"Schrittweise Erosion"

Intel-CEO Paul Otellini über die schwindende Wettbewerbsfähigkeit der USA, die strukturellen Probleme dahinter und das Rezept, um wieder nach vorne zu kommen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 6 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • David Rotman

Als CEO von Intel weiß Paul Otellini, was Investitionen wert sind. Die USA sieht er deshalb nicht gut für die Zukunft gerüstet: Weil sie im vergangenen Jahrzehnt den Ausbau von Bildung, Forschung und IT-Infrastruktur vernachlässigt hätten, nehme ihre technische und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit allmählich ab.

Es war denn auch kein Zufall, dass Otellini im vergangenen Jahr, mitten in der Krise, eine 7-Milliarden-Dollar-Investition in neue Fabriken in den US-Bundesstaaten Oregon, New Mexico und Arizona bekannt gab. Die sollen zwar in erster Linie der Fertigung von neuen 32-Nanometer-Chips dienen. Aber die Ankündigung war auch als Signal nach Washington gemeint, als dort der US-Kongress über Barack Obamas Konjunkturpaket debattierte: Wir investieren in den USA.

Im Februar gab Intel mit einer Gruppe von Wagniskapitalgebern bekannt, bis Ende 2011 Start-ups 3,5 Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen. In einer weiteren Initiative mit anderen Hightech-Unternehmen sollen in diesem Jahr doppelt so viele College-Absolventen wie bisher eingestellt werden.

Nun ist das Lamento über eine mangelnde Wettbewerbsfähigkeit in Zeiten lahmer Konjunktur auch in den USA nichts Neues. Technology Review fragte Otellini deshalb, was ihn an der jetzigen US-Situation so beunruhigt.

Technology Review: Warum kommt es darauf an, wo Innovationen herkommen? 75 Prozent der amerikanischen Umsätze werden außerhalb der USA gemacht.

Paul Otellini: Für uns als globales Unternehmen kommt es wahrscheinlich nicht darauf an. Wir können überall auf der Erde Leute einstellen. Aber ich habe dennoch eine grundsätzliche Besorgnis. Ich glaube nach wie vor, dass Amerika der beste Ort auf der Welt für Innovationen ist, wenn man es richtig macht. Historisch betrachtet sind Infrastruktur, Kapitalmärkte, das Akzeptieren des Scheiterns und der Wille, noch mal von vorne anzufangen, typisch amerikanische Eigenschaften.

TR: Was steht dann für die USA auf dem Spiel?

Otellini: Als Land müssen wir uns die Frage stellen: Sind wir für die Industrien des 21. Jahrhunderts, die fundamental wissensbasierte Industrien sind, gerüstet? Die Alternative wäre, zurückzugehen zu den Industrien des 19. Jahrhundert, zur Stahlproduktion und solchen Dingen. Das muss man dann aber zu Kosten machen, die es mit den niedrigsten Produktionskosten der Welt aufnehmen können. Das würde bedeuten, den Lebensstandard herunterzuschrauben, und das wollen die meisten Amerikaner nicht. Wenn Sie Ihren Lebensstandard aufrechterhalten wollen, müssen Sie das Heer der Arbeitenden an die Jobs der Zukunft anpassen.

TR: Gibt es denn bereits Zeichen dafür, dass die Wettbewerbsfähigkeit verloren geht?

Otellini: Die schrittweise Erosion können Sie an so einfachen Dingen wie den Fähigkeiten unserer in Mathematik und Naturwissenschaft erkennen. Natürlich sind die Besten der Besten, die aus unseren Schulen kommen, Weltklasse. Aber ich mache mir um den Durchschnitt Sorgen.

TR: Wirkt sich das schon auf die US-Wirtschaft aus?

Otellini: Schwer zu sagen. Ohne diese enorme Rezession könnte man den Effekt vielleicht genauer messen. Aber man kann schon die Behauptung wagen, dass die Produktivität enorm leidet, wenn die Fähigkeiten der Arbeitskräfte nachlassen.

TR: Was könnte die Regierung dagegen tun?

Otellini: Regierungen sind am besten dazu in der Lage, Grundlagenforschung zu fördern. Diese Förderung ist aber über ein Jahrzehnt lang zusammengestrichen worden. Inzwischen wächst sie wieder, und das Ziel ist, sie zu verdoppeln. Aber das dauert lange.

Als zweites würden wir es begrüßen, wenn Steuererleichterungen für Forschung und Entwicklung dauerhaft gelten würden und auf ein Niveau zurückkehren, das international wettbewerbsfähig ist. Dritter Punkt: Unsere Unternehmenssteuern sind die zweithöchsten unter den Industrieländern.

TR: Birgt es nicht auch Gefahren, wenn Regierungen sich direkt in die Förderung von Innovation einmischen?

Otellini: Eine Gefahr ist, dass die Regierung sich bestimmte Industrien und Technologien herauspickt. Ihr Job ist, die Grundlagenforschung zu fördern, die Wissenschaftler hingegen ihren Job machen zu lassen und Innovationen da zuzulassen, wo sie entstehen. Ich glaube nur, dass die Forschungsförderung unzureichend war und dass wir wieder ein Niveau erreichen müssen, das unserer historischen Norm entspricht.

TR: Die Aufgabe von Wagniskapitalgebern ist, in Start-ups zu investieren. Warum brauchen sie Unterstützung?

Otellini: Ja, das ist ihr Geschäft, aber ihre Verengung auf Cleantech und Hightech und der knappe Zeitrahmen für Investitionen waren nicht unerheblich. Wir wollten Start-ups zeigen, dass die Venture-Capital-Industrie offen für neue Geschäfte ist.

TR: Eine ihrer letzten Reden hatte den Titel „Amerikas wirtschaftliche Zukunft neu erfinden“. Was meinen Sie damit?

Otellini: Von ganz oben betrachtet geht es um Wettbewerbsfähigkeit. Wir halten die als Land zu oft für selbstverständlich. Wir halten es für selbstverständlich, dass Kapital fließen wird, dass wir die besten Arbeitskräfte der Welt haben, dass es Kapitalbildung gibt, dass Start-ups die Option auf einen Börsengang haben. Nichts davon ist mehr selbstverständlich. 30, 40 Jahre haben wir diese Möglichkeiten genährt, und aus verschiedenen Gründen sind sie verkümmert oder behindert worden.

Wenn wir unsere Energien als Land auf die Wettbewerbsfähigkeit konzentrieren, kommen die anderen guten Dinge von selbst: Kapital, Jobs, Investitionen. Das ist wirklich das Rezept, das Nationen aufblühen lässt.

(nbo)