Viel Vision, wenig Konkretes - Das Orakel von Austin hat gesprochen

Auf Oracles jüngster Kundenveranstaltung hielt CTO Larry Ellison eine langatmige Keynote zu KI. Dabei vergaß er vor allem die Probleme, meint Harald Weiss.

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Larry Ellison

Oracle-Chef Larry Ellison: Im Cloud-Bereich wuchs der Umsatz um 62 Prozent.

(Bild: dpa, John G. Mabanglo)

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Harald Weiss

Mit dem Satz „Generative KI wird alles verändern“, begann Oracle-Chairman und -CTO Larry Ellison seine Keynote, und verglich ChatGPT mit dem Start von Sputnik im Jahr 1957, womit das Zeitalter der Raumfahrt eingeläutet wurde. Jetzt habe das Zeitalter der generativen KI begonnen und als Beweis führte er die immensen Investitionen an, die hier getätigt werden. Immerhin hat sich Microsoft mit zehn Milliarden Dollar an OpenAI beteiligt. Und so verbrachte Ellison den größten Teil seiner Rede damit, ein paar aktuelle Probleme der Welt anzusprechen: Gesundheitswesen, Landwirtschaft und die digitale Transformation. Die bislang ungelösten Probleme der generativen KI, wie das Eigentum an den Trainingsdaten, die Bedenken hinsichtlich des geistigen Eigentums und die sich verändernde Art der Arbeitswelt, vergaß er zu erwähnen.

Als ein Beispiel für das, was alles kommen wird, präsentierte er seine Vision zukünftiger Gesundheitsversorgung, dabei jedoch nur Teillösungen; beispielsweise die KI-Unterstützung von Ärzten und der Verwaltung sowie viele Prozessvereinfachungen. Doch obwohl die Gesundheitsversorgung ein globales Problem ist, zeigt sich beim näheren Hinsehen, dass es kaum Gemeinsamkeiten gibt. Kein anderer Anwendungsbereich ist so heterogen aufgestellt, so extrem reguliert und wird so leidenschaftlich diskutiert wie die Gesundheitsvorsorge. Und das betrifft nicht nur die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern: Ellison müsste wissen, dass es selbst innerhalb der USA erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesstaaten gibt. Insofern waren seine diesbezüglichen Ideen eine schöne Präsentation ohne praktischen Wert.

Sein zweites Beispiel der schönen neuen KI-Welt war die Landwirtschaft. Die ist zumindest nicht so überreguliert und heterogen aufgestellt wie das Gesundheitswesen. Basis für seine Lösungen ist der Anbau in Container-Hallen, ähnlich zu Gewächshäusern. Hierzu zeigte Ellison, wie mithilfe von generativer KI die erforderliche Wassermenge und der Landbedarf reduziert werden kann. Gleichzeitig ließe sich der CO₂-Ausstoß begrenzen und die Logistik vereinfachen, da man dort anbauen kann, wo die Produkte benötigt werden. Die Pflanzen werden kontinuierlich von der KI beobachtet, analysiert und entsprechend dem aktuellen Zustand genau dosiert versorgt. Das Drumherum wie Säen, Ernten und Verpacken übernehmen Service-Roboter. Realisiert ist davon noch nichts und auch den immensen Energiebedarf für die Klimatisierung und den Betrieb solcher Hallen ließ er außer Acht. Wenn dann auch die Sonne nicht scheint oder nicht genügend Regenwasser aufgefangen werden kann, muss Kunstlicht eingesetzt und kostbares Trinkwasser verwendet werden. Somit ist es fragwürdig, ob eine End-to-End-CO₂-Bilanz, die alle Faktoren miteinbezieht, wirklich günstiger ist, als der Feldanbau in freier Natur.

Der dritte Bereich hätte ein Heimspiel sein sollen: Eine KI-basierte, automatische Code-Erzeugung. „Wir werden keine neuen Anwendungen mehr in Java schreiben, denn obwohl wir Java weiterhin verwenden, werden wir damit keine neuen Apps erstellen – die Codegenerierung wird das automatisch für uns machen“, versprach er über die Zukunft des Programmierens. Auch das Erstellen von SQL-Abfragen soll fortan in natürlicher Sprache erfolgen, was eine KI dann automatisch in SQL übersetzt. Doch bislang sind diese Abfragen nur in 60 bis 70 Prozent der Fälle korrekt. Ellisons Datenbank-Experten meinen, dass es kaum besser werden kann, da natürlich Sprache nicht eindeutig genug sei. Ähnliches trifft dann wohl auch auf die automatische Codierung ganzer Programme zu.

Komplett ausgeblendet hat er nicht nur die eingangs erwähnten Nutzungsprobleme von KI, sondern auch die systemimmanenten KI-Hindernisse. Hauptproblem sind die immensen Kosten. Gerüchten zufolge sind Microsofts zehn Milliarden für OpenAI nur Azure-Credits für bereits verbrauchte und noch zu erwartende Rechenleistung. Das Geld steuert also nichts zur Entwicklung oder zu den normalen Betriebskosten bei. Noch kostspieliger wird es, wenn Unternehmen ihre eigenen, auf individuelle Probleme ausgerichteten Sprachmodelle entwickeln und trainieren wollen. Diesen Punkt hat er zwar angesprochen, indem er auf die massive Rechenleistung der Oracle Supercluster hinwies – allerdings ohne ein Wort über die Kosten zu verlieren.

Gut möglich also, dass generative KI für lange Zeit ein Privileg derer sein wird, die sich das leisten können. Aber so war das auch schon in der Antike: Dem Orakel von Delphi durften auch nur die begüterten Klienten offene und ausführliche Fragen stellen. Die Ärmeren mussten sich mit geschlossenen Fragen und mageren Ja-Nein-Antworten begnügen.

(pst)