Kommentar: Digitalpolitik nach dem Keiner für Alle-Prinzip

Die Ampel-Koalition ist angetreten, um die Digitalpolitik voranzubringen. Doch die neue, als Entwurf vorliegende Digitalstrategie geht nicht weit genug.

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(Bild: metamorworks / Shutterstock.com)

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Der Entwurf zur künftigen Digitalpolitik ist nur ein Arbeitsstand. Aber einer, der befürchten lässt, wie es mit der Digitalpolitik in dieser Legislatur weitergehen könnte: Der Arbeitsmodus ist anders, ansonsten bleibt alles beim Alten. Keiner will die Verantwortung wirklich übernehmen.

Mal sollte die Digitalpolitik von einer Troika, dann vom Kanzleramt vorangebracht werden. Mal hießen die Vorhabenpläne Digitale Agenda, mal Umsetzungsstrategie, mal Digitalstrategie. Vieles war stets gut gemeint, doch am Ende kam kaum etwas wirklich voran.

Ein Kommentar von Falk Steiner

Falk Steiner ist Journalist in Berlin. Er ist als Autor für heise online, Tageszeitungen, Fachnewsletter sowie Magazine tätig und berichtet unter anderem über die Digitalpolitik im Bund und der EU.

Die Ampelminister haben die ersten Monate in der Digitalpolitik vor allem mit sandkastenartigen Förmchendiskussionen um fachliche Zuständigkeiten, Mitspracherechte und Mitarbeiter verbracht. Von Fortschritt, wie er der Anspruch der Ampel sein soll, ist bislang wenig zu sehen. Die Digitalstrategie sollte eigentlich etwas Ordnung in diesen Teil des Kabinetts bringen, Prozesse und Vorhaben sortieren und damit auch steuern.

Die einzelnen Ministerien sollten erklären, welche Schlüsselprojekte sie wie angehen. Dabei sollte nicht das Geld im Mittelpunkt stehen – sondern der Nutzen: Realistische Digitalprojekte in dieser Legislatur, die bei den Nutzern ankommen.

Im Entwurf liest sich das dann geradezu putzig: Eine wilde Mischung aus Beamtendeutsch und dem aktuellen Cyber-Bullshitbingo. Das ist wirklich eine zentrale Herausforderung für Ministeriale und Ministerien: Sie sollen für Gesetze und Vorhaben ministerial sein, gleichzeitig aber das Land irgendwie agil voranbringen. Und sie sollen auch noch eine relativ konkrete Idee davon haben, was das praktisch bedeuten würde und woran ein Erfolg 2025 zu messen wäre.

Was im Entwurf steht, wird dem nur teilweise gerecht. Viele Projekte sind alte Bekannte. Breitband- und Mobilfunkausbau, die Einführung einer wirklich nutzbaren elektronischen Identitätsnachweis-Lösung, dass Daten besser nutzbar werden. Bloß hat das alles bis heute in der Praxis keine Relevanz. Auch die Großprojekte des Gesundheitsministeriums sind eher Pain- als Killerapplikationen: Seit Ewigkeiten wird echte Nutzbarkeit bei gleichzeitiger Sicherheit der elektronischen Patientenakte gefordert, konzipiert, projektiert.

Nur wenige der genannten Projekte sind offensichtlicher Unfug. Die meisten aber sind digitalpolitische Schlafwandler, die von einer Legislatur zur nächsten weiter verwaltet werden. Der Entwurf der Digitalstrategie kann bislang nicht vermitteln, warum das jetzt anders werden sollte.

Etwas Hoffnung machen einzelne Vorhaben. Dass Building Information Modeling (BIM) etwa besonderer Stellenwert eingeräumt wird. Auch der Stellenwert der Standardisierungspolitik, der deutlich erhöht werden soll, ist in seinen praktischen Auswirkungen kaum zu unterschätzen, wenn man auch die politische Kraft von Standards und Normen berücksichtigt. Es könnte also noch werden.

Was bislang allerdings komplett fehlt: eine digitalpolitische Strategie. Viele der Projekte stehen in Zusammenhang mit anstehender europäischer oder deutscher Gesetzgebung. Doch einen politischen Rahmen, einen größeren Zusammenhang, zeigt dieser Zwischenstand noch nicht auf. Nicht einmal die Koordination der Projekte, die Querschnittsaufgaben und der regulatorische Handlungsbedarf sind klar umrissen.

"Fortschrittskoalition" lautete die Selbstbeschreibung von SPD, Grünen und FDP als sie im Dezember antrat. Es wäre also ausdrücklich Aufgabe der gesamten Bundesregierung, zu liefern. Der für Digitalstrategie zuständige Volker Wissing von jener Partei, der in Umfragen regelmäßig Digitalkompetenz zugeschrieben wird, wird es nicht allein richten können. Es wäre auch die Aufgabe eines Bundeskanzlers Olaf Scholz. Der hat die Kompetenzen im Kanzleramt genau dafür gestrichen und dem digitalpolitisch ebenfalls unbeschriebenen Wissing die Verantwortung übergeworfen. Wenn aus den 30 Seiten Digitalstrategie-Entwurf mit vielen Sprechblasen ein digitales Aufbruchssignal ausgehen soll, haben alle Ministerien noch viel zu tun – ansonsten würde sich die Blamage vorangegangener Regierungen nahtlos fortsetzen.

(olb)