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Was war. Was wird.

Die Wochenschau von Hal Faber: Von Multiplikatoren, Schneematsch und kollidierender Wetware.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Immer wieder gibt es Informationsbröckchen, die es nicht zur richtigen Nachricht schaffen. Sie mögen nicht in das Bild passen, das eine Firma von sich präsentieren will. Sie passen nicht in die angesagten Technik-Trends oder sie sind wirklich so kümmerlich, dass es der Sammlung bedarf. Manches bleibt auch unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle: Menschen, Computer, Sensationen verdecken den Blick auf Hintergründiges und Zusammenhängendes. Die Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist, so es die Bröckchenlage zulässt, Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** Das Windows-2000-Lostritts-Ereignis am CeBIT-Vorabend wurde zu einer hochsubtilen WindowsCE-Multiplikatoren-Veranstaltung. Zunächst blieb nämlich unverständlich, wieso Microsoft es nötig hatte, dem als gar nicht so schlecht bekannten Windows-2000-Paket (W2K) ein Bestechungsgeschenk in Form eines CE-Organizers mit CeBIT-Plan beizulegen. Gewöhnlichenfalls wird so etwas als Anti-PR wahrgenommen nach dem Motto: Unser Produkt ist so schlecht, dass es einer Beigabe bedarf, damit die Journaille freundlicher davon spricht.

Die Ereignislosigkeit des Ereignisses aber machte stutzig. Denn das einzige, was auffiel, war tatsächlich das überraschende Geschenk. Nach jahrelanger Erfahrung mit MS-Marketing[TM] war allen Anwesenden jedoch klar, dass es sich dabei nur um ein Kuckucksei handeln konnte. Denn viele der Kollegen werden ähnlich reagiert haben wie ich: Die Einladung zum CE-Event wanderte ins Altpapier, das W2K-Antwortfax in den Fernkopierer.

"Wie", so die neue Aufgabenstellung der Marketing-Abteilung, "nutzen wir die auf W2K gerichteten Augäpfel, um WindowsCE über die Wahrnehmungsschwelle zu heben?" Die Antwort: Schenke jedem der etwa 200 Multiplikatoren ein Spielzeug, das -- ob des CeBIT-Plans -- entfernt einen Nutzen verspricht, und sie werden sich damit beschäftigen. Im Spiel lernt der Journalist das im Schatten des Neuen stehende Produkt kennen, nimmt es zur Kenntnis und berichtet vielleicht davon. Was hiermit geschehen wäre; wenn auch vielleicht nicht so, wie die Damen und Herren aus Redmond sich das vorgestellt haben. Das WCE-Rechnerchen jedenfalls hat schon Staub angesetzt: Das Auftauchen der Sanduhr beim Starten des Mini-Dingsbums erwischte mich noch kalt; die zweite Sanduhr während der Aktivierung der (leeren) Adressdatenbank ließ mich reumütig zu meinem gewohnten PDA zurückkehren. Der zeigte sich glücklicherweise nicht beleidigt angesichts meiner kurzfristigen Untreue.

*** Eine Anmerkung zum Zweiten im Bunde. Die Firma mit dem großen roten Q ist manchmal auch um keine Peinlichkeit verlegen. Das CE-Rechnerchen, von Compaq unter dem schmucken Namen Aero geführt, mache das Arbeiten so effektiv und effizient, heißt es in einer Werbebroschüre, dass dafür doch glatt die Worte fehlen. Daher schlagen die Rechner-Bastler aus Texas das nette Wörtchen efziv vor. Fassungslos steht unsereins vor so viel Sprachgefühl.

*** Zurück zu den ernsten Dingen des Lebens: Was ist schon E-Commerce, wenn es den M-Commerce gibt! Schneematsch von gestern, ein feuchter Dreck eben. Der Mobile Kommerz war das Lieblingsbuzzwort der CeBIT-Aussteller. Entzückt wurde demonstriert, wie unglaublich toll es ist, wenn man mit dem Handy seinen Kontostand abfragen kann. "Wappen ist geiler als Surfen", verkündete ein Button auf dem Consors-Stand. Was mag in Menschen vor sich gehen, die auf einem kleinen Hörknochen herumdrücken und verzückt auf die Antwort ihrer Bank starren? Die efziv den Tag gestalten und mit dem Handy einen Platz in der Oper bestellen, damit sie dort weiter telefonieren können? Sicher kümmern sie sich nicht um die Sicherheit, und das öffentlich heraus telefonierte Privatleben findet bei ihnen nicht statt. Bis zum Börsengang ist so etwas ein Fremdwort. "Wir bringen sie so schnell zum IPO, dass Sie wieder Spaß mit Ihrer Freundin haben", verspricht eine Initiative namens "Speed-Up your IPO", die von Sun, Oracle und Cisco vorgestellt wurde. Dabei freuten sich die Oracle-Vertreter sichtlich, mit dem "Punkt in .com" zusammenzuarbeiten. "Wir sind der zweite Punkt in .com! Gemeinsam ergeben wir einen schlagkräftigen Doppelpunkt", hieß es auf der Pressekonferenz. Geschrieben wird also www.speed-up:de daraus, wobei Cisco den Verbindestrich sponsort.

*** Was es mit der Privatheit auf sich hat, die ein Ipoppie (IPO-Yuppie) nicht versteht und die den M-Commerce-Protagonisten egal ist, diskutiert ein sehr lesenswertes Buch, das der Verlag O'Reilly vorstellte, inmitten all der Linux-Brauereien. Database Nation heißt es und Simson Garfinkel ist sein Autor. Ein Lichtblick in der Diskussion um den Schutz der Persönlichkeit könnte man schreiben, wenn nicht der Inhalt anders stimmt: Garfinkel hat das erste wichtige Buch des neuen Jahrhunderts geschrieben und es ist ein rechter Düsterblick geworden. In den ersten amerikanischen Buchbesprechungen wird Garfinkel schon als paranoider Orwellianer tituliert, was ein hübsches Bild ausmacht. Zusammen mit der Website www.databasenation.com eine Pflichtlektüre für alle positiv Paranoiden, die der Euphorie des e-, M-, C-Commerce nicht über den Weg trauen.

*** In den USA kursiert ein netter Joke: Wie löst man das Drogenproblem? Man legalisiert alle Drogen -- und überlässt IBM das Marketing. Bei leidgeplagten OS/2-Usern huscht da wohl nur kurz ein gequältes Grinsen über's Gesicht, aber wie das Marketing von IBM funktioniert, demonstrierte der blaue Riese wieder auf der CeBIT. Jüngstes Schlagwort: EON. Meint: Edge of Network. Bedeutet: Nichts anderes als irgendwelche Geräte vom Handy bis zum Web-Pad, die eben am Rand des Internet vor sich hin dümpeln. Da gibts ja einige Firmen, die so etwas anbieten, von Nokia, Ericsson oder wie die WAP-Handy-Hersteller alle heißen bis hin zu Microsoft mit dem Web-Companion. Aber nur IBM schafft es, allen hinterherzuhinken und daraus dann eine sensationelle Strategie zu basteln -- gleich noch garniert mit einem beeindruckenden Akronym. Was übrigens gefährlich für alle Hersteller ist, die vergleichbare Produkte anbieten. Meist schafft es IBM nur bis zur Ankündigung der Strategie; wenn alles perfekt läuft, gibt es vielleicht Prototypen von Geräten oder Software zu sehen. Dann kommt aber schon die nächste Strategie -- denn inzwischen hat sich der Markt entsetzt von allem abgewandt, was mit der Vorigen zu tun hatte. Remember Workplace/OS?

Was wird

Früher schauten viele peinlich berührt weg, begegneten sie verwirrten Menschen auf der Straße, die wirres Zeug vor sich hin brummelten. Heutzutage guckt man interessiert hin: Was benutzt der den für ein Handy, welche Freisprecheinrichtung hängt ihr um den Hals? Das lässt sich natürlich noch ausdehnen: Noch kabelloser, mit noch mehr ohne Schnur kommen die drahtlosen Freisprecheinrichtungen. Da muss man dann schon genau hinschauen: Ein Kabel gibts nicht mehr, das die Unterscheidung zwischen "Armer Irrer" und "Handy-Nutzer" zuließe. Für Unkenrufe, dies ließe sich auch mit Kabel kaum auseinander halten, bin ich nicht verantwortlich...

Auf der CeBIT jedenfalls, egal ob in überfüllten Gängen zwischen den Messeständen oder vor den Hallen, inmitten eiligen Schrittes zum nächsten Termin strebender Jung-Unternehmer, lässt sich das Brabbeln der Freisprecher sowieso nicht vom Hintergrundrauschen unterscheiden. Das könnte sich aber bald ändern. Das Internet per Handy ist ja mit Freisprecheinrichtung ohne Spracherkennung und Sprachausgabe eine etwas klägliche Angelegenheit. Der Schluss liegt nahe, dass vor den GPRS- und UMTS-Handys noch eine Mobiltelefon-Generation eingelegt wird. Also kommt das WAP-Handy mit Sprachsteuerung. Was auf der CeBIT 2001 für die Notfallärzte zu ungeahnter Arbeitsbelastung auf Grund heftiger Kollisionen der Wetware führen dürfte. Als Antwort auf die Aufforderung, eine Verbindung mit dem Internet herzustellen, säuselt das Handy eifrig vor sich hin: "Verbindung wird aufgebaut, bitte warten. Bitte warten. Bitte warten." Manch einer mag dies zu wörtlich verstehen.

Unter Journalisten-Kollegen ging auf der IBM-Messeparty übrigens die Rede, man müsse sich zusammentun und, ähnlich zum "Unwort des Jahres" der Gesellschaft für Deutsche Sprache, ein "Unwort der Computer-Branche" küren. Die CeBIT mit ihren diversen feucht-fröhlichen Partys böte sich idealerweise als Austragungsort für den Wettstreit um das schlimmste Marketing-Geblubber und den dümmsten Hype-Begriff an. Eine kurze, nicht repräsentative Umfrage brachte verschiedene Vorschläge zu Tage: E-Commerce, M-Commerce, Customer Relationship Management, Application Service Provider, efziv. Schließlich kam aber doch ein einstimmiges Ergebnis zu Stande: Dieses Jahr ist das Unwort der Branche nicht etwa ein ganzes Wort, sondern ein einzelner Buchstabe. Das E kann natürlich nix dafür, dass ihm so übel mitgespielt wird: Aber wenn nichts mehr ohne E geht, wenn die Aktienkurse von Firmen in astronomische Höhen schießen, die etwa ihre Maus in eine E-Maus umbenennen oder ihren popeligen Shareware-Terminkalender als E-Timer anbieten, dann erscheint mir das Ergebnis mehr als verständlich. Eigentlich hat das arme E das nicht verdient.

Für nächstes Jahr sind natürlich noch keine Kandidaten ausgemacht. Ab dem 1. Januar 2001 nehme ich aber gerne unter hal@heise.de Vorschläge entgegen. Die Jury trifft sich dann auf der CeBIT 2001. (Hal Faber) (jk)