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Was war. Was wird.

Rechtsradikale und Schottenröcke, Meinungsfreiheit und Intel, Redefreiheit und Linux - was gab es diese Woche nicht alles, was sich zu kommentieren lohnte.

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Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Gerade eben komme ich von unserem Hausfest zurück – ein gemütlicher Abend mit Wein, gutem Essen, netten Gesprächen und ganz ohne Computer, Internet, New Economy. Und ohne Bobos, den Prototypen für die Herrscher über die Internet-Ökonomie. Ja, genau – dem geneigten Leser dieser Kolumne wird es aufgefallen sein: Die letzten beiden Ausgaben der Wochenschau kamen ganz ohne diese Helden der Internet-Ökonomie aus; ganz ohne Schaden anscheinend für das Ansehen des Internet und ohne Schaden für das Interesse der Leser. Meine Mitbewohner scheren sich auch einen feuchten Kericht um unsere Bobos: Mag der eine oder andere auch überlegt haben, in modernen Zeiten vermeintlich moderne Geldanlagen zu nutzen, so ist er angesichts all der Verrücktheiten der New Economy doch schnell zum Festgeldkonto zurückgekehrt. Ist das nun stockkonservativ oder einfach nur dumm? Wohl weniger; eher die beruhigende Tatsache, dass sich nicht jeder oder jede mit all den Startups, E-Commerce-Stars und Online-Megastores beschäftigen muss, um am Samstag Abend in aller Ruhe und ganz entspannt im Hier und Jetzt ein gemütliches Fest feiern zu können – und dabei auch noch ein recht gutes Leben führt, frei von materiellen Existenzängsten und mit genug Raum, sich über die Entwicklung dieser Gesellschaft seine eigenen Gedanken machen zu können. Den Bobos sei es ans Herz gelegt: Die reale Welt ist noch weit davon entfernt, sich von der virtuellen ad absurdum führen zu lassen.

*** Nun gut. Ich will nicht so sein und mich nicht darauf beschränken, das hohe Lied des Realen gegenüber dem Virtuellen zu singen. Besonders virtuell jedenfalls erschien vielen Interessierten bislang die X-Box von Microsoft. In dieser Woche kamen sie nun aber ans Licht, die Aufsehen erregenden Details der Spielkonsole aus Redmond. Seitdem gibt es einen pfundigen Streit um das Leck. Während Microsoft die Existenz seiner Spielconsole gefährdet sieht, glauben andere an einen gelungenen PR-Coup von Microsoft, so kurz vor der Einführung der Playstation 2 in den USA. Das technische Wort für diese PR ist FUD: Fear, Uncertainty and Doubt. FUD gehört zu den neuen Vorschlägen für Top Level Domains, die von geistreichen Zeitgenossen für Microsoft gemacht werden. Neben .fud sind .sin, .non und .borg Favoriten, während man in Seattle, One Microsoft Way, .win als ausreichend aussagekräftig ansieht. .borg wäre aber wirklich apart: Ein weiteres Leck aus dem sich kräftig neu organisierenden Hause Microsoft ließ die Nachricht durchsickern, dass der Starkomponist John Williams (Raumschiff Enterprise, Star Wars) die Musik für den Start des Windows 2002-Desktops schreiben soll. Ursprünglich hatte man den Komponisten dafür vorgesehen, der für den Film "Odyssee im Weltraum" einen Walzer komponierte. Da hatte sich Microsofts Marketing-Abteilung aber wohl etwas in der Zeit vertan: Scotty, beam me back...

*** Wenn man sich die Vornamen mancher Domain zu Gemüte führt, hat die Entrüstung über so genannte Nazi-Domains und verquere Registrierungspraktiken der Registrare in der Woche für größere Staubwirbel gesorgt. Katarina Witt, die als Eisprinzessin schon einmal "An der schönen blauen Donau" schwebte, teilte der Presse dazu mit: "Dass die Rechtsradikalen seit Jahren das Internet als Plattform zur Verbreitung ihrer menschenverachtenden Parolen entdeckt haben, war klar." Wenn es denn so klar war, warum laufen Gegenaktionen wie das Wittsche "Web gegen Rechts" nicht schon seit Jahren? Weil das zarte Pflänzchen Internet jede müde Mark zum Wachstum braucht, auch wenn sie aus rechten Domains, aus Auktionen mit rechtsradikalem Material oder aus dem Geschäft mit Mailinglisten der Glatzen stammen? Als beispielsweise Deborah E. Lipstadts Buch "Betrifft: Leugnen des Holocaust" erschien (Zürich 1994) und auf die Websites des Nizkor-Projektes verwies, kam die Antwort, dass Neonazis und arische Sturmtruppen zu dumm seien, um HTML-Code schreiben zu können. Zumindest das ist widerlegt worden. Glaubt man den im Schwarm eintrudelnden Pressemitteilungen von Puretec und anderen Providern, so gibt es nunmehr eine riesige Bewegung, die für "positive Signale gegen Nazis" unter Domain-Namen wie nsdap.de, nazis.de, judenvergasung.de und anderen sorgt. Reservieren und Blockieren soll das Gebot der Stunde sein. Derweil richten sich die entsprechenden rechtsradikalen Inhalte unter unverfänglichen Namen, die so gar nicht nach Neo-Nazis klingen, gemütlich ein. In der Zwischenzeit dürfen wir uns mit Überlegungen befassen, wie Zensur-Software vor Pornografie und rechtsradikalen Inhalten nach dem Open-Source-Prinzip funktionieren soll. Es gibt Überlegungen zu einem solchen Projekt, bei dem erfahrene Mitglieder der OS-Community, das Open Mozilla Directory und die Suchmaschine Google, herangezogen werden sollen, um die guten von den schlechten Seiten zu trennen. Ob das System funktioniert, ist zweifelhaft. Nachbarschaftshilfe in Form eines gemeinsam betriebenen Proxy ist eine andere Lösung.

*** Diese Lösung erinnert an den "guten" Aimster, der anders als der "böse" Napster nur mit Buddy-Listen arbeitet. Was uns zu Bluematter bringt, der frisch ans Netz gegangenen offiziellen Antwort der Musikindustrie auf Napster. Das Lizenzmanagement von Bluematter wird von Intertrust betrieben, der Firma hinter der OpenRights-Initiative. Wer über Bluematter bei Intertrust sein Kaufkonto eröffnet, bekommt vier US-Dollar gutgeschrieben, muss aber eine Kreditkarte zum "Nachfüllen" angeben. Damit sind die viel zitierten Kids wieder bei Diensten à la Napster angekommen. 25 US-Cents soll übrigens das einmalige Anhören eines Songs kosten, 1,99 US-Dollar ist der typische Preis für ein Musikstück. Wer aus Europa Musik holt, muss freilich 1,99 US-Dollar für das einmalige Hören zahlen, weil "Shipping" und "Handling" über das Internet addiert werden – die sind halt auch in den Zeiten des globalen Netzes irgendwie furchtbar kompliziert. Nach einmaligem Hören kann es übrigens passieren, das nicht nur der Song gelöscht ist, sondern die RealJukebox-Software gleich mit. Wenn dies die Zukunft der digitalen Musik ist, dürfen wir uns gleich Ten Years After wünschen.

*** Ten Years After waren aber eigentlich auch nur eine mittelmäßige Band, die versuchte, schlechten Mainstream-Rock mit den bescheuerten Vorstellungen der weißen Kids vom Blues zu versöhnen. Das ist eine bescheuerte Ansicht? Darüber kann man streiten, ich nehme mir aber das Recht heraus, sie hier zu vertreten. Um einmal etwas ernster zu werden: So etwas nennt man Meinungs- und Redefreiheit. Und die ist ein schwieriges Ding. Denn ihre Beschränkung ist eine heikle Geschichte: Wer entscheidet, wann und wo sie beschränkt wird? Die Regierung? Die Regierung von Chile unter Pinochet, die Regierung des Irak unter Saddam Hussein oder die Regierung der Volksrepublik China unter Deng Hsiao Ping? Oder gar die öffentliche Meinung, jene öffentliche Meinung, die in den USA der Hinrichtung geistig Behinderter applaudiert oder als Mob nach der Veröffentlichung der Namen von Kinderschändern in der britischen Boulevard-Presse diejenigen, die zufällig den gleichen Namen tragen, mit Lynchjustiz verfolgt? Schöne Aussichten. Die schon erwähnte Auseinandersetzung um die rechtsradikalen Domain-Namen artet aber genau in diese Richtung aus: Politiker-Mund tut nicht immer Weisheit kund; und wenn die CDU zur Meldung vermeintlich neo-nazistischer Domains auffordert und ein Filter-System gegen unliebsame Inhalte im Internet reklamiert, begibt sie sich auf ein gefährliches Gleis. Auf das gleiche gefährliche Gleis wie die Kollegen von SPD, FDP und Grünen übrigens. Denn wer entscheidet, was passiert, wenn ein NPD-Mitglied die Domain www.sieg-heil.de als rechtsradikal denunziert? Nach den Kriterien, die auf www.heil-hitler.de angewendet wurden, ist die Entscheidung klar – schaut man sich aber den Inhalt der Domain an, landet man verwundert bei www.nazis-raus.de. Die ursprüngliche Domain ist ein Redirect auf eine antirassistische und antinazistische Webseite. Dumm gelaufen, wenn nun all die verdächtigen Domains gelöscht sind und Filter stumpf alle unliebsamen Begriffe ausschalten. Ganz abgesehen zudem davon, dass sich Inhalte von Webseiten kaum durch Computerprogramme beurteilen lassen – oder wollen wir es Software überlassen zu entscheiden, ob unsere Meinung zulässig ist oder nicht? Es war schon immer eine schlechte Idee, falsches Bewusstsein, so es das überhaupt gibt, durch Befehle eines vermeintlich guten Bewusstseins schlicht zu verbieten. Bewusstsein, wie krank es auch immer sein mag, lässt sich nun einmal nicht per Ordre de Mufti unterdrücken. Oder, um auf den Kern des Problems zu kommen: Rede- und Meinungsfreiheit bedeutet auch immer die Freiheit des Andersdenkenden, ob einem dessen Meinung und Rede nun passt oder nicht. Die dumpfen Sprüche der Glatzen und die geschickte Propaganda ihrer intellektuellen Führer im Internet sind kein technisches Problem der Deregistrierung einzelner Domains oder der Ausschaltung bestimmter Webseiten. Zensur ist kein Mittel gegen Leute, die Zensur und Gewalt gegen Andersdenkende propagieren. Der Zweck heiligt die Mittel immer nur für diejenigen, die von Freiheit nichts halten. Vermeintlich rechtsradikale Domainnamen gegen die Neo-Nazis zu benutzen, darauf sind andere als unsere Meinungsführer, die jetzt ein so großes Geschrei veranstalten, schon längst gekommen. Und sie beweisen damit eines: Die Probleme, die die Rede- und Meinungsfreiheit auslösen, lassen sich nicht durch Einschränkung der Freiheit, sondern nur durch noch mehr Freiheit beheben.

*** Betrachten wir Redefreiheit aber einmal vor einem etwas weniger ernsthaften Hintergrund und begeben wir uns damit wieder zurück in überschaubarere Gefilde: Vor einem Monat kündigte Intel die Schließung von etwa zwei Dutzend Support-Foren zu den verschiedenen Intel-Produkten und Prozessoren an. Als bessere Alternative wollte man zur individuellen Beantwortung von Anwender-Fragen per E-Mail übergehen, weil immer wieder nette Zeitgenossen die Foren für Sprüche über AMD und Intel missnutzten – ein Phänomen, das den Heise-Foren nicht fremd ist. Morgen wäre der Tag der großen Abschaltung. Doch bereits heute heißt es bei Intel: "This forum was originally scheduled to close on August 14th, 2000. Based on the feedback received from our forum participants, Intel is reevaluating the forum closure schedule and it will be updated at a later date. Please continue to use this forum according to its charter." Hilf, Charter, hilf! Optimisten werden die (vorläufige) Nicht-Schließung der Intel-Foren als Sieg der Meinungsfreiheit begrüßen. Pessimisten werden einwenden, dass Intel einfach einmal durchgerechnet hat, was ein E-Mail-Support auf jede Anwender-Frage kostet. Auch ein Kriterium für Meinungsfreiheit.

*** Noch ein kurzer Zwischenstopp bei Intel – dieses Mal aber nicht wegen der Redefreiheit. Vielmehr wegen der Zukunft: Denn geht es nach Intel, stehen wir am Beginn dieses Jahrtausends der Tatsache gegenüber, dass uns der Prozessor aus Santa Clara, allgemein nach dem Wunsch des Prozessorbäckers Pentium genannt, noch bis ins nächste Jahrtausend begleiten wird. Oder wie sonst sollte man interpretieren, dass sich Intel jetzt schon all die schönen Internet-Domains gesichert hat, die bis zu pentium6.com reichen? Herr der New Economy, hilf – und schick uns die Heerscharen aus Athlons und Alphas, auf dass wir nicht den gleichen Hexentanz wie mit Microsoft erleben.

*** Ob der Pentium allerdings wirklich zur New Economy und damit zur Hightech-Branche gehört, scheint, betrachtet man einige Diskussionen in den Foren des Newstickers auf heise online, umstritten zu sein. Was wirklich Hightech ist, demonstriert nun aber ein Schotte. Howie Nicholsby, ein Modemacher aus Edinburg, will den Schottenrock modernisieren. Er hat ein Modell entworfen, das eine Seitentasche fürs Handy enthält. Denn auch seine Landsmänner kämen im 21. Jahrhundert nicht mehr ohne dieses Gerät aus. Sind die Schotten zu knauserig, um sich ein Mobiltelefon anzuschaffen, können sie in der Rocktasche immerhin noch das gesparte Geld verstauen.

Was wird.

In der nächsten Woche startet wieder einmal die Linux World in San Jose und mit ihr der Reigen der Pressekonferenzen zur Bedeutung des Betriebssytems. Das Gnome-Projekt mit Miguel de Icaza, sowie Brian Behlendorf (Collab.Net), Bob Young (Red Hat) und Marco Boerries (Sun Microsystems) wollen etwas ganz anderes wagen, wie es in der PR heißt, und den Desktop der Zukunft vorstellen. Revolutionär soll er sein und Microsoft das Zittern lehren. Aber warum verschiebe ich diese Meldung in den Papierkorb? Was ist, wenn uns die Papierkörper ausgehen? (Hal Faber) (jk)