"Starker Kontrast zum High-Tech-Image"

Jenny Holdcroft vom internationalen Gewerkschaftsbund IMB kritisiert im TR-Interview die Arbeitsbedingungen in der Elektronikbranche in China und anderen Entwicklungsländern.

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Von
  • Rosso Vincenzo

Holdcroft ist Abteilungsleiterin für die Bereiche Freihandelszonen und Gleichberechtigung der Frau beim internationalen Metallarbeitergewerkschaftsbund IMB in Genf.

Technology Review: Frau Holdcroft, welche Prioritäten setzt Ihr Verband in der Elektronikbranche?

Jenny Holdcroft: Die globale Elektronikproduktion erlebt derzeit mit der Schaffung von Tausenden von Arbeitsplätzen in den Entwicklungsländern eine Expansion ohne Gleichen. Das High-Tech-Image dieser Industrie steht allerdings in starkem Kontrast zu den Lebens- und Arbeitsbedingungen vieler tausend Beschäftigter, vor allem junger Frauen, die bei den Zulieferern der wichtigsten Gesellschaften arbeiten.

Sie sind es, die bei Löhnen und Arbeitsbedingungen, die unterhalb der annehmbaren Standards liegen, zu geringstmöglichen Kosten, die internen Bauteile von Handys und Personalcomputern herstellen. Der Internationale Metallarbeitergewerkschaftsbund ist besonders besorgt, weil die Arbeitsbedingungen schlecht und die Arbeiterinnen und Arbeiter in den meisten Fällen nicht gewerkschaftlich organisiert sind.

TR: In welchen Ländern konzentriert sich diese Arbeit?

Holdcroft: Die Elektronikproduktion ist gegenwärtig von großen Marken wie Apple und Hewlett Packard fast vollständig in Ketten von Subunternehmen ausgelagert worden, deren wichtigste Fabriken in den Niedriglohngebieten Asiens angesiedelt sind, insbesondere in China. In Europa hat sich die Produktion von West nach Ost verlagert und findet zunehmend in Ungarn, Rumänien bzw. der Ukraine statt. Auch wenn der größte Teil dieser Subunternehmen der breiten Öffentlichkeit unbekannt ist, sind die größten "Contract Manufacturers" selbst multinationale Konzerne, die in den letzten Jahren ein enormes Wachstum erlebt haben.

Der Marktführer unter den Subunternehmern, die taiwanesische Hon Hai-Gruppe, zählt gegenwärtig mehr als 230.000 Beschäftigte, die Mehrheit davon in der Volksrepublik China. Ihr Umsatz stieg von 2,8 Milliarden US-Dollar im Jahr 2000 auf 27 Milliarden Milliarden 2006. Der zweitwichtigste Kontraktfertiger Flextronics aus Singapur kommt nach der Übernahme des nächstgrößeren Konkurrenten, der kalifornischen Firma Solectron, auf 200.000 Beschäftigte. Flextronics verkündet stolz, dass seine Kunden nicht weniger als 75 Prozent der üblichen Arbeitskosten sparen können – ein starker Anreiz, gewerkschaftliche Interessenvertretungen, sofern irgendmöglich, zu verhindern.

Die Konkurrenz läuft aber nicht nur über die Löhne, sondern auch über die Arbeitsbedingungen. Unsere Forschungsberichte zeigen, dass dort weniger als der Mindestlohn gezahlt wird und Arbeitszeiten von bis zu 72 Wochenstunden, Zwangsarbeit, Verpflichtung zu Überstunden, befristete Arbeitsverträge, Unsicherheit des Arbeitsplatzes, unsichere Arbeitsbedingungen, entwürdigende Behandlung sowie obligatorische Schwangerschaftstests an der Tagesordnung sind.

In vielen Fällen ähnelt die Situation im Elektronikbereich der Lage in der Textilindustrie. Das Fehlen von Gewerkschaften ist ein charakteristisches Merkmal für eine Industrie, in der man immer gegen die Hindernisse kämpfen musste, die von den Unternehmern gegen die gewerkschaftliche Organisierung errichtet wurden. Auch heute hat sich das Verhalten der "Original Equipment Manufacturer"-Gesellschaften (OEM), die den Sektor beherrschen, gegenüber den Gewerkschaften nicht verändert. Diese gewerkschaftsfeindliche Philosophie hat die Gestaltung der industriellen Beziehungen in allen dezentralisierten Betrieben bestimmt, in die die Firmen ihre Produktion auslagern.

Die Opposition des Managements ist allerdings nicht das einzige Hindernis für die Bildung von Gewerkschaften durch die Beschäftigen der Branche. Der größten Teil der Arbeiterinnen und Arbeiter befindet sich in einer prekären Position, sei es auf Grund der Zeitverträge, die über Arbeitsagenturen abgeschlossen wurden, einer nur tageweisen Beschäftigung oder einer Unzahl anderer unsicherer Methoden. Dementsprechend ist die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, eine gewaltige Bremse für die gewerkschaftliche Organisierung.

TR: Welche Perspektiven sehen Sie für die Zukunft? Welche Strategie will die Gewerkschaft auf internationaler Ebene künftig verfolgen?

Holdcroft: Der Internationale Metallarbeiterbund setzt sich, zusammen mit seinen Mitgliedsgewerkschaften, vor allem dafür ein, diese Arbeiterinnen zu organisieren und Strategien zu entwickeln, um die gegenwärtigen Barrieren gegen gewerkschaftliche Betätigung zu beseitigen. Der IMB arbeitet aktiv mit der Internationalen Textilarbeiterföderation zusammen, die über eine lange Tradition in traditionellen Frauensektoren mit ähnlich problematischen Arbeitsbedingungen verfügt. Außerdem arbeitet der IMB mit einer großen Anzahl von Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) zusammen, die in diesem Bereich aktiv sind.

Zusammen mit ihnen haben wir ein Netzwerk für die Einhaltung der Menschenrechte, das "Good Electronics Network", geschaffen. Dadurch wurde es möglich, unseren Mitgliedsgewerkschaften in den einzelnen Ländern Informationen zu liefern, wie in diesem Industriezweig Kampagnen organisiert und die gewerkschaftliche Organisierung auch in Zusammenarbeit mit den NGOs vorangetrieben werden kann, die ähnliche Ziele verfolgen.

Die Erfahrungen bei der so genannten "Clean Clothes Campaign", die einen bemerkenswerten Erfolg bei der Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Textilproduktion erzielt hat, war dabei sehr nützlich. Was wir jetzt brauchen, ist ein ähnlicher Prozess für die Arbeiterinnen in der Elektronikindustrie. Ein wesentliches Ziel des neuen Networks ist die Entwicklung eines gemeinsamen Forderungskatalogs, mit dem die Unternehmen zur Einhaltung der Menschenrechte aber auch der Umweltstandards gezwungen werden sollen.

Es ist positiv, dass bedeutende Marken wie Hewlett Packard und IBM sowie viele ihrer Zulieferer dabei sind, die Arbeitsbedingungen in den Zuliefererketten der Subunternehmen zu verbessern. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob diese Bemühungen am Ende wirklich mehr sind als schlichte Fassadenkosmetik, um die Konsumenten zu beruhigen. (bsc)