Wiederbelebung per KI: Müssen Künstler ihren medialen Nachlass besser schützen?

Das Video zum Beatles-Song "Now And Then" lässt Lennon und Harrison wieder auftreten. Müssen Künstler ihr Wirken nach dem Tod bald genauer regeln?​ ​

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Vieles, was Fans mit den Beatles verbinden, findet im Video zu "Now And Then" seinen Platz. Junge Beatles stehen neben alten Beatles, eigentlich verstorbene Beatles dürfen neben McCartney im Studio wieder Gitarre spielen – und man fragt sich, ob die dort projizierte Gitarre an dieser Stelle nicht doch leise weint.

(Bild: The Beatles - Now And Then (Official Music Video))

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Es ist immer schmerzhaft, geliebte Menschen zu verlieren. Sterben berühmte Persönlichkeiten, entsteht oft eine Erinnerungskultur, die jedes noch so kleine Machwerk und Medienstück der Verstorbenen betrachtet, bewertet und präserviert. Handelt es sich um Musikerinnen und Musiker, werden nicht selten noch nicht fertiggestellte Stücke weiterproduziert. Das ist nun im Fall der Beatles passiert – es gibt ein fortentwickeltes Musikstück und dazu ein Video mit einigen digital wiederbelebten Menschen.

Insbesondere künstliche Intelligenz wird mittlerweile dazu eingesetzt, die unvollendeten Werke von Verstorbenen fortzuführen. KI darf bei solchen Werken Ergänzungs- und Imitationsarbeit leisten, die für viele Fans bisher einem Sakrileg gleichkam. So hat etwa im Jahr 2021 eine KI ein unvollendetes Stück von Beethoven vervollständigt. Die Meinungen zu diesem Stück bewegten sich häufig in folgende Richtung: Die KI konnte die Fähigkeiten Beethovens nicht wirklich überzeugend imitieren.

Ob das alte-neue Beatles-Stück "Now And Then" durch KI-Hilfe gelungen genannt werden kann, bietet derzeit Diskussionsstoff. Dass das Stück in seiner jetzigen Form veröffentlicht wurde, hängt auch mit dem fortwährenden Erfolg der einstigen Pilzköpfe und den Mythen um ihre legendäre Zusammenarbeit zusammen. Die tragischen Tode der beiden Bandmitglieder John Lennon (Mord) und George Harrison (Krankheit) haben wohl zu einer noch größeren Legendenbildung beigetragen.

Da es noch zwei lebende Beatles, Ringo Starr und Paul McCartney, gibt, reißen allerdings auch nicht die Fragen in ihre Richtung ab. Was wäre, wenn noch alle Bandmitglieder leben würden? Hätten sie sich wieder zusammengetan, unvollendete Stücke weiterproduziert und würden noch heute touren wie die Rolling Stones?

Aus McCartneys und Starrs Perspektive hat es – vermutlich auch wegen der anhaltenden Nachfrage nach Beatles-Werken und dem immer wieder geäußerten Bedürfnis nach einem Happy End für die Band – offenbar sehr viel Sinn ergeben, aus der Demoaufnahme von "Now And Then" aus den 70ern nun mit neuen technischen Möglichkeiten doch noch ein Lied zu Ende zu produzieren. Die bereits verstorbenen Mitgliedern der Band konnten allerdings gegen das Projekt kein Veto einlegen, nicht nur gegen die musikalische Bearbeitung bzw. Filterung mittels KI, sondern auch gegen die Videoproduktion mit KI-Hilfe und "Visual Effects" (VFX), wie auch Peter Jackson sie erwähnt.

Statt nämlich nur historische Aufnahmen in das Video aufzunehmen, um bildliche Anleihen in die Vergangenheit zu schaffen, wurden sowohl Harrison als auch Lennon an manchen Stellen in heutige Aufnahmen eingefügt und durch technische Nachbearbeitung quasi wiederbelebt. Teils hyperrealistisch, teils unrealistisch visuell verzerrt tauchen sie immer wieder im Video auf, spielen Instrumente, feixen herum (Lennon), singen aber angeblich auch mit. So nehmen die beiden verstorbenen Beatles in dem Video alte und neue Rollen ein und werden zugleich in alten Kleidern in einen neuen Kontext gestellt.

Das Bildmaterial für diese Verarbeitung mag zwar aus größtenteils wirklichen Aufnahmen und früheren Outtakes bestehen, diese wurden aber stark miteinander vermischt und dann noch einmal überarbeitet. Was alt, was eher neu, was aufgehübscht oder in alter Verfassung belassen wurde, verschwimmt und lässt manchmal den Eindruck entstehen, es mit Deepfakes zu tun zu haben.

Manchmal wirkt die bildliche Collage reichlich unecht, manchmal sind die eingewobenen und überarbeiteten Aufnahmen von Harrison und Lennon hyperrealistisch. In dem Video darf Lennon häufig albern und feixen. Albernheit ist für die Beatles nichts Ungewöhnliches, die lennonsche Mimik im Video hat aber häufig etwas tiktokhaftes und ist unrealistisch verzerrt. Das will nicht ganz zum melancholischen Text und der Musik des Liedes passen.

(Bild: The Beatles - Now And Then (Official Music Video))

Vielleicht hätten sich Harrison und Lennon ebenso gegen dieses offizielle Video von "Now And Then" gewehrt, wie sich zuletzt Scarlett Johansson gegen einen Werbeschnipsel mit KI-Kopie von ihr wehren musste. Bevor Lennon und Harrison starben, war die marionettenhafte Nutzung der Bildnisse und Tonspuren von Menschen durch Technik und KI allerdings kaum ein Thema. Heutzutage wird längst darüber gestritten, wofür Technik überhaupt eingesetzt werden sollte; welche Leistungen besser Menschen vorbehalten bleiben und was durch Technik und KI nicht einfach kopiert, bearbeitet und halluziniert werden darf. Sehr prominent war und ist das beim Autorenstreik und dem Aufbegehren der Darsteller in Hollywood zu beobachten. Es schließt sich die Frage an, was Kunst ist, welche Urheberrechte verletzt werden und so weiter und so fort.

George Harrison hatte offenbar sehr viel Spaß bei der Aufnahme des Videos. Ach ne, eigentlich lebt er gar nicht mehr. Menschen, die das nicht wissen, könnten in die Irre geführt werden, und ob Harrison das so gewollt hätte, bleibt auch offen. Diese eingewobene Aufnahme soll aus Aufnahmesessions von 1995 stammen.

(Bild: The Beatles - Now And Then (Official Music Video))

Man mag einwenden, dass solche mit "Visual effects" aufgepeppten und ergänzten Videocollagen, wie sie nun auch das "Now And Then"-Video zeigt, aus nostalgischen Gründen vollkommen okay sind; hiermit auf Bedürfnisse der Fan-Szene eingegangen wird, das Werk eine Hommage an die Verstorbenen ist und so auch noch lebenden Künstlern neue Möglichkeiten für ihre Arbeit offenstehen – vielleicht auch zur Abrundung ihres Lebenswerks.

Ob Lennon und Harrison dem aber zugestimmt hätten, wenn sie vor ihrem Tod von dieser Form der Bearbeitung erfahren hätten, muss zu ihrem Schutz bezweifelt werden. Zumindest bei Harrison ist das ohnehin zu bezweifeln, da gerade von ihm bekannt ist, dass er eine Weiterproduktion von "Now And Then" zu Lebzeiten eigentlich verwarf – ob es wirklich nur an der Aufnahmequalität der Demo lag, ist umstritten. Besonders in der Art, wie er in dem Video auftaucht, könnte man glauben, er lebe noch und stimme voll zu.

Das offizielle Musikvideo zu "Now And Then" wirft für mich deshalb die Frage auf, wie wir in Zeiten immer leichter zugänglicher und potenter KI unseren medialen Nachlass schützen oder freigeben wollen. Darf ich nach meinem Tod für neue Videos oder Fotos durch eine KI re-animiert werden? Möchte ich das? So sehr ich auch die Vorstellung von lebendigen Bildern, die wie bei Harry Potter von der Wand grüßen, charmant finde, so gruselig finde ich die Vorstellung, in welche Kontexte eine KI mein Konterfei für ganz andere Zwecke stecken könnte. Sie wird mich nicht fragen, ob ich das so gewollt habe. Sie wird die Aufgabe erfüllen.

Von meinen Verwandten und auch von meinem Arbeitgeber würde ich deshalb erwarten, dass sowohl vor als auch nach meinem Ableben mediales Material von mir nicht ohne eine explizite Freigabe für weitere Produkte genutzt wird. Das Recht, durch Technik nicht wieder auftreten zu müssen, lässt man sich (nicht nur als Künstler) vielleicht in Zukunft fest ins Testament und in Verträge schreiben.

Ein Kommentar von Kristina Beer

Kristina Beer schreibt und moderiert für heise online. Sie beschäftigt sich gerne mit der Frage, wie sich technischer Fortschritt auf Gesellschaft, Wirtschaft und politische Entscheidungen auswirkt.

(kbe)