Unkonferenzen: Flexibles Format für kreativen Austausch – ein Interview

Unkonferenzen sind flexible, interaktive Events ohne feste Vorgaben. Gerd Aschemann erklärt im Interview, wie sie funktionieren und welche Vorteile sie bieten.

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Gruppe von Menschen, die gemeinsam in einem Coworking-Space arbeiten.

(Bild: GaudiLab/Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Inhaltsverzeichnis

Was verbirgt sich hinter dem Begriff "Unkonferenz" (engl. Unconference)? Welchen Regeln folgt solche Events und welche Vor- und Nachteile ergeben sich aus diesem Konzept? iX hat Gerd Aschemann gefragt, der das Format seit gut zehn Jahren kennt und schon an vielen Unkonferenzen teilgenommen beziehungsweise deren Organisation unterstützt hat. Seit vergangenem Jahr veranstaltet er mit einem fünfköpfigen Team in der deutschsprachigen Java-Community zwei Unkonferenzen, eine davon im Rahmen der JavaLand-Konferenz. Das Flaggschiff der Organisatoren ist die JSail, bei der fachliche Gespräche (nicht nur aus dem Java-Universum) mit Segeln verknüpft werden.

iX: Was ist eine Unkonferenz und welche Regeln gibt es?

Gerd Aschemann: Unkonferenzen gehen auf die Beobachtung zurück, dass die besten Gespräche auf einer Konferenz in den Pausen stattfinden, im sogenannten Hallway-Track. Eine Urban Legend behauptet, dass Tim O’Reilly vom gleichnamigen Verlag das erstmals aufgegriffen und ein eigenständiges Event daraus gemacht hat.

Unkonferenzen kommen in verschiedenen Ausprägungen und Namen daher, beispielsweise als Barcamp oder Open Space. Allen gemeinsam ist, dass die Veranstaltungen wenige oder gar keine Vorgaben für Inhalte und Formen machen, maximal einen Schwerpunkt setzen. Eine der wichtigsten Regeln lautet daher: Alles, was passieren konnte, ist genau das, was passieren musste. Eine andere besagt, dass die Leute, die da sind, genau die richtigen sind.

Sie verlaufen dennoch nicht völlig unstrukturiert, sondern versuchen, dem kreativen Austausch der Teilnehmenden mit einem entsprechenden Rahmen Vorschub zu leisten. In der Regel findet am Anfang oder auch öfter zwischendurch ein Marktplatz der Ideen statt, bei dem alle Anwesenden ihre Themen einbringen können. Diese werden dann unter Umständen noch bewertet und priorisiert, falls es zu viele sind, oder auch mal zusammengelegt.

Die Prinzipien eines Open Space

(Bild: Lisa Moritz)

Die Themen werden schließlich auf Zeitslots und vorhandene Räume verteilt und alle, die sich für ein Thema interessieren, gehen zur entsprechenden Session. Aber auch hier gibt es keine festen Regeln, beispielsweise bezüglich der Dauer. Am Ende muss man eventuell den Raum für eine andere Session freimachen, die Diskussion kann dann später beim Essen oder anderen Aktivitäten wieder aufgegriffen werden, oder man eröffnet später oder am nächsten Tag eine zweite Session für offengebliebene Fragen.

Ebenso wenig muss man bei einer Diskussion dabeibleiben. Das Format lebt auch davon, dass Menschen nach der Mobilitätsregel zu anderen Themen weiterziehen, wenn sie merken, dass sie nichts mehr mitnehmen oder beitragen können. Diese Teilnehmer, die Hummeln, nehmen oft Anregungen oder Erkenntnisse von einem Thema zum nächsten mit, was eine Vernetzung von Themen und den weiteren Austausch verbessert. Andere Personen, die Schmetterlinge, sorgen demgegenüber für Kontinuität und oft auch für eine gewisse Gelassenheit in der Veranstaltung.

iX: Was sind deiner Meinung nach die Vor- und Nachteile dieses Konzepts?

Gerd Aschemann: Unkonferenzen haben aus meiner Sicht eine Reihe entscheidender Vorteile: Sie sind besonders interaktiv, alle können ihre Ideen, Wünsche und Erfahrungen einbringen und voneinander lernen. Unkonferenzen können aktuelle Themen aufgreifen. Eine normale Konferenz braucht einen langen Vorlauf, in dem Themen gesammelt, bewertet, ausgewählt und vorbereitet werden. Dadurch sind die Inhalte meistens schon mehrere Monate alt, bis sie zur Diskussion gestellt werden. Ferner ermöglichen sie vielfältige Formen des Austauschs, man kann beispielsweise klassisch durch eine Präsentation gehen, dabei aber möglichst alle Anwesenden einbeziehen, eine moderierte oder unmoderierte Diskussion führen, gemeinsam Coden, oder auch körperliche Aktivitäten wie Sport oder Tanz einbauen und noch vieles mehr. Und außerdem werden die meisten Unkonferenzen ehrenamtlich organisiert und kosten dementsprechend wenig. Viele sind auch am Wochenende, sodass man nicht unbedingt Urlaub nehmen muss, wenn man unabhängig vom Arbeitgeber teilnehmen möchte. Einige organisieren auch eine Kinderbetreuung.

Nachteile? Ich kenne keine. Das einzige Problem, von dem wir als Veranstaltende gelegentlich hören, ist die Frage von Unternehmen, was genau ihre Mitarbeitenden denn von einer Unkonferenz mitnehmen. Die Frage ist natürlich verständlich, lässt sich aber oft schon mit der Motivation der Teilnehmenden beantworten. So gut wie alle, die da sind, wollen das Bestmögliche aus der gemeinsamen Zeit machen, eigene Erfahrungen einbringen und fremdes Wissen mitnehmen. Dieser Austausch wird von vielen als sehr intensives Erlebnis auch auf der Gefühlsebene wahrgenommen und sowohl an Veranstaltende als auch daheim an KollegInnen und Vorgesetzte weitergegeben.

Typischerweise wird bei einer Unkonferenz viel enger an der Lebens- und Arbeitswirklichkeit der Anwesenden diskutiert. Es werden auch mehr Lösungen entwickelt, als es durch einen allgemeinen Vortrag auf einer Konferenz überhaupt möglich ist. Es ist eben etwas Anderes, und damit vielleicht auch etwas Besonderes gegenüber einer gewöhnlichen Fortbildung.

iX: Der Verlauf einer Unkonferenz ist nicht planbar: Wie gehst du als Leiter mit unvorhergesehenen Ereignissen um?

Gerd Aschemann: Zum Glück bin ich bei unserer JSail Unkonferenz nicht allein verantwortlich, wir sind ein gutes Team, wie bei allen Unkonferenzen, die ich kenne. Oft fühlen sich auch die Teilnehmenden in besonderem Maße mitverantwortlich für ein gutes Gelingen und bringen sich im Vorfeld oder vor Ort aktiv in die Organisation ein. Durch die geringen Vorgaben muss man natürlich einigermaßen flexibel sein und sich spontan auf Änderungen im Ablauf und bei den Formaten einstellen. Das gilt aber in gleichem Maße für Organisierende und Teilnehmende und hat auch immer funktioniert.

Bei der JSail sind wir zum Beispiel stark auf das Wetter angewiesen. Es ist toll, wenn man Sessions im Freien abhalten kann, oder eben auch zusammen Segeln kann. Wenn das mal nicht geht, plant man eben um und weicht auf andere gemeinsame Aktivitäten aus.

iX: Was war dein schönstes Erlebnis im Rahmen einer Unkonferenz?

Gerd Aschemann: Ich blicke auf viele schöne Momente zurück. Durch Unkonferenzen habe ich mein persönliches und berufliches Netzwerk enorm erweitert und einige großartige Freundschaften entwickelt. Vor allem gab es aber viele anregende Gespräche.

Auf einer Unkonferenz vor ein paar Jahren hatten wir mal eine tolle Session, bei der es um Extra- und Introvertiertheit ging. Das ist natürlich ein breites Spektrum, aber ich konnte lernen, dass viele der Anwesenden – mich eingeschlossen – sich eher als introvertiert identifizieren. Wir sind der Wortbedeutung dann auch genau nachgegangen. Viele von uns hatten beispielsweise kein Problem damit, sich auf Gruppen einzulassen oder auch Vorträge auf Konferenzen zu halten. Aber die meisten kannten auch die andere Seite, sich aus einer Gruppe zurückzuziehen und sich Zeit für sich selbst zu nehmen, um die Batterien wieder aufzufrischen. Dafür bieten Unkonferenzen zumeist auch Raum und den nötigen Respekt voreinander.

iX: Was möchtest du Personen mitgeben, die sich hinsichtlich der Teilnahme an einer Unkonferenz noch unsicher sind?

Gerd Aschemann: Ich kann nur dazu raten, es auszuprobieren. Es gibt auch kleine Events, die sich dafür anbieten, da sie nur wenige Stunden dauern oder eine überschaubare Teilnehmerzahl haben – wobei eine gewisse Menge an Teilnehmenden natürlich die Diversität und Themenvielfalt erhöht.

Viele Events haben einen Themenschwerpunkt, wie das Cooperative Modelling Camp in der Nähe von Wien, oder das DevOps-Camp in Nürnberg – eine meiner Einstiegsdrogen. Im Großraum Nürnberg gibt es gleich mehrere Unkonferenzen, oft eintägig, beispielsweise zu Software Crafting and Testing oder Software Engineering. Bei solchen Unkonferenzen haben Neulinge zumindest schon mal einen guten thematischen Bezug, der ihnen den Einstieg erleichtert. Wenn man ein wenig sucht, gibt es im ganzen deutschsprachigen Raum und darüber hinaus attraktive Angebote.

Das andere Ende des Spektrums sind größere Veranstaltungen, wie die SoCraTes mit circa 200 Teilnehmenden über drei Tage oder Unkonferenzen an besonderen Orten wie Kreta, Edinburgh oder den französischen Schlössern an der Loire. Aus dem Java-Umfeld gibt es einen lockeren Zusammenschluss der Veranstaltenden, die JUnconference Alliance mit mehreren Unkonferenzen in Europa und sogar weltweiten Events, unter anderem in Japan, Südafrika oder ganz neu in Mexiko.

Das Interview führte Madeleine Domogalla.

Gerd Aschemann im Interview

Gerd Aschemann berät seine Kunden freiberuflich als Entwickler und Softwarearchitekt. Gefühlt wurde für ihn das Thema DevOps erfunden, um seiner Vorliebe für Automatisierung von so gut wie allem gerecht zu werden. Sein besonderer Schwerpunkt ist Development Productivity Engineering unter Einsatz von KI-Techniken.

(mdo)