zurück zum Artikel

Kommentar: Forschung zum Solar-Geoengineering muss weitergehen

Holly Jean Buck
Ruhe, Sonne Sommer

(Bild: PeterDargatz, Public Domain (Creative Commons CC0))

Es ist der falsche Zeitpunkt, die Idee der Sonnenlicht-Reflektierung zur Bekämpfung des Klimawandels aufzugeben, meint Holly Jean Buck.

Nur 100 von 26.000 Geowissenschaftlern wollten im vergangenen Dezember bei der Tagung der "American Geophysical Union" (AGU) in New Orleans über die stagnierende Forschung zum Solar-Geoengineering sprechen. Das ist die Idee, einen Teil des einfallenden Sonnenlichts zu reflektieren, um den sich erwärmenden Planeten zu kühlen. Die Forschung zu diesem Thema ist bisher sehr dürftig und seit einigen Jahren mehr oder weniger festgefahren.


Holly Jean Buck ist Assistenzprofessorin für Umwelt und Nachhaltigkeit an der University at Buffalo und Autorin von "Ending Fossil Fuels: Why Net Zero Is Not Enough".


Bei der AGU-Tagung hielten Forscherinnen vor fast leeren Konferenzräumen Zoom-Vorträge darüber. Wissenschaftler des National Center for Atmospheric Research (NCAR) aus Boulder im Bundesstaat Colorado zoomten sich ein, um aktualisierte Modellierungsszenarien vorzustellen. Dieselbe Frau, die ich vor fünf Jahren auf einer AGU-Tagung getroffen hatte, wartete nun bei der AGU-Postersitzung darauf, jemandem von ihrer Idee zu erzählen, wie man das arktische Eis [1] mit reflektierenden, hohlen Mikrokugeln aus Glas schützen könnte.

Mitte Januar haben allerdings mehr als 60 führende Wissenschaftler ein "Internationales Abkommen über die Nichtnutzung von Solar-Geoengineering [2]" vorgeschlagen. Das klingt im ersten Moment gut. Wir sollten tatsächlich ein Moratorium für Solar-Geoengineering haben, allerdings eines, das seine Nutzung regelt. Denn das Konzept ist in der Tat unausgereift und theoretisch und die Wissenschaft ist nicht in der Lage zu verstehen, was die Reflektion des Sonnenlichts für die Ökosysteme, das Klima oder die menschlichen Systeme bedeuten würde. Die Idee ist nicht einmal neu. Führende Forscher haben ein solches Moratorium bereits vor fast zehn Jahren [3] im Fachjournal "Science" vorgeschlagen. Wir sollten auch ein Verbot der Patentierung von Technologien haben, wie es in diesem Nichtnutzungs-Abkommen vorgeschlagen wird.

Mehr zum Geoengieneering

Doch insgesamt könnte Solar-Geoengineering erhebliche Vorteile haben. Es könnte potenziell den globalen Temperaturanstieg erheblich abmildern und möglicherweise schwerwiegende sekundäre Auswirkungen wie geringere Ernteerträge und eine größere Häufigkeit und Intensität von Wirbelstürmen und Taifunen ausgleichen. Wir wissen zwar nicht alles darüber, was es bewirken würde. Aber aus humanitärer Sicht spricht vieles dafür, mehr zu erfahren, selbst wenn sich später herausstellt, dass die Nachteile die Vorteile überwiegen.

Das Problem mit dem Nichtnutzungs-Vorschlag ist nämlich, dass er nicht angemessen zwischen Forschung und Entwicklung oder Einsatz unterscheidet. Es ist ein kaum verhüllter, oder vielleicht auch gar nicht verhüllter, Versuch, die Forschung zu diesem Thema zu unterdrücken. Die Autoren hatten bereits letztes Jahr einen Brief [9] an das Fachjournal "Nature" geschrieben, in dem sie sich gegen einen Leitartikel [10] mit dem Titel "Give research on solar geoengineering a chance" wandten. Ihr Standpunkt: "Wir fordern unsere Regierungen und Förderorganisationen auf, die Normalisierung der Forschung über planetare Solar-Geoengineering-Technologien zu stoppen."

Die Nichtnutzungsvereinbarung vom Dezember 2021 fordert eine Verpflichtung zum Verbot von Experimenten im Freien und ein Verbot für nationale Finanzierungsstellen, die Entwicklung von Solar-Geoengineering-Technologien zu unterstützen. Das soll sowohl in den USA als auch bei internationalen Institutionen so sein. Darüber hinaus sollen die Länder "die künftige Institutionalisierung des planetaren Solar-Geoengineerings als politische Option in den einschlägigen internationalen Institutionen, einschließlich der Bewertungen des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen, ablehnen". Wir wären also nicht in der Lage zu erfahren, wie das führende Gremium internationaler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Wissenschaft einschätzt.

Was also ist hier das eigentliche Ziel? Es geht ihnen nicht darum, Wissen aufzubauen, sondern darum, die Forschung ungenießbar zu machen. Die Autoren skizzieren [11] eine Vision, in der philanthropische Stiftungen ihre Unterstützung für den Nutzungsverzicht deutlich machen und öffentlich erklären, dass sie die Entwicklung von Solar-Geoengineering-Technologien nicht finanzieren werden. Universitäten, Wissenschaftsverbände, zivilgesellschaftliche Organisationen, Parlamente und andere würden das internationale Nichtnutzungsabkommen ebenfalls öffentlich unterstützen.

Das Ergebnis: "All dies würde solche Technologien für jede ernsthafte Forschungsgruppe zunehmend unattraktiv machen, in sie zu investieren, auch in Ländern, die das internationale Nichtnutzungsabkommen nicht sofort unterzeichnen würden." Mit anderen Worten: Es geht darum, einen so starken sozialen Druck zu erzeugen, dass keine seriöse Forschungsgruppe aus Angst vor Kritik Zeit in Solar-Geoengineering investieren möchte. Philanthropien und Regierungsstellen würden aus demselben Grund zögern, solche Forschung zu finanzieren.

Intensiver gesellschaftlicher Druck, die Forschung für Solar-Geoengineering einzustellen, bedeutet nicht, dass die gesamte Forschung eingestellt wird. Es bedeutet allerdings, dass Forscher, die sich um Offenheit und Transparenz bemühen, ihre Aktivitäten einstellen könnten, und diejenigen, die weitermachen, weniger auf die Bedenken der Öffentlichkeit eingehen. Sie werden von Geldgebern unterstützt, die sich nicht um die öffentliche Meinung scheren – vielleicht von privaten Akteuren oder dem Militär – und wir erfahren vielleicht nicht von allen Ergebnissen.

Autokratische Regime wären in der Lage, die Führung zu übernehmen und wir könnten in Zukunft auf ihr Fachwissen angewiesen sein, wenn wir beim Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen nicht erfolgreich sind. Wissenschaftler in Entwicklungsländern, die bei der Teilnahme an dieser Forschung ohnehin schon benachteiligt sind, wären ohne die Förderung internationaler Institutionen und Philanthropien noch weniger in der Lage dazu.

Die Forschung im Bereich Solar-Geoengineering muss durch nationale Wissenschaftsagenturen öffentlich finanziert werden, weil das mehrere wichtige Dinge sicherstellen würde. Sie kann die öffentliche Aufsicht über die Forschung aufrechterhalten und die Gestaltung von Forschungsprogrammen ermöglichen, in denen Sozialwissenschaftler und Governance-Forscher von Anfang an eingebunden sind – was die für dieses Thema so wichtige interdisziplinäre Forschung ermöglicht.

Darüber hinaus lässt sich die öffentliche Finanzierung so gestalten, dass sie die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit fördert. An einer auf der AGU vorgestellten Arbeit über die Auswirkungen des Solar-Geoengineerings auf die Ernteerträge [12] waren beispielsweise Forscher aus Norwegen, den USA, Südkorea und China beteiligt. Wir wollen diese Art der Zusammenarbeit fortsetzen und sie nicht unterdrücken.

Am wichtigsten ist vielleicht, dass nationale Förderorganisationen Forschungsprogramme so strukturieren können, dass die potenziellen Risiken und Vorteile umfassend untersucht werden und alles, was schief gehen könnte, berücksichtigt wird. Ohne diesen systematischen Ansatz könnte es sein, dass nur ein Rinnsal von Studien veröffentlicht wird, die nur die besten Ergebnisse präsentieren und das Solar-Geoengineering besser aussehen lassen, als es ist. Ist diese Studie über die Ernteerträge gut? Was fehlt darin? Um das herauszufinden, brauchen wir mehr Studien, nicht weniger, und wir brauchen Gremien wie den IPCC, um sie alle zusammen zu bewerten.

Mehr von MIT Technology Review Mehr von MIT Technology Review [13]

Kein Wissenschaftler ist glücklich über die Aussicht auf solares Geo-Engineering. Aber wir brauchen eine Front aufmerksamer, erfahrener Leute, die sowohl die Wissenschaft als auch die politischen Fragen verstehen. Wenn wir Menschen davon abhalten, dieses Fachwissen zu entwickeln, könnten uns die Ergebnisse nicht gefallen.

Gute Wissenschaft braucht Jahre, um sich zu entwickeln. Wenn wir die Forschung bis nach 2030 aufschieben, könnten wir uns in einer Welt wiederfinden, die zwar einige ungleichmäßige Fortschritte bei der Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen gemacht hat, aber nicht genug, und in der die Temperaturen immer noch auf eine Erwärmung von drei Grad Celsius zusteuern.

Dann können wir nicht plötzlich hoffen, mit rigoroser Wissenschaft Erkenntnisse zum Solar-Geoengineering zu gewinnen. Zunächst einmal sollten die USA den gut durchdachten Empfehlungen des Ausschusses der Nationalen Akademien der Wissenschaften, der Technik und der Medizin folgen, der sich kürzlich mit diesem Thema befasst [14] hat, und jetzt ein bescheidenes, sorgfältiges Forschungsprogramm finanzieren.

(jle [15])


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6343174

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.arcticiceproject.org/the-project/
[2] https://www.solargeoeng.org/
[3] https://www.science.org/doi/10.1126/science.1232527
[4] https://www.heise.de/news/Klimawandel-Plaedoyer-fuer-koordinierte-Forschung-zu-Geoengineering-5999193.html
[5] https://www.heise.de/hintergrund/Geoengineering-Ballontraum-in-Schweden-zunaechst-geplatzt-6007321.html
[6] https://www.heise.de/hintergrund/Warum-kuenstliche-Wolken-Korallenriffe-retten-koennten-6189614.html
[7] https://www.heise.de/news/Mikroplastik-in-der-Atmosphaere-Nuetzlich-oder-schaedlich-6231302.html
[8] https://www.heise.de/hintergrund/Wie-Geoengineering-den-gigantischen-Thwaites-Gletscher-retten-soll-6327455.html
[9] https://www.nature.com/articles/d41586-021-01724-2
[10] https://www.nature.com/articles/d41586-021-01243-0
[11] https://wires.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/wcc.754
[12] https://www.nature.com/articles/s43016-021-00278-w
[13] https://www.heise.de/tr/
[14] https://www.nationalacademies.org/news/2021/03/new-report-says-u-s-should-cautiously-pursue-solar-geoengineering-research-to-better-understand-options-for-responding-to-climate-change-risks
[15] mailto:jle@heise.de