung des Data Science MeetUps in Nürnberg. Privat entspannt er gerne mit seiner Familie, umgeben von zwei Katzen und automatisiert gerne sein Smart-Home.

Der Blick auf KI offenbart einen Gegensatz zwischen Erfolgsmeldungen über technische Errungenschaften und gescheiterten Projekte in der Praxis. Auf der einen Seite gibt es Berichte über KI-Tools, die lästige Arbeiten übernehmen, komplexe Zusammenhänge in Daten erkennen, neue Behandlungsmethoden in der Medizin ermöglichen und helfen, erneuerbare Energien besser ins Stromnetz zu integrieren. Doch die betriebliche Praxis zeigt viele KI-Projekte, die scheitern: Behörden-Chatbots raten zu illegalen Aktivitäten, Bildgeneratoren erzeugen rassistische Darstellungen, mangelhafte Gesichtserkennung führt zu falschen Verhaftungen, Ernährungs-Apps empfehlen giftige Rezepte und Roboter sind kaum in der Lage, einen IKEA-Stuhl aufzubauen. Es scheint, als ob die reale Welt zu komplex ist, um sie einer KI anzuvertrauen.

Um aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, sollten wir den kurzfristigen Fokus auf KI-Projekte hinter uns lassen und stattdessen nachhaltige KI-Initiativen fördern. Diese Initiativen umfassen den gesamten Lebenszyklus von KI-Systemen und erlauben Visionen hin zu lernenden Systemen, statt sich von einem gelernten Modell zum nächsten zu hangeln.

Eine Projektsicht steht einem solchen Vorhaben oft im Weg, denn die Steuerung der Projekte erfolgt nach dem magischen Dreieck, also dem Ausbalancieren von Projektumfang, Kosten und Zeitplan. Wenn das Geld oder die Zeit nicht reicht, müssen die Teams Abstriche beim Projektumfang machen. Bei Softwareprojekten können beispielsweise Funktionen nicht oder später ausgeliefert werden. Dieses Ausbalancieren des Dreiecks ist bei KI-Anwendungen deutlich schwieriger, da die umfangreichen Modelle oft erst am Ende ein Ergebnis produzieren, beispielsweise Krebszellen auf einem Röntgenbild erkennen. Dadurch sind die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit stark eingeschränkt.

Dass Unternehmen KI in unterschiedlichen Bereichen einsetzen, ist ein weiterer Grund, langfristig auf die Anwendungen zu schauen. Zwar kann KI einzelne Aufgaben oder ganze Geschäftsmodelle wie die Bestellung im Onlineshop automatisieren, aber diese Einsatzfelder werden vermutlich mittelfristig die Ausnahme bleiben. Häufiger wird es Assistenzsysteme geben, die KI-Komponenten haben und menschliche Entscheider unterstützen oder unliebsame Aufgaben übernehmen, indem sie beispielsweise Hinweise auf Fehler geben oder Handlungsoptionen vorschlagen.

KI in der Praxis erleben: KI Navigator

(Bild: DOAG)

Jenseits der Erfahrungen im eigenen Unternehmen und der Branchenexpertise der Data Scientist ist es hilfreich aus Best Practices anderer Unternehmen und Anwendungen zu lernen. Hierfür bietet sich die KI-Navigator-Konferenz an, die am 20. und 21. November 2024 in Nürnberg stattfindet.

Die von DOAG, Heise Medien und de’ge’pol ausgerichtete Veranstaltung ist die zentrale Plattform für Entscheidungsträger aus Wirtschaft, Technik und Gesellschaft, um sich über die praktischen Anwendungen und Herausforderungen der KI in Deutschland auszutauschen. In dieser Konferenz steht der praktische Nutzen im Vordergrund, wobei die Teilnehmenden direkte Einblicke in erfolgreiche Implementierungen und Optimierungen von KI-Systemen erhalten.

Zusätzlich fördert die KI-Navigator-Konferenz den Austausch von Best Practices und ermöglicht das Knüpfen von strategischen Partnerschaften, um die dynamischen Entwicklungen in der KI-Branche nachzuvollziehen und innovative Lösungen zu erkunden, die bereits heute die Grenzen des Machbaren in der Technologie, Wirtschaft und Gesellschaft verschieben.

Darüber hinaus – und das wird oft übersehen – können Verfahren des maschinellen Lernens neuartige Einblicke in Daten liefern und somit Wissen generieren. Während sich der Mehrwert automatischer, intelligenter Agenten leicht messen lässt, sind die Vorteile von KI-basierten Assistenzsystemen oder rein wissensgenerierenden Systemen nicht sofort ersichtlich. Langfristig kann aber eine clever getroffene strategische Entscheidung viel wertvoller sein als ein beeindruckender Roboter im Kundenservice.

Beim langfristigen Blick auf KI-Anwendungen zeigt sich, dass sie ihre Wertbeiträge in Unternehmen über die Zeit ändern können: Manche Projekte starten sehr ambitioniert und scheitern an den Ansprüchen, wenn beispielsweise Vorhersagen mit den gegebenen Daten letztlich nicht gut genug sind. Andere Projekte starten klein, und man stellt nach einer Weile fest, dass die Analysen Routineaufgaben unterstützen und später – nach ausgiebigem Test – vielleicht vollständig automatisieren können. Diesen agilen Wechsel der betrieblichen Wertschöpfung bei KI-Projekten hat kürzlich eine empirische wissenschaftliche Studie aufgezeigt und herausgearbeitet, unter welchen Bedingungen ein solcher Wechsel stattfinden kann.

Was bedeutet diese Wandlungsmöglichkeit von KI-Anwendungen für die Entwickler und Entscheiderinnen? Die dynamische Natur von KI-Projekten erfordert eine kontinuierliche Anpassung und das Einbeziehen von Feedback-Loops, um sicherzustellen, dass die Systeme effektiv bleiben und den tatsächlichen Anforderungen des Unternehmens entsprechen.

Vermeintlich gescheiterte Projekte können wie Phönix aus der Asche durchaus Wert im Unternehmen schaffen, wenn die Beteiligten Erfahrungen daraus weitergegeben und versuchen, Wissen aus den KI-Modellen abzuleiten. Wenn eine angedachte Automatisierung nicht möglich ist, bietet sich eventuell stattdessen ein Assistenzsystem an, das Prozesse beschleunigt oder die Zufriedenheit der Belegschaft steigert.

Aber auch erfolgreiche Projekte können plötzlich vor dem Aus stehen, wenn sich beispielsweise rechtliche Rahmenbedingungen ändern wie mit dem EU AI Act, oder die Gesellschaft sich verändert wie beim Verbraucherverhalten während der Covid-19-Pandemie.

In solchen Szenarien müssen Unternehmen nicht nur schnell reagieren, sondern auch bereit sein, ihre Ansätze zu überdenken und die Mechanismen der Wertschöpfung entsprechend anzupassen. Das kann bedeuten, dass sie ML-Modelle neu kalibrieren müssen oder sie eine Verschiebung von vollautomatisierten Prozessen zurück zu menschlichen Entscheidungen vornehmen, während sie neue, angepasste Modelle entwickeln und testen.

Die Praxis des Nachjustierens und die Integration von Feedback-Loops helfen Unternehmen nicht nur, Krisen zu bewältigen, sondern auch, ihre KI-Systeme kontinuierlich zu verbessern und darauf auszulegen, dass sie auf lange Sicht wertvolle Beiträge zum Unternehmenserfolg leisten. KI-Initiativen profitieren von einem agilen Mindset in Unternehmen, das Anpassungen an sich stetig wandelnde Anforderungen und Umgebungen ermöglicht. Dieses Mindset fördert schnelle Iterationen und kontinuierliche Verbesserungen, die essenziell sind, um KI-Systeme optimal zu nutzen und zu kalibrieren. Das ist in schnelllebigen Feldern wie der künstlichen Intelligenz besonders wichtig.

Bei der Planung und Durchführung von KI-Initiativen stehen zunächst Manager oder Teamleiter im Fokus. Doch auch Data Scientists und verwandte Berufsgruppen wie Data Engineers oder ML-Spezialisten spielen eine zentrale Rolle beim Management von KI-Initiativen. Sie agieren als Brückenbauer zwischen technischen Teams und der Geschäftsführung.

Ihre Fähigkeit, komplexe Datenmuster zu interpretieren und in geschäftlich nutzbare Erkenntnisse zu übersetzen, ist entscheidend, um den Mehrwert von KI zu maximieren. Ihre Einbindung in alle Phasen von KI-Initiativen – von der Datenbeschaffung bis zur Modellimplementierung und -optimierung hin zum Monitoring – macht sie zu unverzichtbaren Akteuren, um KI effektiv im Unternehmen zu nutzen.

Unternehmen müssen KI langfristig angehen, um den vollen Nutzen daraus zu generieren. Einzelne Projekte können scheitern, die technische Entwicklung kann sie überholen. Ein langfristiger Ansatz kombiniert mit agilen Methoden ermöglicht es, das Vorgehen anzupassen und so nicht nur festgelegte Ziele zu erreichen, sondern von allen Aspekten der KI zu profitieren.

(rme)