Kommentar: Apple Vision Pro ist ein ganz normales VR-Headset

Apple hat es mal wieder geschafft: Alle sind ins Realitätsverzerrungsfeld getappt. Denn: Die Vision Pro macht das Gleiche wie die Konkurrenz von Meta und Co.

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Von
  • Jan-Keno Janssen

Apple kann Marketing, das muss man wirklich anerkennen. Mit ihren stromlinienförmigen Präsentationen schaffen sie es, sogar einigermaßen erfahrene Tech-Journalisten einzulullen – also zumindest bei mir hat das geklappt, ich habe kurzzeitig wirklich geglaubt: Die Vision Pro macht futuristisches "Spatial Computing"! Und auf gar keinen Fall schnödes "Virtual Reality"! Die Erwähnung von "Virtual Reality" und "VR" war offenbar streng verboten, die Begriffe fielen kein einziges Mal auf der WWDC-Präsention des Apple-Headsets. Nun sind ein paar mehr Details über das Gerät und dessen Software bekannt; und inzwischen ist klar: Die Vision Pro unterscheidet sich in ihrer grundlegenden Funktionsweise gar nicht von der VR-Headset-Konkurrenz.

Ein Kommentar von Jan-Keno Janssen

Jan-Keno Janssen schreibt und spricht seit 2007 über Technik bei c't und heise online, seit 2016 als leitender Redakteur im Ressort Internet & Mobiles und seit 2022 für den YouTube-Kanal c't 3003. Er schraubt schon seit frühester Kindheit an Computern herum. Bei heise online und c't (3003) beschäftigt er sich vor allem mit Virtual Reality, Datenbrillen, KI und Gadgets.

Das Headset zeigt grundsätzlich digitale, vom internen Rechner verarbeitete Bilder an. Das können komplett künstliche Welten sein, auf Wunsch lässt sich aber auch die von den außen angebrachten Kameras erfasste Umgebung anzeigen. Die "echte" Umgebung kann man mit "unechten" Elementen anreichern, also zum Beispiel Browserfenstern, virtuellen Fernsehschirmen oder einfach beliebigen 3D-Objekten.

All das ging schon mit der 2020 erschienenen Meta Quest 2, damals noch unter dem Namen "Oculus Quest 2". Zwar war das von den Kameras erfasste Bild der Umgebung ("Passthrough") hier noch schwarz-weiß, das 2022 erschienene Nachfolge-Headset Quest Pro beherrscht jedoch farbiges Passthrough, ebenso wie die frisch angekündigte Quest 3. Auch andere Hersteller wie HTC Vive oder Varjo bieten Headsets mit der Technik an.

Das Software-Angebot für VR-Headsets umfasst größtenteils voll-immersive VR-Spiele, es gibt aber etliche Apps, die exakt das machen, was Apple mit der Vision Pro vorgestellt hat: Virtuelle Monitore mit Desktop-Fenstern um sich selbst herum anordnen, um damit zu arbeiten, unter anderem Horizon Workrooms, vSpatial, Virtual Desktop und Immersed. Sogar Apples (tatsächlich sehr coolen) Drehknopf, mit dem man stufenlos die angezeigte Intensität von virtueller und realer Umgebung einstellen kann, hatte Meta schon vor Jahren eingebaut, aber halt etwas uncooler als grafischen Schieberegler (siehe unten).

Ausschnitt Meta-Quest-2-Demo-Video von 2020

"Echte" VR-Software gab es auf der Apple-Präsentation nicht zu sehen, inzwischen ist aber klar: Natürlich wird es diese auch auf dem Headset geben (im Apple-Sprech heißt das aber nicht "VR", sondern "fully immersive").

Zum Beispiel wurde die Umsetzung von "Rec Room" inzwischen offiziell bestätigt; zumindest das App-Icon der VR-Software war auch schon in der Präsentation zu sehen. Rec Room ist ein sehr populäres Multiplayer-Onlinespiel, in dem man echte Menschen als Avatar trifft, gemeinsam Minigames spielt oder einfach plaudert.

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Außerdem wurde bestätigt, dass die 3D-Entwicklungsumgebung Unity die Vision Pro unterstützen wird. Der Löwenanteil der vorhandenen VR-Spiele und anderer VR-Software wurde in Unity gebaut; das bedeutet also, dass Entwicklungsstudios mit wenig Aufwand eine Vision-Pro-Version ihrer Produkte veröffentlichen können. Allerdings gilt das mit dem wenigen Aufwand nur, wenn die Software nicht voll auf Handcontroller setzt – denn die gibt es ja bei Apple (noch) nicht. Man müsste also die Steuerung von Handcontroller in Richtung Handgesten umbauen. Es gibt aber bereits heute eine ganze Reihe Programme, die ausschließlich per Hand steuerbar sind. (Schon die Quest 1 von 2019 unterstützt optional die Steuerung mit Handbewegung.) Ob Apple die Programme allerdings im Appstore zulässt, ist noch unklar – wenn ja, würde ich prognostizieren, dass es zum Start der Vision Pro mehr klassische VR-Software von unabhängigen Studios geben wird als "Spatial Computing"-Software.

Die These, dass es sich bei der Vision Pro letztendlich um ein konventionelles VR-Headset mit Passthrough-Technik handelt, soll übrigens nicht Apples technische Leistung schmälern: Natürlich ist das Gerät eine High-Tech-Meisterleistung. Auch wenn ich die Vision Pro noch nicht auf dem Kopf hatte, gehe ich wegen der technischen Daten davon aus, dass die Bildwirkung deutlich (deutlich!) besser und geschmeidiger ist als beispielsweise bei der Meta Quest Pro. Und dass Apple die Software so auf Hochglanz poliert hat, dass die Interaktion mit virtuellen Objekten per Handbewegung mehr Spaß macht als bei bisherigen Headsets. Aber dennoch: Das 3500-Dollar-Gerät ist und bleibt ein VR-Headset mit Passthrough-Technik; nur hat Apple es mit Marketing-Zauberei geschafft, das Produkt auch Leuten schmackhaft zu machen, die VR bislang nicht mal mit der Kneifzange anfassen wollten. Ein cleverer Schachzug – der sicherlich einen positiven Einfluss auf die Akzeptanz von Display-Headsets haben wird.

(jkj)