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Tut Buße! Höhere Bußgelder machen die Straßen nicht sicherer

Clemens Gleich
Tut Buße!

Der Bußgeldkatalog wurde aktualisiert. Außer durch Veränderungen nötige Anpassungen enthält er die üblichen Verschärfungen. Die machen uns auch nicht sicherer

Der neue Bußgeldkatalog ist in Kraft getreten [1]. Darin Anpassungen an eine veränderte Verkehrssituation, mit klaren Bußgeldern zum Beispiel fürs Parken auf einem Elektroauto-Ladeplatz oder einem ausgewiesenen Carsharing-Stellplatz. Darin weiterhin deutliche Verschärfungen bei Tempoverstößen. Da klatschen die Wenigfahrer und die Berufskraftfahrer sorgen sich. Und wie immer geht die Maßnahme am verfolgten Zweck vorbei. Doch eins nach dem anderen.

Der Mensch schätzt die auftretenden Energien von Geschwindigkeiten intuitiv stets falsch ein. Er hat sich in einer Welt entwickelt, in der er selten mehr als 25 km/h Relativgeschwindigkeit aufbaut. Die quadratisch steigende Energiekurve über linear steigender Geschwindigkeit, sie bleibt seinem Gefühl rätselhaft, selbst wenn der Verstand sie hintersteigt.

Deshalb gehört es tatsächlich zu den vordersten Aufgaben der Verkehrssicherheitsexekutive, die Geschwindigkeiten zu kontrollieren. Natürlich reichen auch die willkürlich festgelegten Grenzen aus, Menschen zu töten. Doch mit „etwas mehr“ Speed als erlaubt liegt die Energie immer gleich „viel mehr“ über dem erlaubten, sodass diese Argumentation nicht hält. Fast alle gesellschaftlichen Konventionen enthalten willkürliche Abgrenzungen. In ferner Vergangenheit zog jemand bei schönen, runden 50 km/h eine Linie in den Sand und sagte: „Dies sei unser Kompromiss zwischen Fortkommen und Sicherheit innerorts!“ Und siehe, es ward so, zufällig-willkürlich bis zum heutigen Tage.

Deaf's a bissal mehra sei? Korrekturfeld für die Tempomat-Einstellungen im aktuellen Toyota Supra / BMW Z4. Dabei nicht vergessen: "Ein bisschen mehr" Geschwindigkeit bedeutet "viel mehr Energie".

Deaf's a bissal mehra sei? Korrekturfeld für die Tempomat-Einstellungen im aktuellen Toyota Supra / BMW Z4. Dabei nicht vergessen: "Ein bisschen mehr" Geschwindigkeit bedeutet "viel mehr Energie".

(Bild: Clemens Gleich)

Aus der Problematik heraus entsteht eine Asymmetrie: Meines Wissens wurde zuletzt 1997 jemand für behinderndes Langsamfahren verurteilt (StVO § 3, Abs. 2). Wegen zu schnellen Fahrens dagegen gehen jeden Tag Strafen raus. Es schaut ganz einfach so aus: Zwischen „Auto steht vor dem Fußgänger“ und „Unfall mit Todesfolge“ reichen bei ansonsten identischen Bedingungen häufig 10 km/h, die man am Steuer kaum als relevant wahrnimmt. Ich fahre auch gern Rennstrecke, aber dieser Realität müssen gerade wir von der „schneller-ist-besser“-Fraktion uns stellen.

Die neuen theoretischen Handhaben, diese Grenzen zu sichern wurden strenger. Ich kann aus Sicht des Berufskraftfahrers sagen: Bei weitem nicht alle Geschwindigkeitsverstöße geschehen aus Übermut. Einer der häufigsten Fälle dürfte eine unklare Lage sein. Offene Autobahn. Dann eine Baustelle. Wissen Sie, warum man die kilometerweit vorher ankündigt? Damit man nicht auf Volllast im letzten Gang in die Bremszone rauscht, in der es heißt: 120-100-80-60. Wenn man jedoch in Baustellenbremszonen blitzt, kann man den ganzen Tag Fahrverbote aussprechen, selbst wenn in der Baustelle selbst kein Verstoß mehr stattfände. Wer sich fragt, warum das so ist, kann ganz einfach die korrekte Fahrweise ausprobieren, wie ich es um meines zur Arbeit nötigen Führerscheins praktiziere: Lichthupen, Auffahren bis auf haarsträubend geringe Abstände, wütende Gesten, knapp gequetschte Überholvorgänge. „Hier fährt noch niemand 100!“, scheinen sie zu rufen. Und doch steht es auf dem Schild.

Ebenso gibt es tatsächlich gelegentlich Beschilderungen, die auswärtige Verkehrsteilnehmer im Unklaren lassen, wie schnell hier gefahren werden darf. Sind es 100 oder 120? Ich glaube, dass deshalb weiterhin außerorts bei 20 km/h Überschreitung noch kein Punkt eingetragen wird. Da müsste viel aufgeräumt werden. So eine Verschärfung hört sich also gut an, aber sie trifft mehrheitlich die Falschen. Wer rasen will, tut das irgendwo unter dem Radar. Das klappt meistens, weil es kaum Raserkilometer gibt. Wer sich auf der Autobahn um zwei Sekunden vertut und dabei niemanden gefährdet, gibt jetzt eben früher seinen Lappen ab. Mehr Sicherheit entsteht dadurch nicht, aus einem ganz einfachen Grund: ein Gesetzestext hat aus sich selbst heraus keine Wirkung.

Der Mob will immer härtere Strafen, denn der Rachegedanke befriedigt uns. Die Scheißraser, die sollen mal richtig blechen, die sollen ihre Führerscheine verlieren und nicht mehr arbeiten können. An diesem Bedürfnis richtete sich die Staatsmacht im Mittelalter aus. Für Mord, Raub oder auch nur Diebstahl gab es vor allem in Deutschland und Frankreich eine Zeitlang die Strafe des Brechens auf dem Rad (Radebrechen). Dabei wurden dem Verurteilten zunächst möglichst schmerzhaft alle Knochen gebrochen, mit einer Eisenstange, einem Hammer oder auch einem schweren Rad. Danach wurde der Körper in ein großes Rad geflochten (oder daran festgebunden, wenn das nicht hielt) und dieses wurde öffentlich aufgestellt.

Beim Publikum war diese Folter beliebt, und wer glaubt, dass der Drang zu so etwas im Menschen versiegt sei, der höre sich nur einmal an, was sich eine Mehrheit der Bevölkerung für Mörder oder gar Sexualstraftäter wünscht. Der Rechtsstaat existiert, weil eine kleine Minderheit weiß, was er als zivilisatorische Errungenschaft wert ist. Die Mehrheit weiß es erst, wenn sie selbst einmal auf einer Anklagebank sitzt.

Nach der weit verbreiteten Ansicht, dass harte Strafen abschrecken, müsste das Mittelalter mit seinen maximal grausamen Strafen eine viel friedlichere Zeit gewesen sein als heute. War es aber nicht, im Gegenteil. Die weit verbreitete Ansicht ist inkorrekt. Härtere Strafen sind nicht das, was die Bevölkerung in der Fahrspur der Gesetzestreue hält. Viel besser wirken KONSEQUENTE Sanktionen, selbst wenn sie im besten Wortsinn harmlos sind. Jede moderne Mutter, jeder moderne Vater weiß das. In diesem Zuge haben die Verkehrskontrollen der letzten 20 Jahre, die Warnsysteme in Autos, die Präsenzen der Polizei, gute Dienste geleistet, denn krasse Überschreitungen werden tatsächlich weniger. Wenn wir noch mehr Sicherheit wollen, müssen wir noch mehr davon auf das Problem kippen. Warum passiert das nicht?

Clemens Gleich

Irgendwann nach Ende des Mittelalters fuhr ich diesen Porsche 911 Turbo (930) durch die Schweiz. Deren drakonische Strafen schrecken nämlich auch nur dort ab, wo die Regeln konsequent eingefordert werden: auf den großen Straßen.

(Bild: Clemens Gleich)

Weil es Geld kostet und in den Medien kaum vorkommt. Die Rolle der Medien wird üblicherweise als sehr positiv, sehr wichtig beschrieben (natürlich hauptsächlich von uns Medien selbst). Tatsächlich sind die Medien in den meisten Bereichen eher Problemverstärker und -beschleuniger, also ein negativer Einfluss. Es liegt schlicht an den Anreizen. Wir leben von Aufmerksamkeit, nicht von Bürgerbildung. Der Troll und der Journalist bespielen denselben Mechanismus. Nur zeigt der Troll offen die Zwänge der Aufmerksamkeiten, während der Journalist sie seiner geistigen Gesundheit zuliebe verdrängt.

Wenn die Politik auf dem guten Weg nichts weiter gemacht hätte als weiter die Maßnahmen, die sich als effektiv zeigten, oder in vielen Bereichen überhaupt einmal ein paar Konsequenzen durchgesetzt hätte, dann gäbe es nichts zu berichten. Sie würden das hier nicht lesen. Ein neues Gesetz dagegen ist super: Es kostet keinerlei Aufpreis und jeder spricht darüber. Als Politiker hat man „etwas getan“ (etwas rein virtuelles), als betroffene Person fühlt man sich gut, weil „endlich was passiert“. Es ist aber nichts Relevantes passiert.

Das Relevante (die Kontrollen, die Sanktionen) müssen unabhängig von der Legislative weiter passieren oder nicht passieren, und da hätte es keine Verschärfung der theoretischen Sanktionen gebraucht, sondern eine Verschärfung der Praxis. Verkehrspolizisten, die „du, du, du!“ sagen. Politessen, die schnell schießen, sobald Karren („nur schnell beim Bäcker“) Fahrradwege oder Ladestationen zuparken. Alle diese verhassten Berufe, die eine Zivilisation letztendlich braucht, wie sie die ebenfalls verhassten NGO braucht.

Die Bußgelder wurden erhöht für Falschparken auf Behindertenparkplätzen. Liebe Menschen mit Behinderung, kurze Zählung: Wer glaubt, dass ab morgen weniger mir-doch-egal-Autos auf diesen für euch markierten Flächen stehen? Liebe Radfahrer: Fühlt ihr euch auf den Radwegen ab morgen sicher, bei denen ihr euch ein durchgängiges Asphaltband mit massivem Schwerlastverkehraufkommen teilt? Es gibt ja jetzt ein höheres Bußgeld für Unterschreitung des Seitenabstands. Ich habe viel über die Rettungsgasse geschrieben, und stets konnte ich damit enden: Es gibt schon genug Gesetze, man müsste sie nur KONSEQUENT anwenden, weil wir wissen, dass nur das gut funktioniert. Stattdessen bekamen wir härtere Gesetze. Zugeparkte Ladesäulen als Problem verschwinden in Städten nicht, wenn das Bußgeld erhöht wird. Es beginnt zu schwinden, sobald KONSEQUENT sanktioniert wird – und zwar schon bei geringeren Bußgeldern.

Aus alldem ergibt sich für den mündigen Bürger eine klare Linie: Lassen wir uns nicht mit billigen Gesetzen abspeisen. Wir haben fast immer schon genügend Gesetze. Es mangelt uns fast immer jedoch an konsequenter Durchsetzung eben dieser Gesetze. Was hat die Presse für ein Bohei gemacht um die verschärfte Sexualstrafgesetzgebung damals! Gebracht hat es außer juristischer Verwirrung nichts, weil die Probleme nicht in der Gesetzgebung lagen, sondern überall dort, wo etwas tun etwas gekostet hätte.

Ich führe eine Liste von Dampfplauderern, deren politische Existenz bevorzugt von solcher Symbolpolitik abhängt. Ich kann das ausdrücklich weiterempfehlen. Und dann keinen von dieser Liste wählen. Wir haben jetzt also teurere Bußgelder. Ich schreibe den Satz, der fast immer bei sowas als Fazit steht und dennoch (oder deshalb) kaum beachtet wird: Ob das was bringt, hängt davon ab, ob es (konsequent) sanktioniert wird – wie immer, wie vorher.

(cgl [2])


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